BDKJ-Vorsitzender: Aussagen von Kardinal Koch "unfassbar unchristlich"
Die umstrittenen Aussagen des Schweizer Kurienkardinals Kurt Koch zum Synodalen Weg schlagen auch nach dessen Stellungnahme vom Donnerstagabend in der katholischen Kirche in Deutschland weiter hohe Wellen. Der Bochumer Theologe Thomas Söding erklärte am Freitag in einem Gastkommentar auf dem Schweizer Internetportal "kath.ch": "Wie immer man den Synodalen Weg kritisieren mag: Die Auslassungen von Kardinal Kurt Koch bleiben eine Entgleisung." Der Kardinal habe nicht wahrgenommen, "wie wir auf dem Synodalen Weg von den 'Zeichen der Zeit' sprechen, und unterstellt uns eine Anpassung an den sogenannten 'Zeitgeist', ohne zu sehen, wie zeitkritisch wir uns aufstellen", schrieb Söding, der auch einer der Vizepräsidenten des kirchlichen Reformprozesses ist.
Kardinal Koch dürfe sich einer Fortentwicklung der kirchlichen Lehre nicht verweigern. "Kirche lernt aber nicht nur von sich selbst. Sie lernt von einer demokratischen Gesellschaft, was Partizipation heißt – und hätte es längst aus der Heiligen Schrift und der Tradition wissen können", so der Theologe weiter. Die Kirche lerne zudem von der Medizin und der Psychologie, was Menschsein und Sexualität ausmache – und sie sei sehr spät dran mit den Lektionen.
Nach Bätzing-Kritik: Kardinal Koch äußert sich in Stellungnahme
Koch hatte am Donnerstag in einem Interview der Wochenzeitung "Die Tagespost" über Parallelen zwischen aktuellen kirchlichen Diskussionen und solchen aus der NS-Zeit gesprochen: "Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht." Koch fügte wörtlich hinzu: "Denn diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben, als die sogenannten 'Deutschen Christen' Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben." Die "Deutschen Christen" waren eine protestantische Gruppierung, die die evangelische Kirche in Deutschland nationalsozialistisch umzugestalten versuchte.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, hatte zum Abschluss der Herbst-Vollversammlung der Bischöfe in Fulda den "inakzeptablen" NS-Vergleich Kochs scharf kritisiert und eine sofortige Entschuldigung gefordert. Geschehe dies nicht, "werde ich eine offizielle Beschwerde beim Heiligen Vater einreichen", sagte der Bischof von Limburg. Darauf wiederum reagierte Koch am Donnerstagabend mit einer Stellungnahme, in der er sich gegen den Vorwurf wehrte, den Synodalen Weg mit der Tradition der "Deutschen Christen" im Dritten Reich verglichen zu haben. Er habe den Reformprozess zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland keineswegs mit der Nazi-Ideologie verglichen, "und ich werde dies auch nie tun", so der Kardinal in seiner Erklärung.
Weiter betonte er, dass er niemanden habe verletzen wollen. "Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir auch heute aus der Geschichte, auch aus einer sehr schwierigen, lernen können. Wie die heftige Reaktion von Bischof Bätzing und andere zeigen, muss ich nachträglich feststellen, dass dieser Versuch mir misslungen ist. Und ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind." Seine kritische Anfrage könne er allerdings nicht zurücknehmen.
Beim Synodalen Weg beraten die deutschen Bischöfe und katholische Laien seit 2019 über mögliche Reformen. Zentrale Themen sind Macht, Rolle der Frauen, Sexualmoral und die priesterliche Lebensform. In dem "Tagespost"-Interview hatte Koch Kritik an dem Prozess formuliert. Im Kern ging es um die Frage, inwiefern sogenannte Zeichen der Zeit in eine Weiterentwicklung der Lehre der katholischen Kirche einfließen können.
Der Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Gregor Podschun, warf bei Twitter in einer Reaktion auf Kochs Stellungnahme die Frage auf, wie man jetzt noch glauben könne, dass Papst Franziskus Missbrauch verhindern wolle, wenn ein offizieller Vertreter des Vatikan den Synodalen Weg, der die Verhinderung von Missbrauch zum Ziel habe, mit Nazi-Deutschland vergleiche. "Eine offizielle Beschwerde Bischofskonferenz nach dieser Nicht-Entschuldigung wäre das Mindeste", so Podschun. Kardinal Koch habe den kritisierten NS-Vergleich in seiner "Entschuldigung" "sogar bezogen auf Reformer*innen wiederholt und bestärkt. Also in Bezug auf Menschen, die sich für Menschenrechte und gegen Leid und Gewalt in der Kirche einsetzen. Das ist unfassbar unchristlich".
Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung zeigt sich "irritiert"
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zeigte sich gegenüber "kath.ch" irritiert darüber, dass "der Vergleich mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte herhalten muss, um zu einem innerkirchlichen Konflikt Stellung zu beziehen". Die "Deutschen Christen" hätten sich sehenden Auges dem mörderischen nationalsozialistischen Regime angedient und dessen Antisemitismus unterstützt. "Der Synodale Weg mag zwar innerkirchlich umstritten sein, doch ist er in seinem Wesen grundverschieden von der durch den Kardinal in seiner Analogie bemühten Verurteilung der 'Deutschen Christen'", so Klein weiter. Kardinal Koch belasse es nicht bei der Kritik am Zeitgeist, wenn er insinuiere, dass in Deutschland "wieder" etwas geschehe.
Konsequenzen aus der Kontroverse um den Kardinal zog am Freitag auch die Stadt Schwäbisch Gmünd. Dort sollte sich Koch an diesem Samstag eigentlich in das Goldene Buch der Stadt eintragen, der Termin sei "nach Absprache mit allen Beteiligten" inzwischen jedoch abgesagt worden, so die baden-württembergische Kommune. Angesichts von Kochs Äußerungen und der Diskussionen dazu sei "eine solche Veranstaltung derzeit aus Sicht der Stadt nicht durchführbar", sagte ein Sprecher. (stz)
30.9., 12:55 Uhr: Ergänzt um weitere Reaktionen.