Himmelklar – Der katholische Podcast

Journalist Seppelt: In Kirche große Demokratiebewegung von unten

Veröffentlicht am 26.10.2022 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Der Journalist Hajo Seppelt hat sich vor allem mit dem Thema Sport beschäftigt. Im vergangenen Jahr blickte er als einer der Autoren der Doku zur Initiative "#OutInChurch" auf die Kirche. Im Interview erzählt Seppelt, was beide Welten verbindet.

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Hajo Seppelt ist einer der anerkanntesten Sportjournalisten Deutschlands. In seiner Laufbahn hat sich Seppelt immer wieder mit dem Thema Doping auseinandergesetzt und zuletzt eine Dokumentation zum Missbrauch im Schwimmsport veröffentlicht. Auch für den Film zur Initiative "#OutInChurch" zeichnete der investigative ARD-Journalist verantwortlich. Im Interview berichtet er, wie er auf die katholische Kirche blickt und welche Gemeinsamkeiten sie mit der Welt des Sports besitzt.

Frage: Sexualisierte Gewalt im Sport und in der Kirche. Sie haben sich als Journalist mit beiden Welten befasst. Welche Parallelen sehen Sie?

Seppelt: Erst mal sehe ich nicht funktionierende Kontrollmechanismen. Das ist im Sport so. Der Sport kontrolliert sich quasi selbst. Er ist ein autonomes System. Das ist ja auch ganz bewusst so gewollt in unserem gesellschaftlichen System, dass er sich nach dem Subsidiaritätsprinzip quasi selbst verwaltet. Das soll auch so sein, aber das hat zur Folge, dass all das, was da nicht gut läuft, auch ganz häufig einer öffentlichen Kontrolle entzogen wird. Das finde ich hochproblematisch.

Die Kirche führt ebenso ein Eigenleben und verwaltet sich selbst. Auch das ist so gewollt, aber führt dazu, dass bestimmte Dinge einfach nicht kontrolliert werden. Und bestimmte Dinge, die dort passieren, haben mit innerkirchlichem Betrieb eigentlich strukturell und formal gar nichts zu tun. Ich sage es jetzt mal ganz platt: Ob ein Ministrant missbraucht wird in der Sakristei oder ob das auf offener Straße oder im Park nicht durch einen Priester passieren würde, am Ende sind das Verbrechen. Diese Verbrechen werden dadurch nicht relativiert, weil sie plötzlich woanders stattfinden und sich dadurch einer öffentlichen Kontrolle entziehen.

Im Sport ist es so, wenn wir von sexuellem Missbrauch sprechen, dass so etwas in einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Athlet und Trainer stattfinden kann, zum Beispiel in der Umkleidekabine oder unter der Dusche. Auch das ist wiederum ein Bereich, der sich einer wirklichen öffentlichen Kontrolle solange entzieht, solange niemand auf die Idee kommt, Strafanzeige zu stellen und der Sache nachzugehen. Das passiert natürlich viel zu selten, zumal aufgrund der beschriebenen Abhängigkeitsverhältnisse oder auch aufgrund der Altersunterschiede oder aufgrund von Hierarchie-Strukturen dann häufig auch derjenige, der Opfer solcher Übergriffe wird, sich gar nicht traut, das öffentlich zu machen oder sich selbst noch dafür schämt. All das sind massive Parallelen.

Dazu kommt im Sport und noch mehr in der Kirche dieses sehr patriarchalisch geprägte System. Es sind ja ganz häufig Männer, die dort unterwegs sind. Männer, die sehr häufig bestimmte patriarchalische Systeme auch internalisiert haben und sie leben. Sie leben sie deshalb, weil sie so sozialisiert worden sind oder weil ihnen das in der Kirche auch noch vorgegeben worden ist. Das erschwert erst recht eine öffentliche Kontrolle.

Was ich besonders verwerflich und schlimm finde: Dass es in Köln einen Kardinal gibt, der bis zum heutigen Tag nach meinem Eindruck und nach meiner Beobachtung Dinge relativiert, Dinge partiell bagatellisiert und durch seine grundsätzliche Haltung auch in anderen gesellschaftlichen Fragen der katholischen Kirche Positionen bezieht, die unglaublich überholt sind. Denken Sie an die Sexualmoral oder auch andere Fragen, was zum Beispiel das Amt von Frauen in der Kirche betrifft. Und das geschieht mit dem Argument, sich darauf zu beziehen, dass ein Buch, was vor Tausenden von Jahren geschrieben worden ist, die Grundlage unseres heutigen Denkens ist. Das finde ich so was von empörend. Wie das überhaupt noch heutzutage durchgehen kann, ist mir völlig unklar.

Genauso leben wir im Sport in partiell feudalen Strukturen, in anachronistischen Herrschaftsverhältnissen, über Jahrzehnte so gepflegt, so entstanden, so gewollt an der Spitze mit Leuten im IOC (Internationales Olympisches Komitee) wie dem Deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach, die dieses System der Machterhaltung und der Machtsicherung auch leben und strukturell verfestigt haben. Das sind alles Dinge, die komplett aus der Zeit gefallen sind. Insofern gibt es aus meiner Sicht durchaus Parallelen beim Sport und bei der Kirche.

Frage: Sie haben in beiden Bereichen intensiv recherchiert. Im Fall der Kirche bei der Doku zu "Out in Church". Wie sieht es mit den Widerständen aus, auf die Sie da bei den Recherchen getroffen sind? Ist das eine andere Art von Widerständen im System Kirche, als es im organisierten Sport ist? Oder ist das alles dann doch ähnlich, wenn man versucht, an der Oberfläche zu kratzen?

Seppelt: Ich bin schon seit langer Zeit investigativer Journalist und es ist immer so, dass uns Widerstand entgegenschlägt, wenn wir über Missstände berichten wollen. Das ist ja auch nachvollziehbar. Welches Interesse sollen Menschen haben, mit uns zu reden, wenn wir von ihnen glauben, dass sie mit einem Missstand in Verbindung zu bringen sind oder dafür verantwortlich sind? Das liegt ja auf der Hand. Insofern gibt es natürlich Parallelen im Sport und in der Kirche. Aber ehrlicherweise gibt es die auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Das ist jetzt kein großes Geheimnis, wie man sich vorstellen kann.

Was ich im Sport als komplette Mauer des Schweigens betrachten würde, da würde ich in der Kirche sagen, ist das nur bedingt der Fall, weil es in der Kirche inzwischen eine unglaubliche Demokratiebewegung von unten gibt. Es gibt ja so viele Menschen, die in Deutschland katholisch getauft und sozialisiert sind, die Mitglied der Kirche sind und die eine diametral andere Position vertreten zu dem, was die Amtskirche oder Teile der deutschen Amtskirche und vor allem Rom sagen.

Insofern gibt es da natürlich genug Gesprächspartner, die unglaublich gerne mit uns reden wollen. Es war auch so, dass wir im Zuge der Recherchen zu unserer Doku "Wie Gott uns schuf" natürlich auch viele offene Türen eingerannt sind bei Menschen, bei denen es immer geheißen hat, sie finden das total gut, dass die ARD ein solches Projekt macht. Der andere Schritt war dann der: Geht man auch vor die Kamera? Das ist eine ganz andere Frage. Also mit uns zu reden ist das eine, aber dann auch den Schritt an die Öffentlichkeit zu gehen, indem man sich interviewen lässt vor einer laufenden Kamera, das ist noch mal was anderes. Aber da war es vielleicht gar nicht so sehr der Widerstand, da war es vielleicht einfach das Zögern oder die Angst, jetzt das Ding auch beim Namen zu benennen und auch offen dafür einzustehen. Das war vielleicht das, was an der Arbeit schwierig gewesen ist, vor allem für meine Kollegin Katharina Kühn, die das ganze Projekt federführend betreut hat. Das war schon wirklich schwierig. Aber Widerstand haben wir eigentlich da nur erlebt bei den Kirchenfürsten.

„Was ich besonders verwerflich und schlimm finde: Dass es in Köln einen Kardinal gibt, der bis zum heutigen Tag nach meinem Eindruck und nach meiner Beobachtung Dinge relativiert, Dinge partiell bagatellisiert und durch seine grundsätzliche Haltung auch in anderen gesellschaftlichen Fragen der katholischen Kirche Positionen bezieht, die unglaublich überholt sind.“

—  Zitat: Hajo Seppelt

Frage: Es gibt ja ein großes Gegenargument, das immer wieder von kirchlicher Seite gebracht wird. Die Kirche tut wenigstens etwas. In mehreren Bistümern wurden Studien gestartet. Auf weltkirchlicher Ebene hat Papst Franziskus vor ein paar Jahren ein neues Dokument dazu herausgebracht. Herrscht da in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht doch noch mehr Verdrängung?

Seppelt: Das würde ich so nicht unterschreiben. Obwohl ich weit davon entfernt bin, die Sportstrukturen verteidigen zu wollen, finde ich, es gibt im Sport natürlich auch genug Leute, die das Thema ernst nehmen und sagen, dass sexueller Missbrauch absolut untragbar ist und strukturell wie auch de facto natürlich bekämpft werden muss. Das ist völlig klar. Diese Sensibilität ist natürlich auch da. Das würde ich also jetzt so nicht sehen. Da werden auch Schritte unternommen.

Wobei ich zwischen Sport und Kirche in einem Punkt auch noch einen großen Unterschied sehen würde. Auch der Sport ist hierarchisch aufgestellt mit Vorständen, Präsidenten und Leuten, die das Geld haben. Ich würde aber mal behaupten, dass die patriarchalisch strukturierte Kirche noch weitaus antiquierter unterwegs ist. Das ist erst mal allein der Tatsache geschuldet, dass da keine Frauen in hohen Ämtern sein dürfen. Jedenfalls dürfen sie nicht in denen sein, wo die Verkündung gelebt wird. – Zum Zweiten würde ich schon sagen, es ist noch ein Unterschied, dass natürlich über diese jahrhundertelange Struktur von Rom alles bestimmt wird und von dort Vorgaben kommen, denen alle zu folgen haben.

Gleichwohl haben Sie recht, es tut sich etwas in der Kirche. Das ist auch gut so und das finde ich auch richtig. Unser Film hat ja übrigens auch gar nicht so sehr die Kirche an die Wand genagelt, sondern wir haben einfach die Situation der Menschen dargestellt und haben die Kirche zu Wort kommen lassen. Die Kirche hat sich zu Wort gemeldet und Bischof Dieser aus Aachen hat ja durchaus bemerkenswerte Dinge in diesem Film erzählt, fand ich.

Die Kirche nimmt Unsummen ein – die katholische Kirche in Deutschland und die evangelische auch. Das geschieht nicht nur durch den Kirchensteuerzahler, sondern auch durch die anderen zahlreichen direkten und indirekten Zahlungen, die sie durch den Staat auch noch erhält. Sie muss sich einer verstärkten öffentlichen Kontrolle unterziehen. Es kann nicht sein, dass sie ihr eigenes Ding macht und sich nicht in die Karten schauen lassen möchte, aber gleichzeitig die Hand aufhält vom Steuerzahler.

Frage: Sie haben gerade eben gesagt, dass Sie vor allem in der Hierarchie in der Kirche auf Widerstand gestoßen sind, aber nicht bei den Basisbewegungen. Da tut sich ja gerade bei Maria 2.0 etc. sehr viel. Gibt es da eigentlich auch eine Parallele im Sport?

Seppelt: Ja, die gibt es. Ich rede aber da eher vom Leistungssport. Es gibt zum Beispiel "Athleten Deutschland". Das ist eine Organisation, die sich vor ein paar Jahren gegründet hat. Soweit ich weiß, sind sie jetzt fünf Jahre alt. Das ist eine unabhängige Athletenorganisation. Die ist ein Stück weit eine Konsequenz aus der Tatsache, dass Athleten bisher immer nur unter dem Schirm des IOC oder des Deutschen Olympischen Sportbundes als Kommission für mich wie so eine Art Anhängsel existiert haben. Letztendlich konnten sie aber keine eigenen Interessen vertreten. Das war wie bei einer fehlenden Gewerkschaft, als wenn die Arbeitnehmer der verlängerte Arm der Arbeitgeber sind. So hat es funktioniert.

Was im Sport dringend nötig war und jetzt ein Stück weit Realität ist, ist, dass es nun so etwas wie eine Art Athletengewerkschaft gibt. Es gibt nun Leute, die auf der anderen Seite des Tisches sitzen gegenüber den Sportfunktionären oder auch den Sportpolitikern. Das ist auch gut so. Das gibt es im Sport mit "Athleten Deutschland". Die haben inzwischen Tausende von Mitgliedern, der Zulauf war und ist, nehme ich an, immer noch sehr hoch. Das ist eine Art Gegenbewegung, die nötig ist, um zu zeigen, dass nicht alleine eine Institution bestimmt, wo es langgeht, sondern auch andere.

Was die Kirche betrifft, finde ich: Es ist eben nicht so, dass die katholische Kirche bestimmen kann, wie Menschen zu denken, zu leben und zu fühlen haben. Es ist aus meiner Sicht jedenfalls nicht so, dass die katholische Kirche darüber bestimmen kann, wer zur Kommunion geht oder wer nicht zur Kommunion geht. Was maßen sie sich an, darüber entscheiden zu können, wer gottgewollt ist und wer nicht gottgewollt ist? Ich finde das so was von anachronistisch und das finde ich noch einen Zacken schärfer als beim Sport, weil das ja nun auch ganz elementare Fragen des Lebens aufwirft.

Von Renardo Schlegelmilch