Umstrittene Ernennung: Päpstliche Akademie für das Leben in der Kritik
Die Mitteilung vom 15. Oktober klang zunächst wenig aufregend. Papst Franziskus hatte 14 neue Mitglieder der "Päpstlichen Akademie für das Leben" ernannt. Auch ein Deutscher ist darunter, der Offenbacher Palliativarzt und Medizinethiker Stephan Werner Sahm (63). 2016 veröffentlichte er das Buch "Sterbebegleitung und Patientenverfügung. Ärztliches Handeln an den Grenzen von Ethik und Recht". Sahm ist einer, der für den Respekt vor dem Leben an dessen Ende eintritt – und war damit ein unstrittiger Kandidat für das 1994 von Johannes Paul II. gegründete Beratergremium, das auf dem schwierigen und dynamischen Gebiet der Bioethik das höchste kirchliche Lehramt berät.
Für mehr Aufsehen sorgte da schon die Ernennung eines muslimischen Rechtsgelehrten, Saad Al-Din Mosaad Helaly von der Al-Azhar-Universität in Kairo. Er hatte sich 2020 öffentlich gegen die Rück-Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee ausgesprochen und sich damit klar gegen eine bestimmte Variante des politischen Islam positioniert. Doch allein die Tatsache, dass er als Muslim in die Päpstliche Akademie aufrückte, war bemerkenswert.
Wirbel um Ernennung von "Pro-Choice"-Befürworterin und Atheistin
Den größten Wirbel freilich löste die Ernennung der bekennenden Atheistin Mariana Mazzucato aus, die in London Wirtschaftswissenschaften lehrt. Die italienischstämmige Mutter von vier Kindern lehrt und forscht vor allem über das Thema Umwelt und Wirtschaft, das auch Papst Franziskus sehr am Herzen liegt. Er hat eines ihrer Bücher ("The Value of Everything") gelesen und es in einem seiner Bücher zitiert.
Aber sie hat im Zusammenhang mit der Debatte um das jüngste Grundsatzurteil das US-Supreme Court zur Abtreibung in einem Tweet keinen Zweifel daran gelassen, dass sie auf der Seite der "Pro-Choice"-Befürworter steht, die ein Recht auf Abtreibung postulieren. Deswegen gab es vor allem unter konservativen katholischen Publizisten (und Bischöfen) in den USA massive Kritik an ihrer Ernennung. Sie fürchten, dass der Gründungsauftrag der Akademie, die kirchliche Lehre von der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tod weiterzuentwickeln und zu fördern, verwässert oder gar in Frage gestellt wird, wenn künftig jemand wie Mazzucato dort mitdiskutiert.
In einer Stellungnahme haben der Akademie-Präsident, Erzbischof Vincenzo Paglia, und der Kanzler der Einrichtung, Monsignore Renzo Pegraro, daran erinnert, dass zur Lebens-Akademie seit ihrer Neuaufstellung unter Franziskus Frauen und Männer nicht nur aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen, sondern auch mit unterschiedlichem weltanschaulichem Hintergrund gehören sollen. Dies sei in einer sich rasch verändernden Welt nötiger denn je, um mit Menschen in Dialog zu kommen, die einen Sinn und Hoffnung für ihr Leben suchten.
Damit bewegen sich Paglia und Pegraro ganz auf der Linie des neuen Statuts, das Franziskus dem Gremium 2016 gegeben hatte. Darin hieß es, dass die bis zu 70 Akademie-Mitglieder unabhängig von ihrer Religion oder Nationalität ausgewählt werden. Weiter betont das Statut die wissenschaftliche Autonomie des Gremiums. Der in den alten Statuten von 1994 enthaltene Vorschrift, wonach die Mitglieder das "Manifest der Diener des Lebens" unterschreiben sollten und sich dazu verpflichten sollten, gemäß dem Lehramt der Kirche zu handeln, ist unter Franziskus weggefallen.
Er möchte, mehr noch als in den von ihm geförderten synodalen Prozessen, in den akademischen Beratungsgremien der Kirchenleitung eine freie Debatte zwischen unterschiedlichen Standpunkten ermöglichen. Eine Sicherheitslinie hat der Papst freilich eingebaut: Offizielle Empfehlungen der Akademie an den Papst und die Kurie müssen zuvor von der Glaubensbehörde geprüft werden.
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Um seine Unterstützung für Paglia zu unterstreichen, empfing Franziskus den Erzbischof am 22. Oktober, dem Festtag des Heiligen Johannes Paul II., im Vatikan. In einem von der Akademie verbreiteten Kommunique hieß es dazu: "Während der Audienz wurde die gute Entwicklung betont, die das Institut Johannes Paul II. und die Akademie für das Leben seit 2016 gemäß der Hoffnung von Papst Franziskus genommen haben, als er Erzbischof Paglia zum Großkanzler des Instituts ernannte." Weiter hieß es in dem Text, Paglia habe die Projekte der Akademie für die kommenden Monate vorgestellt und vom Papst "volle Wertschätzung dafür erhalten."
Zwei Monate vor der Polemik um Mazzucato waren die Akademie und ihr Leiter Paglia schon einmal in die Schlagzeilen geraten. In einer Fernsehdebatte vier Wochen vor den Parlamentswahlen vom 25. September hatte der Erzbischof sich über den seit 1978 geltenden Abtreibungsparagrafen 194 des italienischen Strafrechts geäußert. Dieser sieht unter bestimmten Bedingungen (dazu gehört unter anderem eine Beratungspflicht mit siebentägiger Bedenkzeit) die Straffreiheit für Abtreibungen im Rahmen einer Fristenlösung vor. Zugleich fordert der Paragraf, dass den Frauen Hilfe angeboten werden muss, um die Gründe zu beheben, die sie zum Schwangerschaftsabbruch bewegen.
Abtreibungsregelung als "Säule" im Rechtssystem Italiens?
In der Debatte sagte Paglia, dass dieser Paragraf inzwischen eine "Säule" des italienischen Rechtssystems geworden sei und dass keine der Parteien im Wahlkampf dazu aufgerufen habe, ihn grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Begriff "Säule" löste im konservativ-katholischen Lager scharfe Kritik aus. Paglia wurde unterstellt, er habe damit die seinerzeit von der Kirche heftig bekämpfte Legalisierung der Abtreibung in Italien im Nachhinein anerkannt und gutgeheißen.
Die Akademie sah sich genötigt, in einer Presseerklärung darauf hinzuweisen, dass Paglia mit seinen Ausführungen keineswegs Abtreibungen gut geheißen habe. Er habe lediglich darauf hinweisen wollen, dass dieses Gesetz inzwischen fester Bestandteil des italienischen Rechtssystems geworden sei. Zugleich erinnerte sie daran, dass der Erzbischof immer wieder für den Schutz des Lebens in all seinen Phasen eingetreten sei und dies auch weiterhin tun werde.