Armer Pfarrer, reicher Pfarrer: Wie das Geld den Pfarreialltag prägt
Der Grundansatz für dieses Gespräch ist ein statistischer: Die Stadt Starnberg ist nach Kaufkraft die reichste Stadt Deutschlands, dort ist Stadtpfarrer Andreas Jall Leiter der Pfarreiengemeinschaft. Die ärmste Stadt ist Gelsenkirchen, dort ist Pfarrer Markus Pottbäcker Propst. Im Interview mit den beiden ging es ums Geld und welche Auswirkungen es auf die pastorale Arbeit hat. Entstanden ist ein Gespräch über die großen Unterschiede in der deutschen Gesellschaft und verschiedenste Zwänge.
Frage: Welchen Einfluss hat das Umfeld, in dem sich eine Gemeinde oder eine Pfarrei befindet, auf die Mittel, die dieser Pfarrei zur Verfügung stehen?
Pottbäcker: Im jetzigen Finanzierungssystem der Kirchensteuer spielt das keine unmittelbare Rolle, denn die Kirchensteuermittel eines Bistums werden zusammengelegt und den Pfarreien in solidarischer Weise übertragen. Das Umfeld zeigt sich eher bei Kollekten oder Spenden – und wird dadurch in Zukunft wichtiger. Denn das Kirchensteuersystem ist in Gelsenkirchen schon jetzt nicht mehr auskömmlich. Die Ausgaben, die wir haben, werden dadurch nicht mehr gedeckt. Wir müssen auf Mittel etwa aus Vermietungen zurückgreifen, um unsere Aufgaben zu erfüllen.
Frage: Herr Jall, ist das bei Ihnen anders?
Jall: Jein. Wir sind keine reiche Stadt, sondern eine Stadt, wo sehr viele reiche Menschen leben. Das ist ein großer Unterschied. Als Pfarrei sind wir nicht reicher als andere Pfarreien. Wenn ich mir die Spendensummen anschaue, habe ich auch nicht mehr Spenden als in anderen Pfarreien vergleichbarer Größe. Es gibt einzelne Spender, die viel spenden, aber unterm Strich ist es nicht überdurchschnittlich.
Frage: Treten die reichen Menschen denn bei Ihnen in Erscheinung, zum Beispiel als Großspender?
Jall: Die reichen Gemeindemitglieder scheuen sich eher davor, besonders in Erscheinung zu treten. Sie sind sowieso schon bekannt und möchten hier einfach nur Gemeindemitglied sein. Dazu kommt die quasi öffentliche Sphäre, die eine Pfarrei umgibt. Wir bekommen Steuermittel und das wissen die Reichen auch. Da muss man schon sehr gezielt anfragen, wenn man etwas bestimmtes gesponsert haben möchte. Zum Beispiel hatten wir die Idee, unten in der Kirche ein Café einzubauen, um auch Menschen mit wenig Geld einen Ort zu geben. Dafür wollten wir eine ordentliche Gastro-Kaffeemaschine kaufen. Die hätte 7.000 Euro gekostet. Das hätten wir uns nicht leisten können. Da sind wir ganz gezielt auf ein Gemeindemitglied zugegangen und das hat uns dann die Sache finanziert – unter der Maßgabe, dass sein Name nicht erwähnt wird. Also: Die Leute sind schon da, aber sie halten sich im Alltag eher zurück.
Pottbäcker: Ich habe mal in dem Gebiet gearbeitet, wo die Gebrüder Albrecht von Aldi gelebt haben. Dort habe ich gelernt: Natürlich sind sie auch deswegen reich, weil sie das Geld nicht ständig ausgeben. Die können sehr gut rechnen und hinterfragen eine Investition genau. Haben wir Vergleichsangebote? Was ist das Ziel? Solche Fragen kamen dann. Sie wollten nicht wie eine Melkkuh behandelt werden.
Jall: Es kommt auch auf den Menschenschlag an. Starnberg ist natürlich auch bekannt für seine Champagnerpartys, dafür gibt es hier einschlägige Läden. Aber diese Art von prolligen Neureichen taucht nicht bei uns in der Pfarrei auf. Was man aus der Presse über Starnberg erfährt, kommt also zu einem großen Teil von einer Schicht, zu der wir als Kirche keinen Zugang haben. Diese Leute wollen nicht spenden, sondern Autos kaufen und Partys feiern.
Frage: Gibt es denn von den bürgerlichen Wohlsituierten eine besondere Anspruchshaltung, etwas für ihr Geld zu bekommen?
Jall: Es ist eine große Erwartungshaltung da, etwa bei der Erstkommunion- oder Firmvorbereitung. Wegen dieser Anspruchs- und Konsumhaltung haben hier auch schon Gemeindereferenten gekündigt, weil es sie genervt hat, zehn Mal am Tag Anrufe mit Sonderwünschen oder fadenscheinigen Entschuldigungen zu bekommen. Nach dem Motto: Ich bin aus der Kirche ausgetreten, möchte für mein Kind aber eine optimale Betreuung. Das ist eine Haltung, die auch mürbe machen kann.
Auf der anderen Seite genieße ich es aber auch, dass es etwa meinen Predigten gegenüber eine Erwartungshaltung gibt. Ich habe mir vor vielen Jahren mal ein Nietzsche-Zitat für meine Predigt herausgesucht, weil ich mich besonders hervortun wollte. Nach der Messe kam dann ein Ordinarius der Münchner Universität zu mir in die Sakristei und hat mir gesagt, dass ich da ziemlich daneben argumentiert habe. So ein aufmerksames Feedback ist für mich natürlich auch ein Ansporn. Das macht die Arbeit spannend. Es gibt keine Predigt, die unkommentiert bleibt, das macht einfach auch der hohe Bildungsgrad. Aber es gibt auch sehr reiche Menschen, die sich als geistig arm begreifen und der Gemeinschaft etwas zurückgeben wollen. Die wollen nicht in die Schablone des Millionärs gepresst werden. Sie wollen als Mensch wahrgenommen werden, als gläubiger Mensch, der sich bemüht, sein Leben zu meistern.
Frage: Herr Pottbäcker, sind arme Menschen dankbarer?
Pottbäcker: Armut ist ein täglicher Kampf. Da ist kein Platz für Dankbarkeit im herkömmlichen Sinne. Eine gewisse Dankbarkeit gibt es schon, weil wir als Kirche helfen. Aber es ist erst mal der Kampf, über den Monat oder sogar über den Tag zu kommen. Dazu kommen sehr große Ängste.
Frage: Fehlen Ihnen da gut situierte Menschen, die Aktionen wie etwa ein Café wie das von Herrn Jall ermöglichen würden?
Pottbäcker: Ich habe schon den einen oder anderen Großspender in der Pfarrei, der manchmal eine soziale Aktion ermöglicht und dafür bin ich sehr dankbar. Aber wir haben ein substanzielles Problem in unserer Stadt wie auch im Ruhrgebiet, das in ganz anderer Weise angegangen werden muss. 40 Prozent aller Kinder hier leben von Hartz IV. Wenn ein großer Arbeitgeber die Stadt verlässt und 200 Arbeitsplätze wegfallen, dann sind diese 200 Arbeitsplätze eine Vollkatastrophe. Das kann in der Region hier nicht aufgefangen werden. Wir haben die bundesweit geringste Quote von Jugendlichen, die auf ein Gymnasium oder eine Gesamtschule gehen. Wir haben also ein großes strukturelles Problem, das Allerschlimmste ist die Perspektivlosigkeit. Da kommt man mit Einzelaktionen und Geld nur sehr bedingt weiter.
Jall: Hier in Starnberg ist die Lebenssituation eine völlig andere. Ich suche seit einigen Jahren eine Verwaltungskraft. Ich finde niemanden, weil München alles aufsaugt. Jeder, der hier Abitur hat, weiß sicher, dass er einen Job bekommen wird. München und der ganze Süden ist eine wahnsinnige Jobmaschine. Mein Problem ist, dass ich keine Münchner Gehälter zahlen kann, deswegen werde ich weiterhin niemanden bekommen.
Diese Situation prägt das Lebensumfeld. Da ist es mir wichtig, dass Gläubige ihre Blasen verlassen. In meinem ersten Jahr habe ich zum Beispiel eingeführt, dass die Firmlinge ein gemeinsames Wochenende verbringen. Dort müssen sie beim Kochen und Abwaschen mithelfen. Der Sohn einer sehr reichen Familie hat mir danach erzählt, dass er bei diesem Anlass zum ersten Mal mit einer Jugendlichen gesprochen hat, die von Hartz IV lebt. Solche Anlässe sind die einzigen Punkte, wo diese Blasen, die hier nebeneinander existieren und zwischen denen zum Teil überhaupt kein Austausch mehr besteht, in Berührung kommen. Das ist für mich ein Dienst an der gesellschaftlichen Einheit.
Frage: Wie gehen Sie auf diese unterschiedlichen Lebenswelten in der Pastoral ein?
Pottbäcker: Die Menschen in Armut werden in den Gottesdiensten und in den Gemeinden nicht sichtbar. Da erscheint die bürgerliche Mitte, die es hier im Ruhrgebiet auch gibt. Die Abgeschlagenen kommen mit uns eher durch die Caritas in Kontakt oder die katholische Jugendberufshilfeeinrichtung, die wir betreiben. Das sind die Orte, die hier für die Menschen wichtig sind, nicht die Gottesdienste. Sie fallen eher bei Anlässen wie der Kommunionvorbereitung auf. Wenn wir dann sagen, das kostet jetzt für das halbe Jahr 30 Euro oder 35 Euro, weil ein Wochenende dabei ist, müssen einige Leute schlucken, weil sie das Geld nicht haben. Sie sind dann oft sehr verschämt, wenn sie um Unterstützung oder ein Ratenzahlungsmodell bitten. Das berührt mich sehr.
Jall: Das ist auch bei uns so. In dieser Stadt, wo Ferraris und Porsches die meiste Zulassung europaweit haben, treffe ich als Caritaspfarrer Leute, die nicht wissen, wie sie über das Wochenende kommen sollen. Sie schämen sich und tauchen im Gottesdienst nicht auf. Ich habe mal versucht, eine Benefizveranstaltung zu organisieren, dafür konnte ich einen Golfclub als Sponsor gewinnen. Die Mitglieder des Golfclubs haben sich unglaublich viel Mühe gemacht und tolle Geschenke gekauft, es war ein tolles Fest mit großartigem Essen. Dazu haben wir die 50 Menschen eingeladen, die wir regelmäßig unterstützen, zum Beispiel, weil sie obdachlos sind. Aber sie sind nicht gekommen, weil sie sich für ihre Armut geschämt haben. Ich habe die Geschenke und das Essen dann der Caritas gegeben und die Betreuer dort haben es den Menschen nach Hause gebracht.
Frage: Sehen Sie es als Problem, dass das traditionelle kirchliche Angebot Menschen außerhalb der bürgerlichen Mittelschicht kaum erreicht?
Pottbäcker: Ja, natürlich. Alleine was unsere Sprache angeht, was den Nachvollzug von Riten, von Symbolen betrifft. Die ganze Frage, wie ich predige, welche Worte ich benutze. Das alles ist für die Menschen am Rand der Gesellschaft kaum zugänglich.
Jall: Ich habe jedes Jahr etwa 70 Firmlinge, von denen müssten statistisch gesehen 15 aus der Mittelschule kommen. Aber sie kommen nicht zur Katechese. Ich gehe extra in die Mittelschule und feiere die Schulgottesdienste, damit sie mein Gesicht kennen. Aber da bleibt eine Barriere, auch - aber nicht nur - sprachlich. Sie haben in der Innenstadt, wo unsere Kirche ist, das Gefühl, dass sie dort nicht hingehören. Dort sind Cafés, die sie sich niemals leisten könnten. Und so sind meine Firmlinge zu 95 Prozent Gymnasiasten.
Frage: Engagieren sich bei Ihnen viele Menschen ehrenamtlich?
Jall: Leider nein. Die gehobene Mittelschicht, die mein Hauptklientel ist, hat leider wenig Zeit. Um sich das Leben hier leisten zu können, muss man entweder von Haus aus reich sein oder sehr viel arbeiten. Das Leben hier ist teuer, bei Familien müssen beide Ehepartner voll arbeiten, um es einigermaßen komfortabel zu haben. Dazu kommt eine sehr freizeitorientierte Lebenseinstellung. Während der Schulferien Veranstaltungen anzubieten ist sinnlos, weil dann keiner kommt. Die Menschen sind dann im Urlaub. Im Herbst geht's auf irgendeinen Wellnessurlaub, im Winter zum Skifahren, Ostern irgendwo nach Mallorca. Das sind dann auch die Leute, vor denen meine Mitarbeiter so viel Angst haben. Wenn ich als Gemeindereferent für die dritte Klasse Religionsunterricht gebe und bekomme Beschwerden oder vielleicht sogar einen Anwaltsbrief, weil ich es gewagt habe, dem Sohn eine fünf zu geben – das nervt einfach. Die Menschen sind sehr erfolgreich und vertrauen auf ihre Kraft und auf das, was sie sich leisten können. Deshalb stehen sie für ihr Recht ein.
Pottbäcker: Und aus Gelsenkirchen ziehen die Leute weg, wenn sie es können. So reproduzieren sich die Zustände immer und immer wieder. In der Jugendberufshilfe erlebe ich Jugendliche, die die große Vision haben, einen Tattooshop aufzumachen. Wenn man ihnen dann sagt, dass es davon schon genug gibt, haben Sie keine Vision für die Zukunft mehr. Es fehlt eine Perspektive, weil es auch durch diese Reproduktion wenig Input von außen gibt.
Frage: Wir haben viel über gesellschaftliche Spaltung gesprochen – und die wird größer. Die Kirche hat mit ihren traditionellen Angeboten das Problem, dass sie die Ränder nicht erreicht. Was muss also nun passieren?
Pottbäcker: Da würde ich erstmal deutlich widersprechen: Wir erreichen Menschen. Wir erreichen sie allerdings nicht im Sinne einer Rekrutierung, dass sie am Sonntag im Gottesdienst auftauchen. Aber diese Komponente ist mir vollkommen egal. Denn als die Kirchen noch voll waren, hat das auch nichts gebracht. Wenn in den 1950er Jahren alles so brillant gewesen wäre, müssten wir ja davon zehren können. Können wir aber leider nicht.
Wir erreichen Menschen im Gottesdienst und wir erreichen Menschen bei der Caritas. Wir haben mehrere Krankenhäuser, Altenheime, Kinderheime. Wir haben diverse Angebote der Caritas. Wir haben ein Angebot für Suizidprävention für unter 25-jährige, bei der sich die jungen Menschen gegenseitig beraten. Das ist ein großes Thema hier. Also: Wir erreichen eine ganze Menge Menschen. Aber das ist nicht ablesbar an der Teilnehmerzahl des sonntäglichen Gottesdienstes. Das ist auch nicht die Kategorie, in der ich denke. Ich denke an die Seligpreisungen und an die Brotvermehrung Jesu: Nach der Brotvermehrung waren auch nicht mehr viele da. Aber Jesus hat diese Menschen nicht verurteilt. Also tue ich das auch nicht.
Frage: Man erreicht die Menschen also, aber nicht alle immer gemeinsam. Auch wenn Gemeinschaft im Glauben einer der Grundpfeiler der Kirche ist.
Jall: Ich versuche, bei jeder Predigt und jedem Grußwort die Blicke der Menschen zu öffnen: Leute, schaut auf eure Welt, sie ist so viel größer und vielschichtiger als nur eure Blase. Aber ich muss ehrlich gestehen, das ist nur ansatzweise möglich. Es ist unglaublich schwierig, menschliche Grenzen zu überwinden. Aber es ist unserem Chef genauso schwergefallen, die Zöllner und die Pharisäer zusammenzubringen. Es ist halt unglaublich mühsam – und dennoch müssen wir uns um Einheit bemühen.