Kinder brauchen die Unterstützung der Gemeinschaft

Moraltheologinnen: Kirche muss sich für neue Familienformen öffnen

Veröffentlicht am 12.12.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Salzburg ‐ Wenn zwei Menschen ein Kind bekommen, aber kein Liebespaar sind, hat dieses sogenannte Co-Parenting bislang in der Kirche kaum Platz. Im Interview sprechen die beiden Theologinnen Bernadette Breunig und Angelika Walser über Ansätze und die wichtigen Werte für Familien.

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Co-Parenting: Zwei Menschen bekommen und erziehen zusammen ein Kind, sind aber kein Liebespaar. Zum Teil haben beide Elternteile mit anderem Menschen Beziehungen. Was bedeutet das alles aus theologischer Sicht? Die Salzburger Moraltheologin Angelika Walser und ihre Doktorandin Bernadette Breunig forschen zu dem Thema. Im Interview sprechen sie über Differenzen zur Ehe und eine notwendige Wertschätzung.

Frage: Frau Walser, wie kommt man auf die Idee, sich aus theologischer Sicht mit Co-Parenting zu beschäftigen?

Walser: Ich bin theologische Ethikerin und eines meiner Schwerpunktgebiete ist Reproduktionsmedizin. Insofern suche ich schon fast routinemäßig im Internet nach den Themen Familiengründung, Reproduktionstechnologie und so weiter. Zufällig bin ich dabei auf eine Seite gestoßen, auf der es eine Art Dating zur Familiengründung gibt. Kurz zuvor war die Enzyklika "Amoris laetitia" von Papst Franziskus veröffentlicht worden, in der er geschrieben hatte, dass die Kirche auch Familiensituationen würdige, die noch nicht oder nicht mehr in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre sind. Er hat dabei sehr stark mit dem Gradualitätsprinzip argumentiert, wonach solche Verbindungen sozusagen ein Schritt auf dem Weg sind.  Für katholische Verhältnisse war diese Würdigung schon sehr viel. Zudem habe ich immer wieder zu Freundschaften geforscht. Es kamen also mehrere Faktoren zusammen, weswegen mich das Thema interessiert hat.

Frage: Frau Breunig, was haben Sie dann genau gemacht?

Breunig: Ich habe Menschen auf dieser Plattform interviewt, warum, mit welcher Motivation und wie sie eine Familie gründen wollen. Mehrheitlich ging es um einen Wunsch für die Zukunft, es gab aber auch zwei oder drei Paare, die das bereits leben. Zudem ging es um Werte wie Verantwortungsbewusstsein oder Kinderrechte. Daraus hat sich ein Bild dieser Familienform ergeben.

Frage: Beim Thema Co-Parenting bietet sich der Vergleich mit der Ehe an. Gibt es von den Werten her große Unterschiede?

Breunig: Mit Blick auf Werten gegenüber dem Kind oder was Elternschaft betrifft, kaum. Alle möchten verlässliche und gute Eltern sein, das Kind lieben und es annehmen wie es ist. Der Unterschied liegt in der Beziehung zwischen den Elternteilen. Da gelten nicht dieselben Werte wie jetzt gegenüber einem Ehepartner.

Bild: ©Universität Salzburg

Die Salzburger Moraltheologin ANgelika Walser (l.) und ihre Doktorantin Bernadette Breunig.

Frage: Es gibt durchaus Ehen, wo Liebe nicht die große Rolle spielt, sondern wo Ehepartner sagen, dass sie Respekt voreinander haben und ein gutes Team sind, vor allem bei der Erziehung der Kinder. Wie beim Co-Parenting. Verschwimmen da nicht die Grenzen?

Walser: Das kirchliche Familienleitbild beziehungsweise die Vorstellungen von Ehe haben sich im Laufe der Zeit verändert und sind durchaus sehr vielfältig. Historisch hat die Kirche lange den Standpunkt vertreten, dass die Ehe einfach nur für die Zeugung von Kindern da ist. Heute hat sich das kirchliche Ideal verändert. Einer der entscheidenden Unterschiede ist aber: Co-Parenting verzichtet auf die Exklusivität ehelicher Bindung. Die beiden Co-Parents leben manchmal ganz bewusst Beziehungen außerhalb der von ihnen gegründeten Familie. Das gibt es idealerweise in einer ehelichen Beziehung nicht.

Frage: Dennoch sieht der Papst solche Beziehungs- und Familienformen lediglich als Vorstufe zur Ehe. Warum?

Walser: Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist Fortpflanzung nicht mehr der erste Zweck einer Ehe, sondern es geht um Liebe und gegenseitige Hingabe. Amtskirchliche Texte wie "Donum Vitae" formulieren ein Recht des Kindes, aus dem sexuellen Akt der personalen Ganzhingabe zweier Personenhervorzugehen. Beim Co-Parenting ist dies definitiv nicht der Fall, daher kann es hier keine Gleichstellung mit der Ehe geben. Man fragt sich allerdings immer wieder, worauf sich amtskirchliche Argumentation bezüglich des soeben genannten Akts stützt und ob die naturrechtliche bzw. die personalistische Argumentation einer Theologie des Leibes von Papst Johannes Paul II. hier wirklich zufriedenstellende Begründungen liefern kann. Hier kommt es zu einer unglaublichen Idealisierung des einzelnen ehelichen Aktes, der vermutlich von kaum einem katholischen Ehepaar dieser Welt ordnungsgemäß vollzogen werden kann. Papst Franziskus kritisiert in "Amoris Laetitia" selbst, dass auf diese Art und Weise vielen Menschen die Lust und die Freude genommen wurde, sich überhaupt auf die Ehe einzulassen. Andere Lebensformen wahrzunehmen und wertzuschätzen ist also an sich schon ein Fortschritt. "Amoris Laetitia" ist mit den klassisch-kirchlichen Formulierungen früherer Dokumente wie beispielsweise "Familie als Hauskirche im Gegensatz zur großen bösen Welt da draußen" sehr zurückhaltend. Da sind das heute dann schon ganz andere Töne.

Frage: In Deutschland gibt es ein Gesetzesvorhaben zu Verantwortungsgemeinschaften, die Kirche ist dagegen. Wieso?

Walser: Das ist wie bei all diesen Themen, Homosexualität etwa auch. Da fährt die Kirche meines Erachtens mit ihrem Differenzmodell gegen die Wand. Die Kirche macht das aus identitätspolitischen Gründen, was sehr viele andere religiöse Gemeinschaften auch tun, um sich abzusetzen und ihr Profil zu schärfen. Die Frage ist aber, ob man damit der Würde jener gerecht wird, die die Lobby der Kirche so dringend brauchen: Familien und Kinder. Der Schutz von liebevollen Beziehungen zur Wahrung der Menschenwürde muss ein Anliegen der Kirche sein. Da muss sie auf diese Differenzpolitik verzichten, um sich darauf zu konzentrieren, worum es wirklich geht. Denn Kinder und Familien aller Art sind in unserer Arbeitswelt heute total unter Druck. Sie kämpfen an allen Ecken und Enden und sie brauchen institutionelle Absicherungen.

Ein Priester legt seine Stola um die Hände eines Paares
Bild: ©KNA

Die monogame, verschiedengeschlechtliche Ehe steht bis heute im Zentrum des katholischen Familienbilds.

Frage: Hat die Kirche denn nicht auch ein Stück weit Recht, dass durch Co-Parenting am Ende die Ehe entwertet wird?

Breunig: In den Interviews wurde mir sehr deutlich, dass ganz viele das Ideal einer Familie haben oder hatten. Sie sind aber an der Realität gescheitert. Es gab keinen Partner oder Partnerin, die dauerhaft den Kinderwunsch geteilt haben. Viele haben dann überlegt, wie sie ihren Traum dennoch verantwortungsbewusst leben können. Das Ideal einer Familie mit Ehe hat dadurch nicht gelitten, das zeigen auch viele Jugendstudien, in denen der Wunsch nach Ehe und Familie auch bei jungen Menschen ungebrochen Konjunktur hat.

Frage: Sie haben aber auch Probleme und Fallstricke des Co-Parenting-Modells gefunden. Welche waren das denn?

Breunig: Ein erster Fallstrick ist, dass das Projekt Kind so im Vordergrund steht. Das Kind wird von Anfang an wie ein Projekt geplant, damit können überhöhte Erwartungen an das Kind verknüpft sein. Zudem ist schwierig, dass die Beziehung zwischen den Eltern mit einer Freundschaft relativ unklar und schwammig ist. Wie sich diese Freundschaft im Laufe der Jahre entwickelt, wie stabil sie ist, das ist unklar. Wie weit unterstütze ich den anderen, wenn es zu Problemen kommt? Das ist nicht abschließend geklärt.

Frage: Welchen Platz können Co-Parenting-Gemeinschaften in der Kirche und der Theologie haben?

Walser: Das sind liebevolle Gemeinschaften, die Absicherung und Anerkennung brauchen. Im Sinn des Gradualitätsprinzips können sie als ein neuer Versuch gewürdigt werden, im Rahmen der sehr hektischen neoliberalen Arbeitswelt Familienwerte wie Partnerschaftlichkeit und Verlässlichkeit zu leben. Sie müssen und sollten nicht als Vollform gewürdigt werden. Denn es gibt Leerstellen: Das Versprechen eines Zueinanderstehens in guten und bösen Tagen zum Beispiel als ein ganz zentrales Moment der katholischen Ehelehre wird bei dieser Form nicht einmal in der Intention anvisiert. Es gibt also deutliche Unterschiede. Aber der Versuch, Kindern einen geschützten Raum zu geben, sollte gewürdigt werden.

Frage: Wie könnte das aussehen?

Walser: Das könnten Segensfeiern wie bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sein, aber auch pastorale Angebote. Wir brauchen ein radikales Umdenken bezüglich der Realität von Familien. Da muss sich die Kirche öffnen.

Von Christoph Paul Hartmann