Standpunkt

Der niedrige Gottesdienstbesuch nach der Pandemie hat viele Gründe

Veröffentlicht am 22.12.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Bonner Kirchenrechtlerin Judith Hahn sagt: Der niedrige Gottesdienstbesuch nach der Corona-Pandemie ist ein Boykott gegen die kirchliche Hierarchie. Das trifft aber höchstens für einen kleinen Teil der Menschen zu, schreibt Björn Odendahl.

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Für die Bonner Kirchenrechtlerin Judith Hahn ist der Grund, warum so viele Gläubige den Gottesdienstbesuch nach der Corona-Pandemie nicht wieder aufgenommen haben, klar: Wer die Eucharistiefeier boykottiert, boykottiert auch die amtskirchliche Ekklesiologie und eine bestimmte Vorstellung von Kirche. Die Theorie stimmt beinahe hoffnungsvoll, legt sie doch nahe, dass durch Reformen in der Ämterfrage – so unmöglich diese aktuell auch zu sein scheinen – die Gottesdienstbänke wieder gefüllt werden könnten.

Doch die Gründe für den sich im Sinkflug befindenden Gottesdienstbesuch sind vielfältiger. Da ist natürlich der Missbrauchsskandal in der Kirche, der seit der MHG-Studie von 2018 immer mehr Menschen vertreibt.

Da ist die ältere Generation, die in vielen Teilen aus Gewohnheit und Pflichtbewusstsein sonntags die Messe besuchte – auch, weil die Kirche in der Vergangenheit mit dem Verlust des Seelenheils drohte. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Doch haben viele ältere Menschen erst in der Pandemie gemerkt: Es geht auch ohne. Ich vermisse gar nichts. Und: Ich werde auch nicht vermisst!

Und dann sind da die Jüngeren, für die die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen etwa in der Kommunion- und Firmvorbereitung oder der Messdienerschaft den Ausschlag für eine Bindung an die Pfarrei und damit den Gottesdienstbesuch gegeben hat. Für sie spielte der Freizeitfaktor die größere Rolle als die Bedeutung der Eucharistie an sich. Einmal unterbrochen, ist der Drang, ausgerechnet dieses "Hobby" wieder aufzunehmen nicht groß. Alternativen gibt es genug. Eine katholisch.de-Umfrage hat gezeigt: Durch Corona sind in einigen Bistümern ganze Jahrgänge an Messdienerinnen und -dienern mehr oder weniger verloren gegangen – und damit wohl auch junge Gottesdienstbesucher samt Eltern.

Zu guter Letzt ist es aber auch immer eine Frage der Qualität des Angebots. Alljährlich kursiert in den sozialen Netzwerken das "Bullshit-Bingo" zur Weihnachtspredigt. Heißt: abgedroschene Phrasen, die so oder so ähnlich jedes Jahr in den Kirchen landauf, landab zu hören sind. Was hier humoristisch daherkommt, hat aber einen traurigen Kern: Die Feedbackkultur in der Kirche in Deutschland insgesamt – ganz speziell für die Priester und ihre gehaltenen Gottesdienste – ist mehr als dürftig.

Sicher hat Hahn recht, dass es engagierte Katholikinnen und Katholiken gibt, die aus Verbitterung über fehlende Reformen der Eucharistiefeier fernbleiben. Es dürfte aber die Minderheit sein. Vielmehr hat es die Kirche über Jahrzehnte versäumt, die Bedeutung und – ja! – auch die Schönheit der Liturgie zu erklären und zu fördern. Dass viele Bischöfe nach der Corona-Pandemie die Dispens von der Sonntagspflicht nicht wieder aufgehoben haben, ist ein erstes wichtiges Zeichen. Denn wer Menschen in die Kirche zwingen will, hat schon verloren.

Von Björn Odendahl

Der Autor

Björn Odendahl ist Redaktionsleiter bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.