Bätzing: Papst ist ein Reformer – es gibt aber noch "Luft nach oben"
Georg Bätzing ist seit September 2016 Bischof des Bistums Limburg und seit März 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Im Interview spricht Bätzing (61) über das bevorstehende Weihnachtsfest im Schatten des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise, aber auch über das Tempo kirchlicher Reformen, Papst Franziskus und die Versäumnisse frühere Bischofsgenerationen beim Thema Missbrauch.
Frage: Bischof Bätzing, sind Sie schon in Weihnachtsstimmung oder noch im Weihnachtsstress?
Bätzing: Ich versuche mich im Advent wirklich auf Weihnachten vorzubereiten und lasse mich von den Texten der Liturgie inspirieren. Das hilft mir, mit der Hektik, die die Wochen vor Weihnachten immer auch mit sich bringt, gut zurecht zu kommen. Wir kennen das ja. Alle machen ihre Schreibtische leer, und auch bei mir landen in diesen Tagen viele Anfragen dazu, was noch unbedingt gemacht oder für das nächste Jahr geplant werden muss.
Frage: Ist Weihnachten angesichts des Ukraine-Krieges und vieler Krisen mit seiner Botschaft heute näher als zuvor?
Bätzing: Gerade jetzt muss es Weihnachten geben. Die Botschaft des Festes ist wichtiger denn je: Friede auf Erden durch den Retter, den Gott gesandt hat. Die Idee von einem wohligen, zufriedenen, friedlichen Weihnachtsfest hat eigentlich nie zugetroffen. Das war schon bei der ersten Weihnacht so: Die Heilige Familie war unterwegs, getrieben von den Besatzern, die einen Zensus machen wollten, in einem sehr unruhigen Land.
Frage: Weihnachten 2022 findet mitten in einer brisanten Energiekrise statt. Wie reagieren die Kirchen?
Bätzing: Die enorm gestiegenen Energiepreise bringen auch für die Kirchengemeinden eine erhebliche Belastung mit. Deshalb haben sich 18 Diözesen in Deutschland zusammengetan und Empfehlungen an die Gemeinden gegeben. Die sehen auch vor, die Heiztemperaturen in Kirchen stark runterzufahren auf 5 oder 6 Grad – und auf ein Aufheizen für Gottesdienste zu verzichten. Die Kirchengemeinden entscheiden das letztlich, da die Kirchen in ihrem Eigentum sind. Ich höre auch, dass Gemeinden sagen: Heiligabend und Weihnachten leisten wir uns eine höhere Temperatur, um Menschen nicht vom Besuch der Weihnachtsgottesdienste abzuhalten, die ja sehr beliebt sind. Das trage ich gerne mit.
Frage: Bringen die hohen Energiekosten Gemeinden in Existenznöte?
Bätzing: Im Herbst mussten wir befürchten, dass sich viele Kirchengemeinden überschulden, wenn die Energiekosten um ein Mehrfaches steigen. Deshalb haben wir im Bistum Limburg den Anreiz an die Pfarreien gegeben: Wenn ihr ein Drittel an Heizkosten spart und ein Drittel aus eigenen Mitteln aufbringt, dann zahlen wir als Bistum ein Drittel der aktuellen Kosten. Die Kirchengemeinden erschließen nun Sparpotenziale mit enormer Kreativität und erzielen wirklich gute Ergebnisse.
Frage: Auch durch Umzug in gut beheizbare Räumlichkeiten?
Bätzing: Ja, es ist gut, Alternativen zu suchen. Manche schließen an einem Ort die Kirche und feiern die Gottesdienste in Pfarrzentren. Andere beheizen einzelne Kirchen mit 10 bis 12 Grad und lassen dafür andere kalt. Insgesamt hat das auch dazu geführt, dass wir eine echte Ersparnis erzielen, auch hinsichtlich des CO2-Ausstoßes. Wir haben errechnet, dass wir nun wohl 6.000 Tonnen CO2 einsparen im Bistum Limburg – diese CO2-Menge verarbeiten im Jahr 480.000 Bäume.
Frage: Doch alle Fortschritte im Umweltschutz nützen nichts, wenn der Kirche die Gläubigen abhanden kommen. Angesichts des Missbrauchsskandals sieht die katholische Theologin Julia Knop bei vielen Gläubigen einen "Verlust des Vertrauens, dass es richtig ist, katholisch zu sein"...
Bätzing: Die Kirche selbst, wir haben uns in weiten Teilen unglaubwürdig gemacht, für Viele. Ich möchte, dass die Kirche wieder Heimat wird für die Menschen. Verlorenes Vertrauen kann aber nicht zurückgewonnen werden. Das kann man uns nur wieder neu schenken, wenn Menschen überzeugend leben, so dass sich andere wieder anschließen.
Frage: Denken nicht gerade auch viele der Engagierten über einen Austritt nach?
Bätzing: Ja, das verschärft das Problem. Viele, die sich jahrzehntelang für ihre Pfarrei, das Bistum oder in der Caritas ehrenamtlich engagiert haben, sagen: Der Riss geht so tief, ich kann das nicht mehr. Mir ist das Ausmaß dieser Wut und Frustration bewusst.
Frage: Laut dem aktuellen "Religionsmonitor" der Bertelsmann-Stiftung denkt jedes vierte Kirchenmitglied in Deutschland über einen Austritt nach...
Bätzing: Die Studie habe ich genau gelesen. Mir ist es wichtig, dass die Menschen unseren Willen zur Veränderung wahrnehmen. Das allein reicht natürlich nicht, dass die Menschen in Scharen zurückkämen. Oft sind es Prozesse der Entfremdung, die sich über Jahre oder Jahrzehnte entwickelt haben. Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen und sie fragen: Was brauchst Du von uns? So kann es dazu kommen, dass Sie den Glauben als Option für ihr Leben wieder deutlicher erkennen und das mit der Kirche verbinden.
Frage: Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat den reformorientierten Bischöfen in Deutschland Mutlosigkeit attestiert. Aus seiner Sicht sollte eine Gruppe von etwa zehn Bischöfen beim Papst einen Indult – also eine Sondergenehmigung – beantragen, Frauen zu Diakoninnen zu weihen. Falls der Papst ablehnt, sollte diese Bischofsgruppe gesammelt ihren Amtsverzicht anbieten.
Bätzing (lacht): Nun ist der Kirchenhistoriker Wolf kein Bischof. Er steht nicht in dieser Verantwortung. Mich bewegt derzeit eher die Frage einer möglichen Priesterweihe von verheirateten Männern, sogenannten viri probati ("bewährte Männer"). Zuletzt habe ich verheiratete Diakone geweiht und mich innerlich gefragt: Warum sollen die nicht Priester sein können?
Frage: Fragen Sie sich manchmal: Bin ich selbst eigentlich mutig genug, um das umzusetzen, was ich für richtig halte?
Bätzing: Wenn ich täglich die Kritik lese, die ich auch bekomme, würde ich schon sagen: Du hältst schon manches aus, du gehst deinen Weg geradeaus nach vorne. Ich würde mal sagen: Das ist nicht wenig Mut in dieser Zeit.
Frage: Genügt Ihnen das Tempo der Veränderungen?
Bätzing: Sagen Sie mir mal, in welchen Jahren und in welchen Generationen es Bischöfe gab, die überhaupt ein solches Tempo an den Tag gelegt haben? Ich wünschte, es ginge schneller, aber wir müssen auch möglichst zusammenbleiben und möglichst viele mitnehmen.
Frage: Warum, glauben Sie, haben frühere Bischofsgenerationen beim Thema Missbrauch weggeschaut?
Bätzing: Offensichtlich galt die Maxime: Die Institution ist um jeden Preis zu schützen. Das Leid der Opfer wurde schlicht und ergreifend nicht gesehen, nicht zur Kenntnis genommen, auch weil es keinen direkten Kontakt mit den Betroffenen gab. Und die Betroffenen waren in der Regel nicht soweit, dass sie aufstehen konnten, sie hatten keine Stimme. Das hat sich Gott sei Dank geändert, und das verändert uns alle.
Frage: Sehen Sie Papst Franziskus, der bald 10 Jahre im Amt ist, eher als Inspirator für Reformen oder eher als Bremser?
Bätzing: Der Papst ist eindeutig ein Reformer. Die fast zehn Jahre Franziskus sind ein Glücksfall für die katholische Kirche, nicht nur wegen seiner eigenen Glaubwürdigkeit im Leben und Verkünden, sondern auch mit Blick auf die Wege, die er öffnet. Auch wenn er uns in Deutschland manchmal kritisch gegenübersteht. Er sieht: Kirche wird nur überleben, wenn alle gehört werden. Dahinter werden wir nicht mehr zurückfallen können. Bei Fragen, die alle angehen, ist aber noch viel Luft nach oben, wenn es um transparente Entscheidungswege geht, die viele einbeziehen.