Fundamentaltheologe Magnus Striet zu neuen Franziskus-Äußerungen

Der Synodale Weg "elitär"? Ein irritierender Vorwurf

Veröffentlicht am 31.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Das Kirchenvolk auf der einen, die Eliten auf der anderen Seite? Papst Franziskus' jüngste Äußerungen zum Synodalen Weg irritieren, schreibt der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet in seinem Gastbeitrag – und verweist auf Franziskus' Vorgänger, der ähnlich argumentiert hat.

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Ob es pastorale Fürsorge mit den deutschen Katholikinnen und Katholiken war, die Papst Franziskus zu der Äußerung veranlasst hat, zur "Geduld" zu mahnen mit denen, die den Synodalen Weg mehrheitlich voranschieben, gehört zum päpstlichen Geheimnis. "Böswillig" seien sie nicht, wenn er mit ihnen rede. Womit wohl Bischöfe gemeint sein müssen, denn einen direkten Gesprächskontakt mit Laiinnen des Synodalen Wegs hat es bisher nicht gegeben. Aufhorchen lässt aber etwas anderes an den jüngsten Äußerungen von Franziskus: Der "Synodale Weg" sei kein "echter synodaler Weg", "keiner des Volkes Gottes in seiner Gesamtheit", sondern er werde von "Eliten durchgeführt". Die Gefahr sei, dass etwas "sehr sehr Ideologisches" hineinkomme. Und wenn sich "die Ideologie" "in kirchliche Prozesse" einmische, dann gehe der "Heilige Geist nach Hause". Meint Franziskus die "Eliten", die die Kirche mit ihrer Ideologie infiltrieren? Wahrscheinlich.

Solche Äußerungen haben Tradition im Katholizismus. Im Jahr 1979 erörterte der damalige Erzbischof von München-Freising, Joseph Kardinal Ratzinger, in seiner Silvesterpredigt den "demokratisierenden Auftrag" des römischen Lehramtes damit, dieses habe den "Glauben der Einfachen" gegen die "Macht der Intellektuellen" zu verteidigen. Worin der historische Hintergrund für diese Erinnerung an die Funktion des römischen Lehramtes besteht, ist schnell beschrieben. Kurz zuvor hatte Rom dem Theologieprofessor Hans Küng die Lehrerlaubnis entzogen. Diese causa soll hier aber nicht weiter interessieren. Interessant ist in der Äußerung Ratzingers die Logik, die dort zu finden ist. Dies auch deshalb, weil praktisch zeitgleich mit den gerade zitierten Äußerungen von Franziskus Joseph Ratzinger/Benedikt XVl. nach dessen Tod gerade zu einem Jahrhunderttheologen, gar einem Intellektuellen von Weltrang erklärt worden war. Eliten scheinen nicht gleich Eliten zu sein.

Franziskus scheint zu wissen, was einen "echten" synodalen Weg von einem – wie auch immer dann zu wertenden – anderen synodalen Weg unterscheidet. Wenn er von der Gefahr der Ideologie spricht, so fällt katholisch Informierten sogleich ein, dass im Vatikan seit Jahrzehnten von der "Gender-Ideologie" gewarnt wird. Ob Franziskus gendertheoretische Debatten bei seiner Aussage im Blick hatte, bleibt offen. Ganz unwahrscheinlich ist dies nicht. Schließlich spielt das Thema Gender in den derzeitigen Diskussionen auch auf dem Synodalen Weg eine zentrale Rolle, und es gehört zur Identitätspolitik des römischen Lehramtes seit Jahrzehnten, dass Gender als vom Teufel besessen gebrandmarkt wird.

Woher weiß man, was der Heilige Geist will?

Wann der "Heilige Geist" nach Hause geht, scheint Franziskus sehr genau zu wissen. Er weiß, wann dieser sich seine Auszeit nimmt, weil wohl den Synodalen Weg dominierende "Eliten" sich informationsresistent zeigen, was dieser will. Aber woher weiß man, was "der Heilige Geist" will? Dafür hat Papst Franziskus ein klares Kriterium. Er definiert dieses über das Prinzip der Synodalität, das er in der römisch-katholischen Kirche etablieren oder neu entdecken will, weil es schon immer deren Prinzip war. Gleichzeitig hat er wiederum ein klares Kriterium dafür, wann dieses verwirklicht wird: Offensichtlich dann, wenn das Volk Gottes in "seiner Gesamtheit" synodal unterwegs ist. Und dann wohl auch einstimmig, dem Heiligen Geist folgend, entdeckt, wohin es sich bewegen soll.

Papst Benedikt XVI. hat das diplomatische Corps des Heiligen Stuhls empfangen.
Bild: ©picture alliance/Stefano Spaziani

Von Franziskus führt eine Traditionslienie direkt zu seinem Vorgänger Benedikt XVI.

Man kann dies Lehramtssozialismus nennen oder auch lehramtliche Ideologie. Wenn man sich Texte anschaut, die Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. und damit als lehramtliche Texte veröffentlich hat, so haben diese eine – nüchtern betrachtet nur wenig erstaunliche – große inhaltliche Nähe zu den Texten, die er als Joseph Ratzinger verfasste. Nun könnte man argumentieren, der Heilige Geist habe bereits in den intellektuellen Geburtsstunden Joseph Ratzingers dafür gesorgt, dass dieser damals nichts anderes von sich gegeben habe denn als Papst Benedikt XVI. Man könnte aber auch schlussfolgern, dass die Wahl zum Papst das Denken eines Menschen nicht ändert, das Denken nun einmal aber immer "ein weltlich Ding" ist und man nur hoffen kann, dass der Heilige Geist oder Gott sich mit dem identifiziert, was ein Mensch denkt.

Irritierend bleibt das Anti-Elitäre, das aus den Äußerungen von Franziskus spricht, sowie der implizite Rekurs auf den Glauben der "Einfachen" von Joseph Ratzinger und seiner Diffamierung der Intellektuellen als überheblich. Wenn der vom Juden Jesus, den unzählige Christen immer noch als die einmalige Menschwerdung des einzigen Gottes glauben, bis ins Äußerste, bis in die grauenhaften Qualen des Kreuzestodes hinein Zeugnis ablegen wollte von der unbedingten Liebe Gottes zu einem jeden Menschen, dann ist klar, dass sich diese Liebe nicht abhängig macht von den zufällig verteilten, jedenfalls von vielen Faktoren abhängigen intellektuellen Fähigkeiten von Menschen. Sie gilt. Sie gilt dem gedemütigten, gequälten Leben gegenüber, dann denen gegenüber, die der Zufall der Geburt nicht auf die Sonnenseite des Lebens geworfen hat. Dies sollte theologisch so selbstverständlich sein, dass der theologiepolitische Rekurs auf die "Einfachen" durch den damaligen Erzbischof von München-Freising oder der päpstliche durch Franziskus auf die "Gesamtheit des Volkes Gottes" überflüssig ist. Oder aber er wird argumentationsstrategisch eingesetzt, um unliebsame Argumente, Überzeugungen oder mehrheitlich gefasste Entscheidungen abzuwehren.

Mehrheitsentscheidungen passen nicht ins Konzept

Mehrheitsentscheidungen, an denen Laien beteiligt sind, scheinen allerdings nicht ins lehramtlich-katholische Konzept zu passen. Wenn Joseph Ratzinger vom "demokratisierenden Auftrag" des Lehramtes spricht, so hat dies ganz offensichtlich nichts mit dem Selbstverständnis moderner Demokratien zu tun. Ganz auf dieser Linie hat Kardinal Marc Ouellet direkt bezogen auf den deutschen Synodalen Weg nochmals apodiktisch betont, die Kirche sei "hierarchisch", nicht "demokratisch". Wer sich im geltenden Kirchenrecht nur ein wenig auskennt, wird dies auch nicht bestreiten. Die verfasste Kirche kennt nur ein Prinzip der Wahrheitsfindung, und das ist vertikal organisiert: am Ende entscheidet der Papst. Daran hat auch das Zweite Vatikanische Konzil nicht prinzipiell etwas verändert. Ob die, die ahnten, dass eine autoritäre Gestalt von Kirche keine Zukunft haben und die Moderne nicht einfach verteufelt werden dürfte, genügend theologische Fantasie hatten, um entschiedenere Schritte zu gehen, bleibt eine offene Frage. Joseph Ratzinger hingegen habe die westliche Moderne vereinseitigend unter "Dekadenz-Gesichtspunkten" betrachtet, so das Urteil von Walter Kardinal Kasper im Jahr 2021, und stattdessen auf Autorität gesetzt. Nur was geschieht, wenn die päpstliche Autorität nicht ausreicht, um Gehör im katholischen Volk zu finden? Wenn Katholiken nicht mehr "dogmatische Angestellte" (Karl Mannheim) sein, sondern selbst denken und sich ihr eigenes Urteil bilden wollen? Amtsautorität nur dann akzeptieren, wenn sie überzeugt?

Theologe Magnus Striet
Bild: ©picture alliance/dpa | Patrick Seeger

Magnus Striet ist Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Freiburg.

In der Populismusforschung wird seit geraumer Zeit registriert, wie die Figur des Volkes eingesetzt wird. Bei Protestaktionen beanspruchen Menschen, das "wahre Volk" zu sein, und Politikerinnen behaupten, den "wahren Willen des Volkes" zu kennen. Zugleich wenden sie sich gegen 'die' herrschenden Eliten, wer immer das auch sei. Die strukturell ähnliche Beanspruchung der Kategorie des Volkes und der Eliten bei Franziskus irritiert. Und Joseph Ratzinger hat sich auch nicht auf die Seite der Einfachen, sondern einfach nur auf die Seite derer geschlagen, die so dachten wie er. Und auf diese Weise sind im Übrigen umgekehrt die, die sich ihres Katholisch-Seins besonders gewiss sind, nur dann einverstanden mit ihren Bischöfen und dem Papst, wenn diese denken wie sie. So einfach ist soziologisch betrachtet die Logik, die sich derzeit in den kirchenpolitischen Debatten zeigt. Gibt es Lösungen aus der Krise?

Keine einfache Lösung

Eine einfache Lösung sicherlich nicht, und es wird keine global einheitliche Lösung geben können. Dazu ist der weltweite Katholizismus ein viel zu differenziertes Phänomen. Wo es möglich ist, sollten im Katholizismus partizipative Strukturen erprobt werden, die nicht mehr ausschließlich die Weihe als maßgebliches Kriterium kennen. Die repräsentative Demokratie ist kein Allheilmittel, auch sie ist krisenanfällig. Aber daraus lässt sich noch kein Argument für ein autoritäres Kirchenregime entwickeln, das sich sichtbar als ineffizient erwiesen hat. Leitungspersonen – oder traditioneller gesprochen: Amtsträger – müssten in einer demokratisch-synodal organisierten Kirche darüber ihre Autorität gewinnen, dass sie mit Gründen für ihre Positionen zu überzeugen vermögen. Sie dürften sogar fehlbar sein, wenn sie im Nachhinein feststellen würden, dass einstmals eingesetzte Argumente heute nicht mehr stechen. Sich als irrtumsmöglich und korrekturfähig zu wissen, ist in modernen Gesellschaften ein nachdrücklicher Kompetenzausweis. Nur weil ein solches Kirchenmodell Anleihen aus der Tradition der Reformation nimmt, muss dies im Übrigen kein Argument gegen es sein. Aus dem ohnehin vergifteten Lob, es gäbe in Deutschland doch schon eine gute evangelische Kirche, wird man ja wohl kaum ableiten können, dass die eigene Kirchenstruktur funktioniert. Ein wenig mehr Weihrauch, der in der katholischen Liturgietradition die unendliche Würdigung eines jeden Menschen durch Gott selbst symbolisiert, könnte umgekehrt in den Kirchen der Reformation ja auch etwas Schönes haben. Abgrenzungslogiken hingegen haben immer das Potenzial zu verpassten Chancen.

Eine ominös bleibende Berufung auf 'das' Volk oder 'die' 'Eliten' hingegen sollten kirchliche Verantwortungsträger den Populisten gleich welcher Couleur überlassen. Lieber sollten sie sich mit den liberalen, zugleich für die Interessen der Schwächsten streitenden Demokratieverfechterinnen verbünden, und deshalb, um ihrer Glaubwürdigkeit willen auf die Kraft des besseren Arguments setzen – wenn sie der Idee der Liberalität überhaupt etwas abgewinnen können. Vermutlich nicht. Deshalb werden sie jedenfalls in liberalen Gesellschaften immer mehr ignoriert werden.

Von Magnus Striet