Militärrabbiner: Judentum ist in der Bundeswehr angekommen
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Konstantin Pal ist der erste Militärrabbiner der deutschen Bundeswehr. Seit 2019 gibt es die jüdische Seelsorge für Soldatinnen und Soldaten in Deutschland, im Dezember 2022 wurde Rabbiner Pal verbeamtet – ein Meilenstein, auch für ihn ganz persönlich. Pal selbst hat russische und ukrainische Wurzeln. Sein Glaube gibt ihm in dieser schwierigen Situation Hoffnung.
Frage: Am Montag werden Sie Tu biSchevat feiern. Das ist der 15. Tag des Monats Schevat und das Neujahrsfest der Bäume, also der Beginn des neuen Erntejahres. Jüdinnen und Juden ehren an Tu biSchevat alle Obstbäume, an denen zum Zeitpunkt des Feiertags schon Knospen zu sehen sind oder blühen. In Deutschland ist das jetzt trotz Klimawandels weniger der Fall als in Israel – da ist der Januar der perfekte Zeitpunkt, um frühlingshaft anzupflanzen. Wie begehen Sie den Tag?
Konstantin Pal (Militärrabbiner für die deutsche Bundeswehr): Ich habe noch nichts Festes geplant. Es ist ein Fest, an dem man Bäume pflanzt. Man ehrt nicht nur, man pflanzt auch Bäume. Es ist natürlich hier in der Diaspora etwas schwierig, weil es wirklich noch sehr kalt ist. Wir lassen uns überraschen, ob der Zeiger Plus oder Minus zeigt und ob man überhaupt was pflanzen kann.
Vielleicht pflanzen wir auch ein kleines Bäumchen in Leipzig, auch so als Symbol unseres Anfanges, damit der auch in fünf oder zehn Jahren schön Schatten spendet und entweder Kirschen oder Äpfel hergibt. In Israel ist es aber wirklich ein sehr großes Fest, weil man auch pflanzt, weil es schon ein bisschen wärmer ist und die Bäume sich daher auch besser pflanzen lassen als hier.
Frage: Ich kannte Ihren Feiertag vorher nicht, aber ich habe gelesen, dass man eine Frucht isst, die man in diesem Jahr bisher noch nicht verzehrt hat. Gehört das dazu?
Pal: Genau, das gibt es auch. Ich denke, in meinem Fall wird es eine Erdbeere sein. Ich liebe Erdbeeren. Ich warte immer auf den Sommer, bis auch hier heimische vom Feld geholt werden. Aber diesmal werde ich mich mit einer spanischen Erdbeere zufriedengeben müssen.
Frage: Das Judentum scheint endgültig bei den deutschen Streitkräften angekommen zu sein. Sie sind Militärrabbiner und seit Dezember auch verbeamtet. Der Meilenstein vorher war, dass es seit 2019 ein eigenes Militärrabbinat gibt für die Bundeswehr. Was bedeutet Ihnen das, dass Sie verbeamtet wurden und Militärrabbiner sind?
Pal: Das ist ein Meilenstein auf meinem persönlichen Weg. Im Studium in der Rabbinatsausbildung habe ich ein Praktikum gemacht – im Jahr 2004 bei der Bundeswehr bei der Marine. Für einen Monat lang habe ich einen katholischen Pfarrer begleitet in seiner Arbeit, und dieses Praktikum hat mich sehr begeistert. Ich war Feuer und Flamme, wie man so schön sagt. Die Zeit ging auch sehr schnell vorbei. Dann war lange Zeit nichts, das war eine einmalige Sache damals.
Meine Lehrer in meinem Rabbinerseminar haben mir und meinen Kommilitonen erzählt von ihrer Tätigkeit als Seelsorger bei den Streitkräften der USA. Einer unserer Dozenten war Chaplain (dt. Kaplan, d. Red.) bei der Airforce und in Korea stationiert. Ein anderer Lehrer und Professor war Chaplain bei der US-Navy, also bei den Marine-Streitkräften. Er hat immer begeistert davon erzählt, wie toll es ist, Militärseelsorger zu sein. Das war immer bei mir im Hinterkopf und ich dachte: Wow, das würdest du gerne mal machen! Und wie es so schön heißt: Manche Träume werden wahr … Jetzt bin ich da angekommen, wo ich sein wollte – bei der Militärseelsorge. Die Verbeamtung ist nur noch ein weiteres Zeichen dafür, dass das Judentum in der Bundeswehr angekommen ist.
Bundestag beschließt Wiedereinführung jüdischer Militärseelsorge
Durch die Wiedereinführung jüdischer Militärseelsorger in Deutschland wurde eine Tradition wiederbelebt. Im Ersten Weltkrieg dienten schon einmal Rabbiner in der deutschen Armee.
Frage: Sie begleiten die Bundeswehr in Auslandseinsätze und bei Dauereinsatzaufgaben. Was ist Ihre konkrete Aufgabe? Wie müssen wir uns Ihren Alltag vorstellen?
Pal: Einen Auslandseinsatz gab es noch nicht bei mir, aber es ist sicherlich mal geplant, dass es irgendwann auch ins Ausland geht oder auf eine Übung. Das ist alles noch nicht exakt ausgearbeitet, auch im Blick auf die Zeitpläne, wann es passieren wird. Ansonsten ist unsere Aufgabe, im Alltag Seelsorger zu sein für alle Soldaten – konfessionsunabhängig. Die Seelsorge ist für alle da, nicht nur für jüdische Soldaten, auch für nicht-jüdische Soldaten und auch für nicht-konfessionelle Soldaten.
Denn auch diese Leute brauchen mal einen Ratschlag, sie brauchen mal eine Person zum Sprechen, die nicht im System drin ist, also nicht einen Vorgesetzten oder einen Truppenpsychologen, sondern einen Unabhängigen. Das sind wir. Ein weiterer Punkt ist, für die religiösen Belange der jüdischen Soldaten zu sorgen. Also wenn ein Soldat sagt, er möchte ein Gebet sprechen oder er braucht eine koschere Verpflegung oder wenn er wirklich eine Frage des jüdischen Rechtes hat und die gerne klären würde, dann sind wir dafür da. Ein wichtiger weiterer Baustein unserer Arbeit ist der lebenskundliche Unterricht, den wir an die Soldaten unterrichten.
Frage: Wenn Sie sagen, Sie sind für alle da, mit welchen Sorgen kommen denn Soldatinnen oder Soldaten zu Ihnen?
Pal: Glauben Sie mir, es sind nicht nur religiöse Fragen, mit denen die Soldaten ankommen. Es sind auch ganz alltägliche oder banale Dinge. Das können Familienprobleme sein oder Probleme in der Partnerschaft, auch finanzielle Probleme oder eine Sucht. Das ist alles querbeet, alle gesellschaftlichen Probleme, die Leute haben, damit kommen sie zu uns.
Frage: Was kann die Seelsorge denn ausrichten? Was bedeutet sie Ihren Schützlingen, wenn die dann mit solchen Problemen zu Ihnen kommen?
Pal: Sie haben einen geschützten Raum, in dem sie sprechen können. Einen Raum, wo kein Dienstvorgesetzter sitzt und wo der Truppenpsychologe nicht Meldungen oder Aktennotizen verfasst. Die Person kommt in den Raum und der Raum ist geschützt und vertraulich. Wir unterliegen der Schweigepflicht. Und das, was gesagt wird, bleibt auch im Raum.
Frage: Klappt es, dass jede, jeder die Feiertage begehen kann, je nach der eigenen Religion? Gucken wir jetzt mal auf die jüdischen Feiertage: Wie sieht das aus mit dem wöchentlichen Shabbat zum Beispiel?
Pal: Der wöchentliche Shabbat ist in der Regel unkompliziert, weil die Mehrheit der Soldaten ja von Montag bis Freitag ihren Dienst verrichtet und am Wochenende in der Regel frei hat und somit auch den Shabbat verrichten kann.
Frage: Und andere Feiertage im Laufe des Jahres?
Pal: Da besteht auch die Möglichkeit, die zu verrichten.
Frage: Wie ist die Stimmung untereinander, was die Religionszugehörigkeit angeht – was bekommen Sie da mit? Ist das ein Thema untereinander?
Pal: Ich glaube, eher weniger. Wir sind sehr weit weg von der Zeit, wo es zwei Konfessionen gab in der Bundeswehr. Wir sind eine multikonfessionelle Gesellschaft und wir sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Aber ich glaube, die Religion bleibt im Großen und Ganzen doch eine Privatsache von jedem einzelnen. Sie wird auch nicht thematisiert im Rahmen von Gesprächen.
Frage: Trotzdem ist ja beispielsweise ein ganz großes Thema in Deutschland nach wie vor der Antisemitismus. Er nimmt wieder zu in den vergangenen Jahren. Welche Sorgen bereitet Ihnen das?
Pal: Antisemitismus ist ein großes Thema in der Gesellschaft. Es ist aktuell. Es war auch vor zehn oder vor fünf oder vor 20 oder vor 30 Jahren aktuell. Es hat nie an Aktualität verloren. Es betrifft uns als diejenigen, die davon betroffen sind, umso mehr, weil wir uns damit fast tagtäglich auseinandersetzen müssen.
Und es gibt diesen Antisemitismus auf allen Ebenen der Gesellschaft. Es ist nicht nur eine Randgruppe, die antisemitisch ist, es ist überall in der Gesellschaft leider vorzufinden und somit auch ein Problem, das tagtäglich da ist.
Frage: Es gibt immer mal wieder Auswertungen, welche Berufsgruppe gerade angesehen ist. Besonders auch unter jungen Leuten sind Soldatinnen und Soldaten im Image gestiegen in den vergangenen Jahren. Bekommen Sie davon etwas mit? Was macht das mit den Menschen, die diesen Beruf ausüben?
Pal: Ich denke, dass der Beruf des Soldaten sich auch gewandelt hat. Wir haben eine Berufsarmee, wir sind ja keine Freiwilligenarmee mehr. Somit ist die Entscheidung, zur Bundeswehr zu gehen, für jede Person auch eine freiwillige Entscheidung. Es ist nicht mehr Pflicht. Du musst nicht mehr dienen, du kannst dienen. Und wenn du etwas freiwillig machst und dich freiwillig für etwas entscheidest, hat es einen ganz anderen Hintergrund.
Wer zur Bundeswehr geht, kann für sich selbst entscheiden, das zu machen, weil man der Meinung ist, damit zum Beispiel dafür zu sorgen, dass wir hier in Sicherheit leben oder dafür zu sorgen, dass Europa sicher ist – oder aus welchem Beweggrund auch immer. Damit steigt es natürlich im Ansehen, weil die Leute es gerne und freiwillig machen.
Frage: Wir stehen zur Zeit an einem Punkt, an dem wir als Gesellschaft viel von Konflikten und dem Krieg mitbekommen. In erster Linie in der Ukraine durch Russland, aber längst nicht nur. Wo lässt sich Hoffnung finden in Zeiten der Krisen und des Krieges?
Pal: Selbstverständlich waren die Konflikte immer da. Nur wenn die Konflikte weit entfernt sind, dann tangieren sie einen weniger als wenn die nur 1.500 bis 2.000 Kilometer Luftlinie entfernt sind. Da wird einem viel mehr bewusst, dass nicht weit von der eigenen Tür entfernt etwas passiert.
Hoffnung gibt, wir hatten jetzt vor Kurzem das Chanukka-Fest gefeiert, das nennt sich auch das Lichterfest, an dem wir an acht Tagen an den Sieg der Makkabäer und an das Wunder mit dem Öl im Tempel gedenken. Das Interessante an diesem Tag ist, dass wir acht Tage lang jeden Tag Kerzen anzünden und jeden Tag eine Kerze dazu nehmen. Wenn wir am ersten Tag eine Kerze anzünden, zünden wir am zweiten zwei an, und so weiter – bis wir am achten Tag acht Kerzen anzünden. Wir machen das, weil wir sagen, das Wunder hat zugenommen. Das Wunder wurde mehr – das Wunder vom brennenden Öl. Das Öl hat für mehr Tage ausgereicht, als es ausreichen sollte.
Das brennende Licht symbolisiert Licht, also etwas Positives, weil das Licht die Dunkelheit besiegt. Die Hoffnung ist, wenn man so an Chanukka zurückdenkt, dass das Gute über das Böse siegt. Das Licht vertreibt die Dunkelheit, was auch in der Winterzeit sehr wichtig ist. Das gibt Hoffnung, dass das Gute über das Böse siegt.
Frage: Durch die relativ geringe Entfernung zum Ukraine-Krieg ist der Konflikt natürlich auch in den Köpfen bei den Menschen viel näher gerückt. Was hat das mit den Soldatinnen und Soldaten gemacht? Ist das auch immer mehr Thema bei Ihnen in den Seelsorgegesprächen geworden?
Pal: Es ist auf jeden Fall viel mehr Thema geworden in der Arbeit, ja. Das liegt natürlich auch daran, weil das die Soldaten betrifft und weil sie sich auch bewusst sind, dass dieser Krieg sie auch viel mehr berührt als irgendein Konflikt, der viel weiter entfernt ist. Das ist in der Nähe und wirft auch Fragen auf, was mit uns hier in Deutschland passiert, wenn der Krieg weitergeht und wie er weitergeht.
Frage: Darauf können wir keine Antwort geben. Und Sie vermutlich in den Gesprächen auch nicht…
Pal: Ich kann auch keine Antwort darauf geben. Der Krieg berührt auch uns, auch mich und meine Kollegen. Ich bin selbst aus der ehemaligen Sowjetunion. Und das berührt einen noch mehr, weil man auch doch mit dem Land verbunden ist. Ich habe da eine ganz klare Positionierung, aber es tut weh, das zu sehen. Es tut weh zu sehen, dass ein Krieg in den Ländern passiert, wo man herkommt. Ich habe russische und ukrainische Wurzeln.
Frage: Wie können Sie für sich selbst mit der Thematik umgehen? Wir leben jetzt seit beinahe einem Jahr mit diesem Krieg.
Pal: Es schmerzt. Es schmerzt, das zu sehen. Es schmerzt zu sehen, wie Menschen leiden. Es schmerzt zu sehen, dass Menschen sterben. Es schmerzt zu sehen, dass ein Land zerstört wird, und es schmerzt auch zu sehen, dass Menschen zu so etwas fähig sind. Und das passiert, obwohl man in der Hoffnung gelebt hat, dass in Europa die Zeiten der Kriege vorbei sind und dass wir darüber hinweg sind und dass so etwas nicht wieder passiert.
Natürlich berührt so ein Krieg einen viel mehr, weil es eben in der Nachbarschaft ist. Ich meine, ich habe immer noch die Bilder vor Augen, wie es in den ersten vier bis acht Wochen des letzten Jahres auf dem Hauptbahnhof in Berlin aussah oder auf den Bahnhöfen in Polen, wo die Leute herübergeströmt sind als Flüchtlinge.
Es ist einfach nur beängstigend, weil man wirklich in dem festen Glauben lebte, dass Europa friedlich ist und dass so was nach all den Konflikten, die hier in Europa passiert sind in den letzten Jahrzehnten oder im letzten Jahrhundert, dass so etwas nie wieder passiert. Ich meine, wir haben jetzt 100 Jahre Kriegsende des Ersten Weltkriegs vor Kurzem gehabt. Das muss man sich einfach in Erinnerung rufen, was das für ein Gemetzel war. Wenn dann hundert Jahre später noch ein Krieg in Europa losbricht, der erst mal lokal ist, aber es tut weh, das mit anzusehen.
Frage: Und es bleibt beängstigend. Ich glaube, das bleibt es bei jedem von uns, der die Nachrichten verfolgt...
Pal: Ich glaube, es beängstigt in irgendeiner Weise auch die Soldaten. Auch wenn man sich dafür entscheidet, den Beruf zu wählen, Soldat zu sein, hat man natürlich die Hoffnung, dass nie der Ernstfall eintritt. Der Beruf des Soldaten beinhaltet auch das Töten. Ich denke aber, dass auch die Soldaten sich dann andere Gedanken machen, weil es eben nicht mehr nur Arbeit ist in der Friedenssicherung, in der technischen Hilfe und im Katastrophenschutz. Dann kommen auch die Fragen und Gedanken, was passiert, wenn der Krieg hier in Deutschland – zwar nicht direkt vor der Tür steht, aber wirklich unweit ist.
Frage: Sie haben vorhin schon vom Licht gesprochen und vom Chanukka-Fest, was Sie in der dunklen Jahreszeit feiern und was ja auch diese Hoffnung bei Ihnen im Glauben bringt. Was bringt Ihnen ganz persönlich Hoffnung, Rabbiner Pal?
Pal: Mir bringt es Hoffnung, dass das Gute siegt, wenn auch nicht immer sofort und wenn auch nicht immer gleich, aber irgendwann siegt das Licht über das Dunkel. Das haben wir immer gesehen. Jeder Diktator hört irgendwann auf zu existieren. Jede Diktatur geht irgendwann ein, weil das Böse sich einfach auf Dauer nicht halten kann.