Thomas Schwartz über den Blick der Kirche in Ostmitteleuropa auf die Weltsynode

Renovabis-Chef zu Kontinentaltreffen: Blockbildungen verhindern

Veröffentlicht am 04.02.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Freising ‐ Wie blickt die Kirche in Ostmitteleuropa auf den Weltsynoden-Prozess – und mit welchen Erwartungen fahren ihre Vertreter zum Kontinentaltreffen nach Prag? Im katholisch.de-Interview gibt Renovabis-Chef Thomas Schwartz seine Einschätzung und spricht über mögliche Konfliktthemen zwischen Ost und West.

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In Prag treffen sich von Sonntag an die Delegierten der europäischen Länder zur kontinentalen Etappe des weltweiten synodalen Prozesses. Dabei sein wird auch Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis: Er ist eine von den 44 Personen, die vom Rat der europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) eingeladen wurden. Im Interview spricht Schwartz einerseits darüber, wie der weltweite synodale Prozess in den Ländern Ost- beziehungsweise Ostmitteleuropas – etwa Polen oder Ungarn grundsätzlich aufgefasst wird. Denn gerade unter Gläubigen in Westeuropa herrscht oft das Vorurteil, dass die dortige Kirche von sehr starken Beharrungskräften dominiert werde, die Reformaufbrüchen grundsätzlich skeptisch gegenüberständen. Andererseits erläutert der Renovabis-Chef, was das alles für das Treffen in Prag bedeuten könnte und was er sich selbst erhofft.

Frage: Herr Schwartz, mit welchen Erwartungen fahren die Delegierten aus Mittel- und Osteuropa nach Prag?

Schwartz: Sie fahren einerseits mit einer großen Neugierde: Man hat jetzt eineinhalb Jahre damit verbracht, von unten her – oft graswurzelmäßig – über die Themen, die Rom vorgegeben hat, ins Gespräch zu kommen. Von daher sind sie jetzt gespannt zu hören, wie das in anderen Ländern war. Dafür bietet das Programm auch genügend Möglichkeiten, und ich merke schon, dass es da eine Bereitschaft gibt, von anderen zu lernen. Es ist aber auch eine gewisse Skepsis zu spüren im Blick auf die Synodalität. Bei aller Wertschätzung, dass jetzt nach den zwei Konzilien, die erst den Primat des Papstes, dann ekklesiologisch die Stellung der Bischöfe geklärt haben, tatsächlich Synodalität im Blick auf das Volk Gottes innerhalb der Kirche als Thema zum Tragen kommt: Man weiß nicht genau, wohin das führen wird und was letztlich damit gemeint ist.

Frage: Wie wird in der Kirche in den Ländern im Osten Europas generell der weltweite synodale Prozess aufgenommen?

Schwartz: Durchaus ähnlich wie bei uns im Westen. Viele finden es gut – gerade auch Laien, die zum ersten Mal ausdrücklich aufgefordert wurden, Stellung zu beziehen, weil man ihre Meinung hören und aufnehmen will. Das begeistert viele Menschen, und davon zeugt auch manches in den Synthesen der jeweiligen Länder. Einige sehen darin schon eine Art Aufbruch. Andererseits ist das für manche Bischöfe und Vertreter eines eher klassischen Kirchenbildes auch etwas Herausforderndes, etwas, das eingefahrene Wege anfragt. Das wird natürlich von manchen Beharrungskräften negativ aufgefasst.

Frage: Sehen die Bischöfe den synodalen Prozess demnach reservierter?

Schwartz: Auch bei ihnen ist das unterschiedlich. Viele finden den Prozess klasse. Sie sehen, dass angesichts der Krisenhaftigkeit unserer Zeit, die ja nicht nur durch den Krieg in Europa gekennzeichnet ist, sondern auch durch den Relevanzverlust der Kirche insgesamt und die Missbrauchsskandale, die es nicht nur im Westen gegeben hat, die Kirche vor ganz großen Herausforderungen steht. Da gibt es welche, die diese bewusst annehmen und aus einer geistlichen Grundhaltung heraus als Chance sehen, die Kirche fit zu machen für die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. Andere sehen in diesen Fragen schon so etwas wie eine Vorform von Demokratie, die sie nicht mit ihrem Kirchenbild vereinbaren können.

Das Logo der europäischen Kontinentalversammlung der Weltsynode zur Synodalität in Prag
Bild: ©CCEE

Das Logo der europäischen Kontinentalversammlung der Weltsynode zur Synodalität in Prag

Frage: Gibt es in Bezug darauf, welche Bedeutung man dem synodalen Prozess beimisst, Unterschiede zwischen diesen Ländern?

Schwartz: Ja. Das sieht man ja zum Teil auch daran, dass aus Ländern, die einen relativ kleinen Katholikenanteil haben, etwa Bosnien und Herzegowina und einige baltische Länder, ganz tolle Synthesen zurückgekommen sind, bei denen man merkt, dass es von unten nach oben einen guten Gesprächsprozess gab. In großen "Mehrheitskirchen" geht das Thema, das dieser synodale Prozess anspricht, oftmals ein bisschen unter oder steht hinter vielen anderen Problemen zurück. In Polen beispielsweise habe ich aber schon den Eindruck, dass es gerade bei den jüngeren Vertretern des Episkopats und bei manchen, wie Kardinal Nycz von Warschau oder dem Primas von Polen, Erzbischof Polak, ganz offene Persönlichkeiten gibt, die das als Chance nutzen wollen, über bestimmte Themen zu reden.

Frage: Welche Themen wurden – vielleicht im Unterschied zu den Kirchen in Westeuropa – von dort als besonders bedeutsam zurückgemeldet?

Schwartz: Es ist ganz erstaunlich, dass die Themen eigentlich ähnliche sind, die auch der Synodale Weg in Deutschland zumindest benennt, auch wenn die Art und Weise, wie man zu den Themen kam, durchaus unterschiedlich ist: die Rolle der Frau, nicht nur im Blick auf Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch im Blick auf Fragestellungen, welche Dienste Frauen in der Kirche – gegebenenfalls sogar sakramental – übernehmen. Auch die Frage der priesterlichen Lebensführung wird immer mal wieder genannt. Beispielsweise in Litauen wurde kritisiert, dass Priester Alkoholprobleme und Ähnliches haben. Da wurde dann gefragt, woher das kommt: Ist das möglicherweise mit der Einsamkeit durch den Zölibat verbunden? Die Frage der Mitwirkungsrechte des Volkes Gottes angesichts der Tatsache, dass beispielsweise auch in Polen die Bischöfe spüren, dass die Kirche Menschen verliert und die Relevanz der Kirche für viele Menschen insgesamt kleiner wird, wurde auch gestellt. Die nächste Volkszählung in Ungarn etwa wird die Bischöfe mit der unangenehmen Tatsache konfrontieren, dass die Kirche womöglich nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung darstellt. Und ich bin gespannt, was das für Antworten erzeugen wird. Da geht es eben nicht mehr nur darum, dass man Neuevangelisierung fordert, wenn man nicht weiß, was das bedeutet.

Frage: Wenn wir jetzt auf das Kontinentaltreffen und darüber hinaus schauen: Welche Sorgen macht man sich in Ost- und Ostmitteleuropa? Hat man vielleicht Angst, von Westeuropa "überstimmt" zu werden oder dass die eigenen Anliegen untergehen?

Schwartz: Ja und Nein. Ich erfahre häufig schon, dass unsere Partner in Ost- und Ostmitteleuropa das Gefühl haben, dass die Westeuropäer immer der Meinung sind, sie wüssten alles besser. Andererseits habe ich auch schon die Erfahrung gemacht, dass die ost- und ostmitteleuropäischen Christen und Vertreter der institutionellen Kirche aus ihren Erfahrungen des Resilient-Seins im Glauben in einem antikirchlichen, kommunistischen Gesellschaftssystem manchmal eine Art Überlegenheitsgefühl haben, nach dem Motto: "Wir sind der Hort des wahren Katholischen." Diese beiden Positionen muss man versuchen, zu versöhnen. Deswegen müssen die jeweils eigenen Erfahrungen in West und Ost ernstgenommen werden. Der Krieg in der Ukraine hat die Völker Europas zumindest politisch wieder näher zusammengebracht hat. Diese politische Erfahrung, dass wir ein geeintes Europa brauchen, sollten wir auch kirchlich nicht verloren gehen lassen. Das geht aber nur, wenn man nicht gleich meint, die besten Rezepte für alle zu haben, sondern sich auch mal hinterfragen lässt. Dafür bietet diese Versammlung in Prag gute Gelegenheiten.

Frage: Trotz allem: Erwarten Sie in Prag eine Art West-Ost-Konflikt oder zumindest Bruchkanten, die deutlich zu Tage treten?

Schwartz: Ich kann es nicht ausschließen. Das wäre aber meines Erachtens nichts Schlimmes. Ich meine schon, dass erwachsene Brüder und Schwestern auch mal gemeinschaftlich einen Dissens erleben und aushalten können. Was in jedem Fall vermieden werden sollte: dass es zu einer Sprachlosigkeit kommt, dass man nicht mehr miteinander versucht, auf dem Weg zu sein, sondern nebeneinander oder teilweise gegeneinander. Man sollte verhindern, dass sich unversöhnliche Blöcke bilden.

„Diese politische Erfahrung, dass wir ein geeintes Europa brauchen, sollten wir auch kirchlich nicht verloren gehen lassen. Das geht aber nur, wenn man nicht gleich meint, die besten Rezepte für alle zu haben, sondern sich auch mal hinterfragen lässt.“

—  Zitat: Renovabis-Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz zu Spannungen zwischen den Kirchen in West- und Osteuropa

Frage: Wenn man sich öffentliche Äußerungen von Bischöfen anschaut, hat man den Eindruck, dass es die in Europa bereits gibt…

Schwartz: Das Beharren auf der eigenen "Wahrheitsposition" ist nicht der richtige Weg – auch nicht für westeuropäische Bischöfe. Der Weg ist nicht das Gegeneinander-Reden, sondern der Dialog. Und bevor man dem anderen vorwirft, er sei auf der falschen Spur, sollte man ihm vielleicht zuhören und schweigen. Und schweigen bedeutet in diesem Fall, Gott sprechen zu lassen – das ist ja auch etwas, was der Papst und das Synodensekretariat immer wieder betonen. Das ist eigentlich der tiefste Sinn einer Synode: dass nicht alle "rumpalavern", sondern dass alle im Hören auf Gottes Wort schauen, wohin der gemeinsame Weg am Schluss führt. Das ist etwas, was nur in einer geistlichen Grundhaltung möglich ist. Dafür bete ich jetzt auch in Vorbereitung auf Prag.

Frage: Bei welchen Themen wird man nicht umhinkommen, Tacheles zu reden oder sie zumindest kritisch anzusprechen?

Schwartz: Rede- und Zuhörbedarf wird es sicherlich im Blick darauf geben, wie die Strukturen der Teilhabe der Laien in der Kirche gedacht werden. Ich denke, dass der jüngste Brief der Kardinäle aus Rom an den deutschen Synodalen Weg zum Synodalen Rat sicherlich zu Fragen bei den mittel- und osteuropäischen Bischöfen geführt hat. Da gibt es jetzt eine Chance, das zu erläutern. Deutschland fängt ja in Sachen Partizipation nicht bei null an. Da kann man vielleicht manche Missverständnisse aus dem Weg räumen. Denkbar ist auch, dass es im Blick auf die Positionierung der Kirche in Deutschland und in anderen Ländern zum Thema Sexualethik und die Stellung von queeren Menschen zu deutlichen Diskussionen kommen wird. Das ist aber auch nicht falsch, wenn man das einmal aus den unterschiedlichen Entwicklungen heraus betrachtet. Ich könnte mir letztlich auch noch vorstellen, dass die Frage des Diakonats oder des Priestertums der Frau für manche Episkopate ein rotes Tuch darstellt, sodass es da auch zu großem Dissens kommen könnte. Aber nochmal: Der Dissens ist für mich kein Zeichen des Scheiterns, sondern der Ehrlichkeit. Und schließlich eine Einladung, daraus irgendwann einmal einen Konsens zu machen, indem man Argumente austauscht – und vielleicht noch mehr von den pastoralen Nöten der Menschen überall ausgeht, um dann zu Lösungen zu kommen, die für das Volk Gottes hilfreich sind.

Frage: Sie haben den jüngsten Brief aus Rom an die deutschen Bischöfe angesprochen. Es gab ja einige kritische Briefe zum Synodalen Weg an das deutsche Episkopat – unter anderem auch von den polnischen Bischöfen. Inwiefern wird das jetzt auch in Prag eine Rolle spielen? Schließlich werden sich dort einige Protagonisten treffen... 

Schwartz: Von offenen Briefen halte ich nichts. Man versteckt sich da hinter Papier und bleibt sich inhaltlich wie räumlich fern. Sich gegenüberstehen, in die Augen schauen und miteinander reden, das bringt mehr. Ich hoffe, dass alle mit der Offenheit für echten Dialog nach Prag kommen. Echter Dialog bedeutet, die eigene Position zu hinterfragen und das Gegenüber verstehen zu wollen. Ich wünsche mir, dass das "Prag-Erlebnis" offene Briefe in der Zukunft unnötig macht.

Frage: Was sind Ihre persönlichen Hoffnungen für das Kontinentaltreffen in Prag?

Schwartz: Vielleicht jemand zu sein, der solche Dialoge begleiten kann, vermitteln kann. Was wir auch sonst als Renovabis tun: Gesprächspartner zusammenbringen, eventuell auch Positionen, die unversöhnlich erscheinen, doch verbinden. Ich bin wegen dieser Vermittlungsexpertise, die die osteuropäischen Partner seit 30 Jahren mit dem Namen Renovabis verbinden, nach Prag eingeladen worden. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass wir in Deutschland im Dialog zwischen Ost und West in den vergangenen 30 Jahren nicht alles falsch gemacht haben.

Von Matthias Altmann