Im Mittelpunkt stehen die kirchlichen Strukturen

Soziologen stellen Missbrauchsstudie für Bistum Essen vor

Veröffentlicht am 12.02.2023 um 16:02 Uhr – Lesedauer: 

Essen ‐ Das Bistum Essen hat eine Aufarbeitungsstudie zu Missbrauch in Auftrag gegeben. Untersucht wurden vor allem Strukturen, die Taten begünstigten. Gemeinden sind oft alleingelassen worden, sagt die Studienleiterin.

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Mehr Unterstützung für Gemeinden, in denen Missbrauch geschehen ist, lautet eine Empfehlung einer Aufarbeitungsstudie zu sexueller Gewalt im Bistum Essen. Das kündigte Studienleiterin Helga Dill vom Institut IPP im Bistums-Podcast "Augen auf und hingehört" an. "Es hat sich schon gezeigt, dass die Gemeinden sehr alleine gelassen werden", sagte Dill. Es gebe niemanden, der ihnen bei Schuldzuweisungen und Schuldgefühlen zur Seite stehe.

Am Dienstag stellen die Forschenden ihre vom Ruhrbistum in Auftrag gegebene sozialwissenschaftliche Untersuchung in Essen vor. Laut Dill werden sie dem Bistum weitere konkrete Empfehlungen geben. Durch Studien in anderen Diözesen sei mittlerweile klar, dass kirchliche Amtsträger ihre Verantwortung nur begrenzt oder gar nicht wahrgenommen haben, sagte sie weiter. Die IPP-Untersuchung gehe über rechtliche Bewertungen hinaus und betrachte vor allem den Umgang mit Betroffenen und Tätern, Dynamiken in Gemeinden, die Sprachfähigkeit über das Thema Sexualität sowie weitere Bedingungen, die Missbrauch ermöglichten.

Die Forschenden werteten in den vergangenen drei Jahren Personal- und Geheimakten des 1958 gegründeten Bistums Essen aus. Die Diözese hatte Zugang zu allen Akten und Archiven zugesichert. In seiner Studie greift das IPP sechs Beispielfälle ab den 1970-er Jahren heraus, zu denen es auch Interviews etwa mit Betroffenen führte sowie Gruppendiskussionen in Gemeinden abhielt.

Untersuchung anhand von Beispielfällen

Zu den sechs Beispielen zählen die Fälle der Priester H. und P., die vor Jahrzehnten nacheinander in derselben Gemeinde in Bottrop tätig waren. Vergangenen Mittwoch stellte sich heraus, dass es darüber hinaus seit 1958 in der Ruhrgebietsstadt mindestens drei weitere Priester sowie einen Kirchenmusiker gab, denen sexuelle Gewalt angelastet wird.

H. war bereits Thema in der Aufarbeitungsstudie, die das Erzbistum München und Freising in Auftrag gegeben hatte. Der bereits im Bistum Essen auffällig gewordene Priester kam 1980 nach Bayern, wo er über viele Jahre Missbrauch begangen haben soll. Erst 2010 verbot ihm der damals neue Bischof von Essen, Franz-Josef Overbeck, die priesterlichen Dienste. Der verstorbene Papst Benedikt XVI. – vormals Münchner Erzbischof – bestritt bis zu seinem Tod, 1980 von der Vorgeschichte des Geistlichen gewusst zu haben. H. ist mittlerweile aus dem Priesterstand entlassen.

Vor der Veröffentlichung der Studie am 14. Februar erhält neben beteiligten Gemeinden und Betroffenen auch Bischof Overbeck die Ergebnisse. Er wird nach der Präsentation eine Stellungnahme abgeben. Zudem werden sich zwei Betroffene äußern, die den Verlauf der Untersuchung begleitet haben. Die Initiative Maria 2.0 kündigte eine "Mahnwache gegen Missbrauch" an und forderte eine unabhängige Aufarbeitung.

Die sogenannte MHG-Studie aus dem Jahr 2018 verzeichnet für das Ruhrbistum 85 Betroffene sowie 60 beschuldigte Geistliche seit seiner Gründung 1958. Am Dienstag legt die Diözese aktuelle Zahlen vor. (KNA)