Kohlgraf: Fehlende Geschlechtergerechtigkeit versperrt Weg zu Botschaft
Die mangelnde Geschlechtergerechtigkeit versperrt nach Ansicht des Mainzer Bischofs Peter Kohlgraf den Weg zum Kern der Botschaft der Kirche. "Wir verhindern die Verkündigung des Auferstandenen, indem wir uns in der Frauenfrage verkrallen", sagte Kohlgraf in einem Doppelinterview mit der Münsteraner Theologin Dorothea Sattler in der aktuellen Ausgabe der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". Der Grundtext des Synodalen Wegs zu Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche habe auch deshalb bei der vergangenen Synodalversammlung eine Mehrheit gefunden, "weil fast alle gesehen haben: Das sind Fragen, die in der Weltkirche an vielen Ecken auftauchen. Wir müssen da ran." Auch gegenüber Papst Franziskus habe er in einem persönlichen Gespräch diese Sichtweise vorgebracht. "Wir wollen nicht wie eine Dampfwalze durch die Weltkirche rollen. Es geht darum, tiefer gehende Einsichten zusammenzubringen."
Im Neuen Testament entdecke er einige Argumente für die Weihe von Frauen, etwa die Zeugenschaft für die Auferstehung, so Kohlgraf: "Maria Magdalena zum Beispiel, die auch Papst Franziskus als Apostelin bezeichnet." Sie trete als erste Zeugin der Auferstehung vor die Jünger. "Diese Spur sollte man weiterverfolgen." Argumente gegen die Weihe von Frauen, wonach Jesus nur Männer zu Aposteln berufen habe, könnten schnell ausgehebelt werden. "Wenn gesagt wird: 'Jesus beruft zwölf Männer', muss man bedenken: Die Entwicklung der frühchristlichen Bewegungen vollzog sich differenzierter."
Keine schnelle Lösung, aber Dynamik
Kohlgraf betonte, dass er aktuell zwar keine schnelle Lösung in der Frauenfrage sehe. "Aber in der Kirche gilt auch: Sag niemals nie." Beispielsweise anhand der Widerstände gegen die Weltsynode zeige sich "eine bestimmte Nervosität, die wiederum zeigt: Hier ist Dynamik drin."
Über Dorothea Sattler sagte der Mainzer Oberhirte, er könne sich "eine Bischöfin Sattler ganz hervorragend vorstellen, wenn das weltkirchlich gut geregelt wäre". Sattler, die gemeinsam mit dem Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode das Forum III "Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche" des Synodalen Wegs leitet, sagte dazu, dass sie in einer anderen Lebensphase offen dafür wäre. "Ich müsste mich natürlich prüfen und geprüft werden, ob ich zur Bischöfin berufen bin."
Die Münsteraner Theologin unterstrich, dass sich die römisch-katholische Kirche vor Gott rechtfertigen müsse, wenn sie die Charismen der Frauen nicht für die Verkündigung des Evangeliums einsetze. In der heutigen Situation der Kirche gerade in Deutschland sei es "sehr wichtig, die besten Begabungen zur Verfügung zu haben für die Dienste und Ämter in der Kirche". Es bräuchte aber andere Gründe, begabte, theologisch ausgebildete Frauen wirken zu lassen, als den allgemeinen Priestermangel. Das Schreiben "Ordinatio sacerdotalis" (1994), in dem Papst Johannes Paul II. festhielt, die Kirche habe nicht das Recht, Frauen zu Priesterinnen zu weihen, hält Sattler aufgrund seiner formalen Struktur für dogmatisch nicht letztverbindlich. Auch der Grundtext des Synodalen Wegs zu Frauen in Ämtern der Kirche vertrete diese Argumentation.
Beim Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche setzt die Theologin auf "stetige Veränderung durch wachsende Teilhabe von Frauen an allen Aufgaben in der Kirche" sowie auf "Kulminationspunkte" wie die Weltsynode, deren groß angelegter Vorbereitungsprozess aktuell läuft. Gleichzeitig komme es auch auf Personen wie etwa den Präfekten des Glaubensdikasteriums an. In diesem Amt steht demnächst eine Neubesetzung an, weil der bisherige Leiter Kardinal Luis Ladaria (78) aus Altersgründen aus dem Amt scheiden wird. "Es ist noch nicht klar, wer das wird. Aber ich könnte mir dort Menschen vorstellen, die Prozesse begleiten möchten."
Schon oft hätten sich Lehrmeinungen nicht halten können
Zur Kritik, bei manchen Themen des Synodalen Wegs sei das letzte Wort längst gesprochen, sagte Sattler, die Kirchengeschichte habe schon oft gezeigt, dass eine Lehrmeinung, die sich gegen die theologische Argumentation behaupten wolle, sich am Ende nicht halten könne, etwa bei den Themen Religionsfreiheit, Evolutionslehre oder Sklaverei. Dass die theologische Argumentation nicht gehört werde, könnten sich die Verantwortlichen in Rom nicht mehr leisten. "Es geht einfach nicht mehr, nur zu sanktionieren oder Debatten zu beenden."
In der Debatte um die Einrichtung sogenannter Synodaler Räte in der Kirche in Deutschland wies Bischof Kohlgraf darauf hin, dass niemand an der bischöflichen Verantwortung kratze. Leitungsfragen sollten von sakramentalen Fragen abgekoppelt werden. Im bundesweiten Synodalen Rat sollen künftig Beratungen und Grundsatzentscheidungen von überdiözesaner Bedeutung etwa bei Fragen der pastoralen Planung, der Finanz- und Haushaltsangelegenheiten oder zu Zukunftsfragen der Kirche stattfinden. Der Vatikan hielt zuletzt in einem vom Papst approbierten Schreiben an die deutschen Bischöfe fest, "dass weder der Synodale Weg noch ein von ihm eingesetztes Organ noch eine Bischofskonferenz die Kompetenz haben, den 'Synodalen Rat' auf nationaler, diözesaner oder pfarrlicher Ebene einzurichten".
Der Mainzer Bischof findet es nach einiger Aussage nicht schlimm, dass Rom bei bestimmten Themen Position beziehe. Doch Kurie sei nicht gleich Kurie. "Ich habe in Rom gesagt: Wir bleiben selbstverständlich katholisch in Deutschland. Ein Kardinal hat mich zur Seite genommen und gesagt: Geht euren Weg, macht das." (mal)