Für die Alte Messe macht Rom die Regeln – zu Lasten der Bischöfe
Diözesanbischöfe haben umfassende Dispensgewalt. Ein Bischof hat sogar die Möglichkeit, von der Bindung universalkirchlicher Gesetze zu befreien – "sooft dies nach seinem Urteil zu deren geistlichem Wohl beiträgt" (c. 87 § 1 CIC). Diese Dispensgewalt steht im Mittelpunkt des Konflikts zwischen dem Präfekten des Liturgiedikasteriums, Kardinal Arthur Roche, und Bischöfen, die entgegen der Regelung im Motu Proprio "Traditionis custodes" (2021) die Feier der vorkonziliaren Liturgie in bestimmten Pfarrkirchen erlaubt haben. Den Streit hat Roche für sich entschieden: Papst Franziskus hat am Dienstag Regeln in seinem Sinn erlassen. Aber dass überhaupt ein päpstliches Reskript nötig war, bestätigt zugleich, dass die Position des Präfekten nicht so stark war, wie er sie gemacht hat.
Roche vertrat stets klar die Meinung, dass Bischöfe die Dispens für die Feier der vorkonziliaren Liturgie in Pfarrkirchen nicht gewähren können. Seit Anfang Februar kursierte in traditionalistischen Kreisen das Muster eines Briefs des Kardinals an Diözesanbischöfe, in dem Roche darauf insistiert, dass in zwei Angelegenheiten die Dispensgewalt des Diözesanbischofs zugunsten seiner Behörde eingeschränkt ist: Bei der Erlaubnis der Feier der in Pfarrkirchen und bei der Erlaubnis für nach dem Erscheinungsdatum von "Traditionis custodes" geweihte Priester, nach den Messbüchern von 1962 zu zelebrieren.
In dem Schreiben weist Roche ausdrücklich zurück, dass in diesen Angelegenheiten eine Dispens von dem allgemeinen Gesetz "Traditionis custodes" gemäß c. 87 CIC möglich sein könnte. Als Begründung führt er die Möglichkeit eines Vorbehalts für bestimmte Materien an – und einen solchen Vorbehalt gebe es durch "Traditionis custodes", und zwar in Art. 7 des Motu Proprios: Je nach Zuständigkeit üben das Liturgie- oder das Ordensdikasterium die Autorität des Heiligen Stuhls aus, "indem sie über die Beachtung dieser Bestimmungen wachen". Für den Präfekten ist klar, dass damit auch er und nicht die Diözesanbischöfe Dispensgewalt über alle von "Traditionis custodes" geregelten Materien ausübt. Im Übrigen sei auch der Wille des Papstes klar, so Roche.
Zuvor keine ausdrückliche Einschränkung der Gewalt des Diözesanbischofs
Die Argumentation des Kardinals hat allerdings eine Lücke: Zu den Prinzipien des Kirchenrechts gehört auch, dass eine Einschränkung von Rechten explizit erfolgen muss. Und eine Einschränkung der Dispensgewalt des Diözesanbischofs, wie sie Roche in "Traditionis custodes" sieht, steht dort gerade nicht. Kanonisten haben dieses Argument nach Bekanntwerden des Musterschreibens öffentlich vorgebracht, so etwa der US-amerikanische Journalist und Kirchenrechtler JD Flynn bei "The Pillar": "Roches Schreiben zitiert eine Bestimmung des Motu Proprio, die das Dikasterium mit der Aufsicht über ‘Traditionis custodes’ betraut – aber diese Bestimmung erwähnt keine vorbehaltenen Dispense."
Roche selbst zeigte sich unbeeindruckt von diesen Argumenten; von kirchenrechtlichen Feinheiten wollte er nichts wissen. Gegenüber dem Onlinemagazin "Where Peter is" bezeichnete er es am Freitag als "Absurdität" zu denken, dass der Präfekt irgendetwas anderes tun würde, als die Wünsche des Papstes auszuführen. Der kritische Beitrag im "Pillar" sei kein Angriff auf ihn, sondern auf die Autorität des Papstes: "Und das ist für Katholiken ein außergewöhnlicher Akt voll von Hybris", so der Kardinal.
Durch das nun veröffentlichte Reskript kann Roche die von ihm gewollte Linie verfolgen. Mit den neuen Regelungen ist in der für die Beschränkung von Rechten geforderten Eindeutigkeit klar, dass Diözesanbischöfe nicht selbst von den benannten Bestimmungen von "Traditionis custodes" dispensieren können. Wer künftig die Feier der vorkonziliaren Liturgie in Pfarrkirchen erlauben, neue Personalgemeinden für die Alte Messe errichten oder nach Mitte Juli 2021 geweihten Priestern die Zelebration mit dem Messbuch von 1962 erlauben will, braucht dafür die Genehmigung von Rom.
Die Form weckt aber Zweifel an Roches zuvor geäußerten markigen Tönen: Papst Franziskus hat mit dem Reskript – quasi einer amtlich bestätigten Protokollnotiz mit Rechtsgeltung – neues Recht geschaffen. Als Instrument hätte auch eine "authentische Interpretation" von "Traditionis custodes" zur Verfügung gestanden, also eine Erklärung des Papstes, wie sein Gesetz auszulegen ist. Solche Interpretationen können auch rückwirkend gelten, wenn sie nur "in sich klare Worte eines Gesetzes" interpretieren – wenn sie Gesetze einschränken oder erweitern, gelten sie ab dem Datum der Veröffentlichung (c. 16 § 2 CIC). Wäre es ohnehin so klar gewesen, wie Roche es behauptet hat, wäre eine rückwirkende authentische Interpretation das Mittel der Wahl gewesen. Das Reskript verzichtet auch darauf, die bisher gewährten Dispense aufzuheben oder für ungültig zu erklären; es wurde lediglich eine Informationspflicht gegenüber dem Dikasterium eingeführt, falls solche Dispense schon erteilt wurden. Das Dikasterium hat die einzelnen Fälle dann zu prüfen. Schließlich stellt das Reskript auch nur in den genannten Punkten fest, dass die Dispensgewalt auf Rom übergeht, anstatt Roches Position explizit zu bestätigen, dass die Zuständigkeit seines Dikasteriums jegliche Dispensgewalt an den Apostolischen Stuhl zieht. Sollte es etwa Streit darüber geben, ob die Verwendung der Volkssprache für Lesungen vom Bischof zugunsten von Latein freigestellt werden kann (ohnehin stellt das Motu Proprio nur eine Soll- und keine Mussbestimmung auf), wird sich das Liturgiedikasterium nicht auf das Reskript berufen können.
Päpstliche Gesetzgebung von Anfang an teilweise unklar
Die Unklarheit in Bezug auf die Dispense insbesondere für die Feier in Pfarrkirchen wurde schon im Dezember 2021, ein halbes Jahr nach Erscheinen von "Traditionis custodes", grundgelegt. Damals veröffentlichte das Liturgiedikasterium eine Liste von "Responsa ad dubia", also verbindliche Antworten auf Anfragen zur Umsetzung. Roche stellt es so dar, als sei schon in diesen von Papst Franziskus gutgeheißenen Erläuterungen festgelegt worden, dass die Feier in Pfarrkirchen nur durch sein Dikasterium freigegeben werden kann. Tatsächlich lautete die Frage aber: "Kann der Diözesanbischof […] die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung um eine Ausnahme von der Bestimmung des Motu Proprio "Traditionis custodes" (Art. 3 § 2) bitten, und somit die Feier in der Pfarrkirche erlauben?" – nicht: "Muss der Diözesanbischof …?" Auch die erläuternde Note zur knappen Antwort "Ja" schafft keine Klarheit in der Dispensfrage. Sie erläutert zwar, dass das grundsätzliche Verbot der Feier in Pfarrkirchen zum Ausdruck bringen soll, dass die vorkonziliare Liturgie "nicht zum Alltag des Lebens der Pfarrgemeinde gehört". Sie stellt aber nur fest, dass die Behörde eine Dispens gewähren kann – auch hier wird nicht ausgeführt, dass nur sie dispensieren kann. Der explizite Rom-Vorbehalt fehlte auch hier.
Folgerichtig scheinen Bischöfe, die bereits entsprechende Dispense ausgesprochen haben, nicht viel geändert zu haben. In Deutschland kündigte der Freiburger Erzbischof Stephan Burger zwar auf Anfrage über seine Pressestelle im Januar 2022 an, sein Dekret zu "Traditionis custodes", das Dispense für zwei Pfarrkirchen enthält, zu überprüfen. Geändert wurde das Dekret seither nicht. Vor Veröffentlichung des Reskripts teilte die Freiburger Pressestelle mit, dass man die Entwicklungen beobachte.
Roche sieht Hybris und Widerstand gegen den Willen des Papstes als Grund für die uneinheitliche Auslegung von "Traditionis custodes". Aber nicht nur die Ablehnung des Grundanliegens von Papst Franziskus, die vorkonziliare Liturgie zugunsten eines einheitlichen römischen Ritus einzudämmen, spielt eine Rolle. Das Motu Proprio und die Folgedokumente selbst haben aufgrund ihrer teilweise mehrdeutigen und unvollständigen Formulierungen den Grund für rechtliche Zweifel gelegt. An mehreren Stellen ist dort etwa vom "Missale vor der Reform von 1970" die Rede – das ist aber nicht das Missale von 1962, um das es in der Regel geht, sondern das nur kurz geltende Missale von 1965. Es ist nicht einmal klar, ob die von Papst Benedikt XVI. erlassene Vorgängernorm "Summorum Pontificum" (2007) komplett außer Kraft gesetzt wurde oder nur in den explizit im neuen Motu Proprio genannten Punkten – die Folge war Verwirrung um die Zulässigkeit von anderen Sakramenten- und Sakramentalienfeiern außer der Eucharistie. In Freiburg folgt man immer noch der später durch die Responsa kassierten Auslegung, dass "Traditionis custodes" sich nur auf die Messe selbst bezieht und die anderen Bestimmungen von Summorum Pontificum weitergelten. Die Ausführungsbestimmungen im Bistum Regensburg dagegen – nach den Responsa erlassen – schließen die Feier von anderen Sakramenten und Sakramentalien nach dem Rituale von 1952 aus.
Der Wille des Papstes als Richtschnur
In seinen öffentlichen Äußerungen hat Roche stets den Willen des Papstes starkgemacht. In der Tat könnte der eindeutiger nicht sein. Und indem Franziskus das Reskript gewährt hat, kann Roche sich bestätigt wissen, dass seine bisherige Position auch den Rückenwind des Papstes als Gesetzgeber hat: Der Papst hat nachträglich zum Gesetz gemacht, was sein Präfekt schon immer als Rechtslage behauptet hat. Die rechtlichen Fragen zu "Traditionis custodes" dürften jetzt weitgehend geklärt sein, wenn nicht noch einmal die Frage nach dem vorkonziliaren Rituale auftaucht.
Es bleiben aber weiterhin Ungereimtheiten. Das erklärte Ziel von "Traditionis custodes" ist es, die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu bewahren. Franziskus hat die berechtigte Sorge, dass mit der Präferenz für die vorkonziliare Liturgie auch eine Präferenz für eine vorkonziliare Theologie – für ein Zurück hinter das Zweite Vatikanum und seine Öffnung für Menschenrechte und Demokratie, andere Religionen und Ökumenismus – verbunden ist.
Schon die Anfangsworte sind in der Spur des Zweiten Vatikanums: "Traditionis custodes", die Wächter der Tradition sind die Diözesanbischöfe, die als "Leiter, Förderer und Wächter des gesamten liturgischen Lebens" in ihren Bistümern verbal stark gemacht werden. Das Erste Vatikanische Konzil hatte den Papst mit den Dogmen der Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats gestärkt. So stark, dass der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck in einer Depesche feststellen konnte, dass die Bischöfe nunmehr nur noch "Beamte ohne eigene Verantwortlichkeit" seien. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dieses Verhältnis gerade gerückt. Eines seiner wichtigsten Ergebnisse für die Bischöfe der Weltkirche war die Stärkung ihres Amtes. Anstatt regelmäßig in Rom Dispensvollmachten auf Zeit beantragen zu müssen, hielten die Konzilsväter im Dekret "Christus Dominus" über die Hirtenaufgabe der Bischöfe (1965) fest, dass die Diözesanbischöfe "von selbst jede ordentliche, eigenständige und unmittelbare Gewalt" haben, die "zur Ausübung ihres Hirtenamtes erforderlich ist". Knapp 20 Jahre später fand diese Formulierung auch fast wörtlich Eingang ins Kirchenrecht.
Bischöfe zentral für Synodalität, peripher in der Liturgie
Diese vom Konzil gewollte, vom Kirchenrecht nachvollzogene und von "Traditionis custodes" angeführte starke Rolle der Bischöfe steht in Spannung mit der tatsächlichen zunehmenden Zentralisierung der Entscheidung über die vorkonziliare Liturgie. Art. 2 des Motu Proprio zeigt schon die gebundene Freiheit des Bischofs: Es sei seine "ausschließliche Zuständigkeit, den Gebrauch des Missale Romanum von 1962 in seiner Diözese zu gestatten und dabei den Weisungen des Apostolischen Stuhles zu folgen". Mit den Responsa, die erstmals den lateinischen Text des Motu Proprios bekannt machten, wurde der ursprünglich bekanntgemachte Wortlaut verschärft. Aus einer "Konsultation" des Heiligen Stuhls, wie es in allen zuvor bekannten volkssprachlichen Fassungen hieß, wurde plötzlich im Lateinischen ein "Erbitten einer Genehmigung". Das Reskript schränkt nun die Dispensgewalt ein.
Um das Konzil über die Liturgie zu verteidigen, wird die vom Konzil stark gemachte Stellung der Diözesanbischöfe abgeschwächt und wieder mehr Entscheidungs- und Dispensgewalt in Rom zentralisiert. Der Papst kann und darf jederzeit frei seine höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt ausüben. Es wirkt aber umso paradoxer, wenn gleichzeitig fünf Kardinäle gerade die ekklesiologische Stellung des Bischofsamts starkmachen: Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und die Präfekten Luis Ladaria (Glauben) und Marc Ouellet (Bischöfe) verwiesen darauf in ihrem mit höchster päpstlicher Autorität ausgestatteten Brief an die deutschen Bischöfe zum Synodalen Weg, ebenso wie der Sekretär und der Relator der Bischofssynode, Kardinal Mario Grech und Kardinal Jean-Claude Hollerich, die in ihrem Brief an die Bischöfe der Weltkirche die zentrale Rolle des Bischofs für die Synodalität betonten.
Diese Ungereimtheiten stehen nun nebeneinander: Wenn das Zweite Vatikanum verteidigt werden soll, dann muss seine Liturgie verteidigt werden – auch auf Kosten seiner Lehre zum Bischofsamt. Wenn es um Synodalität geht, kann die Bedeutung des Bischofs nicht zu gering geschätzt werden. Wenn es um die Frage geht, ob die Pfarrkirche St. Josef im Freiburg Stadtteil Stühlinger ausnahmsweise für die vorkonziliare Liturgie zur Verfügung stehen darf, kann das am besten eine römische Zentralbehörde entscheiden. Möglicherweise ist das Reskript aber auch nur ein Schritt auf das eigentliche Ziel hin: Schon seit Wochen fürchten Traditionalisten, dass es nicht bei solchen kleinteiligen Reformen bleibt. Am 3. April, dem Jahrestag der Einführung des neuen Messbuchs durch die Apostolische Konstitution "Missale Romanum" (1969), könnte es Gerüchten zufolge endgültig zum Aus für die Alte Messe kommen. Belege gibt es dafür bislang nicht. Aber der Wille des Papstes scheint klar.