Kirchenrechtler Bier: Geheime Abstimmung hat Vorrang bei Synodalem Weg
Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier sieht gemäß der Geschäftsordnung des Synodalen Weges einen Vorrang der geheimen vor der namentlichen Abstimmung. "Kirchenreformen werden nicht befördert, indem um ihretwillen das Recht gebeugt und jene Willkür praktiziert wird, die kirchlichen Hierarchen zu Recht vorgeworfen wird", schreibt der Freiburger Kirchenrechtler am Montag in einem Beitrag auf dem Onlineportal "Theosalon". Der Einschätzung, die Geschäftsordnung des Synodalen Weges gebe der namentlichen Abstimmung Vorrang, liege eine "unhaltbare Einschätzung der Rechtslage zu Grunde".
Bei der vierten Synodalversammlung im Herbst 2022 verfehlte der Grundtext "Leben in gelingenden Beziehungen" in geheimer Abstimmung die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden Bischöfe. Daraufhin wurde aus der Synodenaula beantragt, fortan namentlich über Texte abzustimmen. Die Interpretationskommission des Synodalen Weges kam nach Beratung zu dem Ergebnis, dass die namentliche Abstimmung Vorrang vor der geheimen habe. Ein Gegenantrag auf geheime Abstimmung wurde abgelehnt. Dieser Interpretation widerspricht Bier nun in seinem Aufsatz.
Bier weist darauf hin, dass die Geschäftsordnung des Synodalen Weges in § 6 Abs. 6 "eindeutig" eine geheime Abstimmung vor der namentlichen priorisiere: "Über Sachanträge kann auf Antrag namentlich abgestimmt werden, unbeschadet eines möglichen Antrags auf geheime Abstimmung."
"Verführbarkeit aus uneingestandener Ohnmacht"
Dabei handle es sich um ein "Regel-Ausnahme-Verhältnis mit der (Grund-)Regel: 'Abgestimmt wird öffentlich'." Die Ausnahme sei: "Manchmal wird nicht öffentlich abgestimmt". Wenn eine Minderheit eine öffentliche Abstimmung nicht wünsche, sehe die Satzung zweifellos eine geheime Abstimmung vor. Wo die Minderheit politisch angesiedelt sei oder aus welchem Grund sie eine geheime Abstimmung beantrage, "ist von Rechts wegen unerheblich”. Bei korrekter Anwendung von Satzung und Geschäftsordnung könne eine wenigstens fünf Personen umfassende Minderheit eine geheime Abstimmung durchsetzen, betont Bier.
Bier sieht in dem Vorgehen bei der vergangenen Synodalversammlung einen Ausdruck "genau jenes Mangels an Rechtskultur, den Kirchenglieder (z. B. auch Bischöfe) kirchlichen Autoritäten (z. B. auch dem Apostolischen Stuhl) zuverlässig vorwerfen, sobald sie sich als Spielball willkürlicher Rechtsanwendung erleben." Dem Synodalpräsidium wirft Bier eine "Verführbarkeit aus uneingestandener Ohnmacht" vor. Dieses Agieren schade der Sache mehr als eine Abstimmungsniederlage, so der Kirchenrechtler. (ben)