Franziskus' Aussagen zu Johannes Paul II. und Missbrauch irritieren
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Papst Franziskus hat in seinen mittlerweile zehn Jahren auf dem Stuhl Petri zahlreiche Interviews gegeben. Dabei hat der Pontifex immer wieder überrascht – leider auch in negativer Hinsicht. Das gilt auch für das Interview, das am zurückliegenden Wochenende veröffentlicht wurde.
In einem Gespräch mit der argentinischen Zeitung "La Nacion" verteidigte Franziskus seinen Vorvorgänger Johannes Paul II. (1978-2005) gegen Vorwürfe wegen dessen Umgang mit Missbrauchsfällen in seiner Zeit als Erzbischof von Krakau. Einem polnischen Fernsehbericht zufolge soll der spätere Papst damals von Missbrauchsvorwürfen gegen drei Geistliche gewusst und sie trotzdem weiter in Pfarreien eingesetzt haben. Franziskus sieht in diesem Verhalten offenbar kein allzu großes Problem. "Damals hat man alles vertuscht", erklärte der Papst lapidar gegenüber "La Nacion". Zudem müsse jede Epoche "mit der Hermeneutik der jeweiligen Zeit gedeutet werden".
Diese Aussagen von Franziskus sind hochproblematisch. Zwar könnte man wohlwollend interpretieren, dass er mit dem Satz "Damals hat man alles vertuscht" auf die umfassende, ja globale Problematik der kirchlichen Missbrauchshistorie verweisen wollte. Doch ist diese Interpretation realistisch? Man kann den Satz auch ganz anders lesen – nämlich wie eine Relativierung der Missbrauchstaten und ihrer Vertuschung. Frei nach dem Motto: So war das damals eben, stellt Euch mal nicht so an. Vor allem auch, weil Franziskus explizit dafür plädiert, die Vorfälle nach den Maßstäben der jeweiligen Zeit zu bewerten. Als ob Missbrauch und dessen Vertuschung früher keine schlimmen Verbrechen gewesen wären.
Die Verantwortlichen in der Kirche – allen voran die Bischöfe, Kardinäle und der Papst – sollten nach all den Jahren doch eigentlich gelernt haben, klar und sensibel zugleich über Missbrauch zu sprechen. Mehrdeutige oder gar relativierende Aussagen über die Taten und die Täter sind ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Dass Franziskus seinen Vorvorgänger ohne Not gegen die Vertuschungsvorwürfe verteidigt, anstatt weitere Untersuchungen abzuwarten, ist mit Blick auf die Missbrauchsaufarbeitung in der Kirche zudem ein verheerendes Signal.
Apropos weitere Untersuchungen abwarten: Das hätte der Kirche auch mit Blick auf die schnelle Heiligsprechung von Johannes Paul II. gut zu Gesicht gestanden. Viele haben das "santo subito" des polnischen Papstes damals skeptisch gesehen – zu Recht, wie sich spätestens angesichts der aktuellen Vorwürfe zeigt. Auch hieraus sollte die Kirche für die Zukunft lernen.
Der Autor
Steffen Zimmermann ist Redakteur im Korrespondentenbüro von katholisch.de in Berlin.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.