Als Minderheiten-Christentum sollten wir mutiger und frecher sein
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Großbritannien und Deutschland haben im letzten Jahr bemerkt, dass inzwischen weniger als die Hälfte der Bevölkerung den christlichen Glauben teilen. Im Blick auf den Missionsauftrag "Macht alle Menschen zu meinen Jüngern" ist das ein Rückschlag.
Man kann darauf mit Selbstmitleid reagieren, was allerdings eine der unproduktivsten Regungen der Seele ist. Oder man kann versuchen, es sich in dem zu groß gewordenen Haus der Volkskirche doch noch irgendwie einzurichten. Im Stil etwas zurückhaltender vielleicht, aber immer noch recht bequem: Ressourcen sind ja durchaus noch vorhanden. So ähnlich wie die einstigen Herrscherhäuser nach 1918, die dann doch noch eine ganze Weile recht komfortabel über die Runden gekommen sind.
Besser nehmen wir das allerdings als Anlass zur Rückbesinnung. Der christliche Glaube ist ja nicht als Staatsreligion auf die Welt gekommen. Vor der konstantinischen Wende war er Minderheit, Diaspora; nicht Volkskirche, sondern Salz der Erde und Sauerteig.
Wenn es wieder so wird, dann muss das Minderheiten-Christentum auch nicht mehr so staatstragend sein. "Nicht staatstragend", das heißt: nicht mehr unbedingt konsensorientiert und breitenkompatibel. Das entspricht dem Evangelium, wo es ein paar Handlungsempfehlungen gibt, die nicht ins bürgerliche Weltbild oder zum Kategorischen Imperativ passen: die Empfehlung der Ehelosigkeit kommt einem in den Sinn, oder der Rat: "Geh, verkaufe alles, was du hast, und gib das Geld den Armen." Oder: "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt."
Gerade bei diesen sperrigen Sätzen erhaschen wir etwas vom Göttlichen. Das Evangelium ist immer wieder paradox. Diese Paradoxien haben das System einer christlichen Welt- und Gesellschaftsethik immer schon angebohrt und etwas göttliche Frischluft eindringen lassen. Wenn dieser Wind jetzt stärker wehen darf, wird das nachkonstantinisches Christentum mutiger und frecher. Gott helfe, dass uns dabei so viel Weltläufigkeit erhalten bleibt, dass es ohne Engstirnigkeit und Sektierertum abgeht.
Der Autor
Jeremias Schröder OSB ist Abtpräses der Benediktinerkongregation von St. Ottilien.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.