Eselskot, Würfel und ein Fuß: Die Reliquien der Karwoche
In jeder Stadt, eigentlich in jeder Kirche gibt es Reliquien. Bekannt sind eher große Hinterlassenschaften wie Apostelköpfe, Körper (verwest und unverwest), Stoffstücke und Überbleibsel aller Art. Seit Jahrhunderten machen sie den oft so abstrakten Glauben und seine jahrhundertealtern Geschichten erlebbar. Auch das Geschehen zwischen Palmsonntag und Christi Himmelfahrt lässt sich mit diesen heiligen Resten nacherleben.
Los geht es an Palmsonntag. Jesus schickt laut Markus-Evangelium zwei Jünger los, um ihm ein Eselsfohlen zu besorgen. Damit zieht er laut biblischem Bericht in Jerusalem ein. Heute sollen sich die Überreste dieses Tieres in Verona befinden. Dort bewahrt man nämlich seit dem 16. Jahrhundert einen hölzernen Esel auf, in dessen Innern sich die Gebeine des Palmesels befinden sollen. Doch ein Stück vom Esel gibt es auch im Bergischen Land: Im ehemaligen Kloster Gräfrath in Solingen wurde bis zur Säkularisation der Kot des Palmesels verehrt.
Esel wie Esels Kot stehen dabei nicht für sich selbst – sondern verweisen auf die biblische Erzählung des Einzugs in Jerusalem. Die Idee dahinter: Wenn es den Esel wirklich gegeben hat, muss auch die Geschichte stimmen.
Schürzen und Tischtücher im Rheinland
Mit dem Gründonnerstag beginnt das triduum sacrum. Das Johannesevangelium berichtet davon, wie Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht. Die Schürze, die sich Jesus dabei umgebunden haben soll, wird heute in Kornelimünster bei Aachen aufbewahrt. Im Rahmen der Heiligtumsfahrt wird die Reliquie in diesem Jahr wieder gezeigt. Im Bistum Aachen lassen sich noch weitere Hinterlassenschaften des Gründonnerstags besichtigen. Während Johannes die Fußwaschung überliefert, berichten die synoptischen Evangelien von der Einsetzung der Eucharistie. Daran erinnernd, wird in Mönchengladbach, Wien, Coria und Prag ein Stück des Abendmahlstischtuches verehrt. Der Tisch, den dieser Stoff bedeckt haben soll, steckt heute in Rom im Altar der römischen Lateranbasilika.
Die wohl voluminöseste Reliquie der Karwoche ist die Scala Santa. Kaisermutter Helena hat laut einer Legende um das Jahr 326 die Stiege, über die Jesus zum Verhör ins Prätorium des Pilatus gegangen sein soll, nach Rom gebracht. Dort wurde sie im Lateranpalast verbaut, der lange Zeit Residenz der Päpste war. Heute können Pilger auf Knien die 28 Stufen hinaufsteigen. Holzplanken über dem Marmor schützen die Stufen vor allzu intensiver Abnutzung. An drei Stellen markieren Kristallscheiben im Holz vermeintliche Blutflecken Christi. Das Matthäusevangelium berichtet davon, dass Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht, nachdem er Jesus verurteilte. Das dazugehörige Becken wird in Bologna aufbewahrt.
Gar nicht in den Evangelien findet sich dagegen die Geschichte von Veronika und ihrem Schweißtuch. Doch an zentraler Stelle im Petersdom wird laut Tradition das Schweißtuch der Veronika aufbewahrt. Im Rahmen der Stationsliturgie in Sankt Peter wird es den Gläubigen gezeigt. Diese Heiligtumsschau bildete lange Zeit einen der Höhepunkte der Wallfahrt zum Heiligen Jahr nach Rom.
Die wohl bekannteste Reliquie der Kar- und Ostertage ist das Kreuz Jesu, das ebenfalls die heilige Helena beschafft haben soll. Unzählige Splitter des Kreuzes finden sich über den Erdkreis verstreut. Entsprechend dieser immensen Anzahl an Kreuzesholz gibt es auch eine gehörige Anzahl Nägel, sodass sich unzählige Wallfahrtsorte im Besitz von Kreuzigungsnägeln wähnen. Neben der größten Sammlung an Karfreitagsreliquien in der römischen Kirche Santa Croce (Kreuzsplitter, Nägel, INRI-Schild etc.) gibt es unter anderem in Bamberg einen Kreuzesnagel Jesu.
Primär- und Sekundärreliquien
Bei den meisten Jesus-Reliquien handelt es sich um sogenannte Sekundär-Reliquien, da sie nicht von seinem Körper stammen, sondern "nur" mit ihm in Berührung kamen. Wer mit Haut und Haaren in den Himmel aufgenommen wird, nimmt bekanntlich alles mit, was eine Primärreliquie hätte werden können – fast alles. Neben der Vorhaut Jesu gibt es aber noch weitere Primärreliquien des Gottessohnes. So zum Beispiel Jesu' Blut. Der römische Soldat Longius soll mit seiner Lanze in die Seite Jesu gestochen haben, woraufhin Blut und Wasser aus der Wunde geflossen seien. Die Abtei Weingarten beherbergt seit über 950 Jahren eine dazugehörige Heilig-Blut-Reliquie. Sie beinhaltet einige Tropfen Blut in einem Erdklumpen. Jedes Jahr am Freitag nach Christi Himmelfahrt findet dort der Blutritt statt. Diese Veranstaltung gilt als größte Reiterprozession Europas.
Nach dem Johannesevangelium wurden die Gewänder Jesu nach dessen Kreuzigung in vier Teile geteilt und unter den römischen Soldaten verteilt. In Trier hält man sich jedoch eher an die Erzählung des Matthäusevangeliums. Bei Matthäus wird der Heilige Rock nämlich ebenfalls erwähnt, aber nicht geteilt, sondern einem der Soldaten zugelost. Er wird alle paar Jahre bei der Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier ausgestellt. Um eine faire Rockverteilung zu gewährleisten, nutzen die römischen Soldaten wohl Würfel, die noch heute unter anderem in Mönchengladbach bestaunt werden können.
Aber wie es sich für das Christentum gehört, endet das Leben nicht mit dem Tod, sodass die Kirche auch verschiedene nachösterliche Reliquien kennt. Laut Markusevangelium war Maria von Magdala eine der ersten am leeren Grab. In der römischen Kirche San Giovanni de’ Fiorentini wird der Fuß aufbewahrt, mit dem Maria von Magdala am Ostersonntagmorgen als erstes in das Heilige Grab getreten sein soll.
Das Johannesevangelium berichtet davon, dass der Jünger Thomas die erste Erscheinung des Auferstandenen am Ostertag verpasst. Folglich glaubt er seinen Mit-Jüngern nicht, was sie ihm berichten, und verlangt handfeste Beweise. Eine Woche später ist er dann Zeuge der nächsten Erscheinung, bei der Jesus ihn auffordert den Finger in seine Wunde zu legen. Diesen Dialog erinnernd, verehrt man in Düsseldorf und Rom Finger und Arm des Apostels Thomas. Dabei handelt es sich um eine Thomasreliquie erster Klasse und eine Jesus-Reliquie zweiter Klasse.
All diese Reliquien und Legenden zeigen, wie intensiv sich Menschen aller Jahrhunderte mit ihrem Glauben und den Glaubensinhalten auseinandergesetzt haben. Sie suchten Mittel und Wege, sich mit den teils unbegreiflichen Religionssätzen auseinanderzusetzen und sie im Wortsinn begreifbar zu machen. Einst begründeten sie große Wallfahrten und eine beeindruckende Wirtschaftsmacht rund um ihre Verehrungsorte. Von dieser Kraft können sich Pilgerinnen und Pilger noch heute überzeugen. Manch eine Kleinigkeit, die heute unprätentiös in Kirchentresoren oder gar muffigen Abstellkammern steht, liegt oder hängt, ist eigentlich zu schade zum Vergessen. Bei ihnen spielt es keine Rolle, ob sie echt oder unecht sind, sie sollen viel mehr auf die Geschichte dahinter verweisen und den Glauben an das Größere stärken.