Dabei geht es auch um den Rücktritt von Michel Santier als Bischof von Creteil

Erzbischof Moulins-Beaufort räumt Fehler im Umgang mit Missbrauch ein

Veröffentlicht am 27.03.2023 um 12:31 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg/Reims ‐ "Vielleicht war ich blind, ich habe die Realität nicht gesehen": Der Vorsitzende der französischen Bischöfe räumt frühere Fehleinschätzungen im Umgang mit Missbrauch ein. Dabei nimmt er auch Stellung zu einem früheren Amtsbruder.

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Der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz hat erneut frühere Fehleinschätzungen im Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche eingeräumt. "Ich habe das erst 2016 begriffen. Vorher hatte ich sogar noch in einem Artikel erklärt, warum das Phänomen in Australien und den USA ein größeres Problem ist als in Frankreich", sagte Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort im Interview der Monatszeitschrift Herder-Korrespondenz (April). Doch dann hätten die Betroffenen in Frankreich angefangen zu sprechen. "Vielleicht war ich blind, ich habe die Realität nicht gesehen – und die französische Bevölkerung auch nicht." Inzwischen sei klar, "wie auch in Deutschland", dass es viel mehr Fälle gibt als angenommen. Fehler räumte der Episkopatsvorsitzende auch im Umgang mit dem Rücktritt von Michel Santier als Bischof von Creteil ein. Anfang 2021 hatte der Vatikan den Amtsverzicht angenommen, angeblich aus gesundheitlichen Gründen. Im Oktober 2022 stellte sich aber heraus, dass Santier zwei Männer sexuell und spirituell missbraucht hatte.

"Formell gesehen haben wir uns als Bischofskonferenz an die Vorschriften gehalten", so Moulins-Beaufort. Rom habe Santiers offizieller Begründung nicht widersprochen. Und die Bischofskonferenz sei nicht befugt zu intervenieren, wenn ein Bischof zurücktritt. "Die Bischofskonferenz kann nur die Informationen verbreiten, die sie vom Heiligen Stuhl erhält", so der Erzbischof von Reims. "De facto war es aber so, dass wir geschwiegen haben, damit der wahre Grund für seinen Rücktritt nicht bekannt wird. Das war ein Fehler." Ein Bischof sei eine öffentliche Person; "und daher sind die Übertretungen eines Bischofs öffentliche Tatsachen", sagte Moulins-Beaufort. "Man kann nicht ein Mann mit öffentlicher Verantwortung sein wollen und gleichzeitig darauf bestehen, wie ein normaler Bürger behandelt zu werden." Der Erzbischof weiter: "Der Skandal, der dadurch verursacht wurde, muss uns eine Lehre sein."

Anders als in Deutschland gibt es in Frankreich eine gesetzliche Meldepflicht bei Missbrauchsfällen. 2021 wurde dort debattiert, ob diese Pflicht auch für die Beichte gilt. Moulins-Beaufort hatte damals als Vorsitzender eine Auseinandersetzung mit dem Innenminister, weil er gesagt hatte, das Beichtgeheimnis stehe über den Gesetzen der Republik. Auf die Frage, was er selbst täte, wenn er in der Beichte von einem solchen Vorfall erführe, sagte der Erzbischof, wenn ein Erwachsener eine missbräuchliche Handlung an einem Kind bekenne, würde er "alles tun, um ihn dazu zu bringen, sich selbst anzuzeigen". Und er würde ihm auch nur dann die Lossprechung von seiner Sünde erteilen, wenn er sich zur Selbstanzeige bereit erklärte. Wenn ihm ein Kind in der Beichte berichtete, Opfer geworden zu sein, so Moulins-Beaufort, würde er versuchen, es "dazu zu bringen, dass es außerhalb der Beichte noch einmal mit mir spricht". So wäre er "nicht mehr an das Beichtgeheimnis gebunden".

Weltsynode sei schwierige Etappe zu Reformen

Moulins-Beaufort Probleme bei der Mobilisierung der Gläubigen für kirchliche Reformen. "Manche sagen: Die Menschen verstehen nicht, warum das wichtig ist", sagte der Erzbischof mit Blick auf die Weltsynode. Schließlich sei es das erste Mal, dass eine solche weltweite Konsultation in der katholischen Kirche durchgeführt wird. Das Leben der Kirche vollziehe sich nicht nur auf der Ebene der Bischöfe und Laienfunktionäre, betonte Moulins-Beaufort, sondern im Alltag, in den christlichen Gemeinschaften vor Ort. "Man kann viel dekretieren und große Veränderungen einführen. Aber die Dinge müssen vor Ort in Bewegung kommen." In Frankreich hätten sich beispielsweise die Priester sehr wenig an der weltweiten Umfrage unter den Gläubigen beteiligt, ebenso junge Menschen unter 40 Jahren.

Bischof Michel Santier
Bild: ©picture alliance / NurPhoto | Artur Widak (Archivbild)

Im Umgang mit dem Rücktritt von Michel Santier als Bischof von Creteil räumt Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort Fehler ein.

Der Erzbischof von Reims räumt ein, dass es schwierig sei, in den globalen Synodenpapieren die konkrete "Stimme des Volkes" vernehmbar zu machen. "Es stimmt: Der Text, den das Synodensekretariat zur Vorbereitung der Kontinentaltreffen erstellt hat, ähnelt dem Text, den wir Franzosen auf nationaler Ebene erstellt haben, und der ähnelt den Texten, die in jeder Diözese erstellt wurden", so Moulins-Beaufort. "Wir hatten also vor dem Kontinentaltreffen in Prag schon dreimal ungefähr den gleichen Text geschrieben." Entscheidend werde tatsächlich sein, wie die Synodensitzungen im Oktober 2023 und im Oktober 2024 ablaufen werden, sagte der Bischofskonferenz-Vorsitzende. Er wertete die Synode als eine Etappe in einem großen kirchlichen Wandlungsprozess. Historiker könnten dann später einmal beurteilen, "welche Rolle der Synodale Prozess dabei gespielt hat".

Kirche müsse vom Verbote-Image wegkommen

Zudem wünscht sich Moulins-Beaufort mehr Relevanz der katholischen Kirche für den gesellschaftlich-politischen Diskurs zurück. "Man hört uns zu und fordert uns sogar auf, uns zu äußern. Aber man hat sich daran gewöhnt, dass die Kirche eben sagt, dass es verboten ist", sagte der Erzbischof. "Das hört man sich an und dann macht man weiter wie gewohnt." Auch die meisten Abgeordneten seien "zwar respektvoll gegenüber der Stimme der Kirche, halten sie aber einfach für rückwärtsgewandt", so Moulins-Beaufort. Die Herausforderung sei klarzumachen, dass es der katholischen Kirche nicht einfach um Verbote gehe, sondern dass sie "aus der Perspektive des Glaubens" etwas Wesentliches über das Menschsein und das menschliche Zusammenleben zu sagen habe.

Zugleich beobachtet der Erzbischof von Reims, dass es in der Sicht auf die Gesellschaft und den Menschen viele Gemeinsamkeiten mit den anderen Religionsgemeinschaften in Frankreich gebe. Ein Beleg dafür sei ein jüngstes Interview im "Journal de Dimanche" mit ihm als Katholiken sowie mit je einem Vertreter von Islam, Protestantismus und Judentum; dies habe "einen gewissen Eindruck" hinterlassen. Moulins-Beaufort lobte die Zusammenarbeit zwischen den Religionsgemeinschaften auch in anderen politischen Fragen. Kirche engagiere sich etwa gegen Antisemitismus und arbeite "mit den Muslimen zusammen, um die Integration von Muslimen in die französische Gesellschaft zu fördern". Die Beziehungen seien gut, "vor allem auf der Ebene der Verantwortlichen". In der Bevölkerung sei es teils noch "eine andere Sache". – Eric de Moulins-Beaufort (61) ist seit 2018 Erzbischof von Reims. 2019 wurde er als Nachfolger von Erzbischof Georges Pontier neuer Vorsitzender der Französischen Bischofskonferenz. 2022 wurde er für eine weitere dreijährige Amtszeit gewählt. (tmg/KNA)

27.3., 15:30 Uhr: Meldung vollständig überarbeitet und stark erweitert.