Martin: Franziskus engagierter für LGBTQ-Menschen als jeder Vorgänger
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Was denkt der Papst über LGBTQ-Menschen in der Kirche? Kaum jemand weiß das so gut wie der Jesuit James Martin aus New York, der mit Franziskus dazu in direktem Austausch steht. Er erklärt, warum er nichts an der kirchlichen Lehre zu Homosexualität ändern will und wieso der Papst ausgerechnet mit ihm über das Thema spricht. Wir blicken aber auch auf die Kirche in Deutschland, genauer gesagt auf Bischof Overbeck und den Synodalen Weg.
Frage: Sie sind einer der bekanntesten Aktivisten für die Anliegen von LGBTQ-Menschen in der Kirche, dazu stehen Sie sogar mit dem Papst in Kontakt. Das war aber nicht immer so. Wieso haben Sie angefangen, sich 2016 für dieses Thema zu engagieren?
James Martin SJ (Jesuit, Autor und LGBTQ-Aktivist): Sie erinnern sich vielleicht, 2016 wurden 49 Menschen getötet, als es zu einer Schießerei im einem Nachtclub namens Pulse in Orlando, Florida gekommen ist. Damals war ich sehr enttäuscht von der Reaktion unserer Bischöfe. Das war sehr zaghaft und wenig. Nur eine Handvoll Bischöfe hat sich überhaupt geäußert. Von denen haben auch nur zwei oder drei überhaupt die Begriffe LGBTQ oder schwul in den Mund genommen. Selbst im Tod ist diese Gemeinschaft für die Kirche zum größten Teil unsichtbar.
Damals habe ich ein Facebook-Video aufgenommen, das viral gegangen ist. Das hat zu einer Vortragseinladung geführt und später zu meinem Buch "Eine Brücke bauen", das auch auf Deutsch erschienen ist. Um ehrlich zu sein, hätte ich nie gedacht, dass das so eine große Sache wird. Es ist nur ein kleines Buch, in dem ich in keinster Weise die kirchliche Lehre hinterfrage. Aber die Reaktionen waren sehr intensiv: positiv wie auch negativ. Das hat dann dazu geführt, dass ich mich pastoral für die LGBTQ-Community eingesetzt habe. Ich bin mir sicher, Gott hat mich genau dorthin berufen.
Frage: Ihre Arbeit ist ziemlich kontrovers. Es gibt mehrere Facebook-Gruppen, die zur "Bekehrung von James Martin" zurück zum wahren Glauben aufrufen. Sie werden also zur Symbolfigur – für beide Seiten der Debatte. Was macht das mit Ihnen?
Martin: Das ist schon eine sehr schräge Situation. Die Leute mögen es anders sehen, aber ich habe absolut keinen Spaß an Kontroversen. Meine vorherigen Bücher haben sich mit Themen wie den Heiligen, dem Gebet, Jesus, Lourdes oder Anbetung befasst. Ich mag es nicht wirklich, im Mittelpunkt zu stehen und Kontroversen auszulösen. Bei diesem Thema scheint das aber unumgänglich zu sein. Das löst so heftige Emotionen aus, von beiden Seiten.
Ich denke die meisten, die mir widersprechen, haben mein Buch nicht gelesen und achten auch nicht wirklich darauf, was ich eigentlich sage. Es geht mir nicht um die Änderung der Lehre, ich möchte diesen Menschen nur eine Hand reichen und ihnen zuhören. Aber selbst das ist für einige zu viel. Selbst homosexuellen Menschen in der Kirche zuzuhören ist für sie einen Bannfluch wert.
Es ist für mich also sehr ungewohnt, mit diesem Thema so in der öffentlichen Auseinandersetzung zu stehen. Kardinal Müller hat mich vor kurzem in einem Interview in "La Repubblica" kritisiert. Da muss man sich auch erst mal dran gewöhnen. Zumal ich auch keine Ahnung habe, wie ich auf sowas reagieren soll. Ich kann als einfacher Priester doch nicht einem Kardinal widersprechen, das wäre für einen Jesuiten nicht richtig. Ich bin hier also in gewissem Sinne machtlos.
Frage: Was sagen Ihnen denn die Menschen aus der LGBTQ-Gemeinschaft zu Ihrem Engagement? Ist man froh, so eine prominente Stimme auf seiner Seite zu haben? Das ist ja das erste Mal, dass sie weltkirchlich in so einer großen Dimension gehört und beachtet werden.
Martin: Ja, ich denke so ist es. Am Anfang waren einige von ihnen allerdings doch irritiert, dass ich die kirchliche Lehre zum Thema Homosexualität nicht in Frage gestellt habe. Inzwischen verstehen das aber viele, ich will jetzt nicht "alle" sagen, und damit für alle LGBTQ-Katholiken weltweit reden. Ich höre und lese, dass ihnen mein Anliegen durchaus klar ist. Ich will nur die Diskussion in Gang bringen und die Kirche dazu bewegen, ihnen zuzuhören. Das ist das Wichtigste.
Frage: Sie haben 2016 mit dem Engagement angefangen. Hat sich Ihre Meinung zum Thema Homosexualität eigentlich in dieser Zeit verändert? Bischof Overbeck in Deutschland hat noch 2010 sehr kritisch über homosexuelle Menschen in der Kirche gesprochen, heute ist er einer ihrer stärksten Unterstützer in der deutschen Kirche. Er sagt, mit der Zeit, durch Nachdenken, Begegnungen und Gespräche hat er seinen Standpunkt verändert. Ging Ihnen das auch so, oder war Ihnen eigentlich von Anfang an klar, wie Sie zu diesem Thema stehen?
Martin: Eigentlich war mir das immer klar. Ich kannte und kenne so viele LGBTQ-Katholiken, die ein Leben voller Heiligkeit und Liebe führen. Ich bin aber sehr froh, wenn Menschen diese Erfahrungen machen - wie Bischof Overbeck - und sich weiterentwickeln. Papst Franziskus nennt das eine "Kultur der Begegnung", was eigentlich nur ein komplizierter Begriff dafür ist, Menschen schlicht und einfach kennenzulernen.
Ich verwende an dieser Stelle immer gerne einen Vergleich: verheiratete, heterosexuelle Paare, die Verhütung betreiben. Nach Definition folgen diese Menschen auch nicht der katholischen Lehre. "Humanae vitae" hat Empfängnisverhütung verboten – mit der Autorität einer päpstlichen Enzyklika. Niemand sagt aber: Wie kannst du nur verheiratete Menschen in deiner Gemeinde haben, die verhüten? Wie kannst du nur mit solchen Leuten reden? In den USA hat nach Umfragen 80 Prozent der Bevölkerung kein Problem mit Verhütung. Warum vertrauen wir denn diesen Menschen und ihrem Gewissen? Antwort: Weil wir sie kennen. Wir verstehen, dass ihre Leben komplex sind. Deshalb verstehen wir auch ihren moralischen Entscheidungsprozess. Das ist ja im Prinzip nichts anderes, als Sie gerade von Bischof Overbeck erzählt haben. Er hat mit der Zeit Menschen kennengelernt und gelernt sie zu verstehen, und ihren Gewissensentscheidungen zu vertrauen. Wir sollten Menschen also nicht verdammen, sondern schlicht und einfach versuchen, sie zu verstehen. Die Analogie mit dem verhütenden Ehepaar kann uns dabei weiterhelfen.
Frage: Sie haben jetzt mehrmals betont, dass Sie die kirchliche Lehre zum Thema Homosexualität nicht in Frage stellen. Sie kämpfen als promiente katholische Stimme für die Rechte von LGBTQ-Menschen, sagen aber: Lehren wie die Enthaltsamkeit sollten trotzdem gelten. Bei uns in Deutschland fordern sehr viele Katholiken, dass sich diese Lehre ändern muss, weil sie diskriminierend sei und fernab vom wahren Leben stehe. Warum bleiben Sie bei Ihrem Standpunkt?
Martin: Lassen sie mich als guten Jesuiten hier ein wenig differenzieren. Ich stelle die Lehre tatsächlich nicht in Frage, aus mehreren Gründen. Ich bin Jesuit und Priester, wenn ich mich gegen die Lehre aussprechen würde, würde das für viele Leute eine Rolle spielen, nicht nur für mich selbst. Die Jesuiten der Vereinigten Staaten, vielleicht auch in Deutschland. Das ist also einfach nicht meine Rolle oder Position.
Es gibt viele Leute, die die kirchliche Lehre in Frage stellen, und uns auffordern, sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Die Bischöfe in Deutschland, der Synodale Weg. Selbst Bischöfe und auch Kardinäle in den USA. Kardinal McElroy hat gerade gesagt, dass die Formulierung, homosexuelle Handlungen seien "in sich nicht in Ordnung" aus dem Katechismus gestrichen werden sollte. Als Jesuit kann ich sowas nicht sagen.
Ich bin eher dafür, dass wir dem Gewissen der LGBTQ-Menschen einfach vertrauen. Die meisten von ihnen haben sich bei diesem Thema eh schon eine Meinung gebildet, genauso wie es die meisten verheirateten Paare beim Thema Empfängnisverhütung getan haben. Für mich ist es viel wichtiger, den LGBTQ-Katholiken eine Stimme zu geben, und den Menschen nahezubringen, auch auf diese Stimmen zu hören. Das empfinde ich als meine Rolle. Selbst wenn ich die kirchliche Lehre angreifen wollen würde, könnte ich das als Jesuit in meiner Position nicht. Für mich gibt es Grenzen, was ich sagen darf und was nicht. Innerhalb dieser Grenzen muss ich mich bewegen.
Und ganz wichtig: Ich will meine Position innerhalb der Kirche vertreten. Es gibt andere, die sehen das anders, aber ich will das, was in der Kirche heute möglich ist, versuchen zu bewegen. Ich gebe zu, das ist eine etwas schräge Position, in der ich mich befinde. Aber es gibt genug Menschen, die die Lehre hinterfragen, da muss ich das nicht auch noch tun.
Frage: Also verstehe ich das richtig, Sie sprechen sich weder für noch gegen eine Änderung der Lehre aus, sondern sagen, man muss den Fokus anders legen.
Martin: Absolut. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was lehrt die Kirche denn genau über Homosexualität? Das sind diese paar Zeilen im Katechismus. Das ist doch aber nicht die Summe der Aussagen zu Homosexualität in der Kirche. Die Lehre der Kirche ist Jesus Christus, der den Ausgestoßenen der Gesellschaft seine Hand gereicht hat. Er hat die Menschen nicht verdammt, und das ist auch Lehre der Kirche. Die Lehre der Kirche ist ein Mensch. Jesus Christus. In seinen Taten und Begegnungen sehen wir doch die fundamentalste Lehre der Kirche. Auch das müssen wir lehren, nicht nur die Zeilen des Katechismus. Bei LGBTQ-Menschen haben wir das versäumt.
Kommen wir noch mal zu dem verheirateten Paar zurück und der Frage nach Empfängnisverhütung. Wenn wir da fragen, was die Lehre ist, dann ist auch hier die Antwort: Verhütung ist untersagt. – Ja, das ist Teil der Lehre, aber das ist doch nicht der Kern unserer Botschaft. Ich konzentriere mich also eher auf die Botschaft und die Taten Jesu, als dauernd Keuschheit und Zölibat in den Mittelpunkt zu stellen.
Wir müssen uns auch klar werden: Es gibt keinen einzigen LGBTQ-Menschen auf der Welt, dem nicht klar ist, was die Kirche zum Thema Homosexualität und Enthaltsamkeit lehrt. Wir sollten sie eher an die anderen Aspekte der christlichen Botschaft erinnern.
„Ich bin überrascht. Vom Mut und der Konfliktbereitschaft der Deutschen, aber auch von der heftigen Reaktion des Vatikans.“
Frage: Sie stehen in den letzten Jahren zu diesem Thema auch mit Papst Franziskus im Kontakt. Das hat auch in Deutschland Schlagzeilen gemacht. 2019 hatten Sie eine Privataudienz, und erst kürzlich gab es einen Briefwechsel von Ihnen beiden, der öffentlich gemacht wurde. Denken Sie, der Papst würde Ihrer Argumentation da zustimmen? Sie können natürlich nicht aus Ihren Privatgesprächen berichten, aber geht das auch in die Richtung seiner Gedanken? Es kommen ja auch widersprüchliche Botschaften aus dem Vatikan. Der Papst sagt, Homosexualität zu kriminalisieren ist falsch, sein Zitat "Wer bin ich, jemanden zu verurteilen", kennen wir alle. Andererseits hat der Vatikan noch 2021 in einem Brief deutlich gemacht, dass Segensfeiern absolut ausgeschlossen sind.
Martin: Ich spreche nicht für den Papst. Aber ich kann sagen, dass sein Ansatz – so wie ich ihn sehe – vor allem pastoral ist, nicht theologisch. Er verändert nicht die Lehre, aber die Ansprache. Er ist pastoral und Teil dieses pastoralen Ansatzes ist auch, sich gegen Ungerechtigkeiten auszusprechen, wie die Kriminalisierung von Homosexualität. Das macht ein Pastor, er beschützt seine Gemeinde.
In seiner Art auf Menschen zuzugehen sehen wir einen enormen Schritt nach vorne. Franziskus hat mehr für LGBTQ-Menschen getan, als jeder andere Papst in der Geschichte. Vielleicht ist das ein Zeichen der Zeit. Alleine in den letzten zehn Jahren hat sich die Lage von LGBTQ-Menschen grundlegend verändert, da ist es keine Überraschung, dass auch die Kirche darauf reagiert hat. Aber es bleibt Fakt, dass er auf diese Menschen zugeht. Er hat als erster Papst das Wort schwul benutzt. Sie haben es erwähnt, sein bekanntestes Zitat ist: "Wer bin ich jemanden zu verurteilen?" In diesen Jahren hat er Briefe des Zuspruchs nicht nur an mich, sondern an viele Menschen geschickt, die sich im LGBTQ-Bereich engagieren. Er sagt Eltern, sie sollen ihre Kinder nicht aus dem Haus schmeißen, er hat sich gegen die Kriminalisierung von Homosexualität ausgesprochen. Solche Sachen sind außergewöhnlich für einen Papst.
Auf unserer Website haben wir berichtet, dass er auch regelmäßig Transgender-Menschen trifft. Er tut also sein Bestes, um pastoral zu agieren, dafür müssen wir ihm einiges an Respekt zollen.
Frage: Waren Sie überrascht, als der Papst auf Sie zukam, und sich über so ein heikles Thema wie Homosexualität mit Ihnen unterhalten wollte?
Martin: Ich war überrascht, dass der Papst überhaupt mit mir sprechen wollte (lacht). Ich muss vielleicht noch mal betonen: Ich bin nur ein einfacher Jesuit, der Bücher schreibt und als Redakteur für das America Magazine arbeitet. Ich bin weder Kardinal, noch Erzbischof, noch Bischof. Ich bin auch kein Provinzial oder Universitätspräsident. Dass der Papst also überhaupt mit mir spricht, war ein Schock.
Frage: Wie kam das denn zustande?
Martin: Nun, ich bin Berater für das Kommunikationsdikasterium im Vatikan. Die Privataudienz war 2019. Ein wenig Kontakt hatte ich schon vorher mit ihm, meistens über kleine Notizen, kurze Schreiben. Als wir mit dem Dikasterium 2019 unsere Planungskonferenz hatten, hat mich ein Freund, ein gemeinsamer Freund gefragt, ob ich nicht den Papst treffen wollen würde. Da habe ich natürlich Ja gesagt.
Als wir mit dem gesamten Dikasterium beim Papst waren, 200-300 Leute, habe ich mich vorgestellt, und er frug, ob ich mich nicht privat mit ihm unterhalten wollen würde. Wir hatten ein sehr beeindruckendes Gespräch von einer halben Stunde und uns danach weiter über Briefe ausgetauscht.
Dieses Treffen hat mir sehr viel Trost gespendet. Das war im Apostolischen Palast, der Vatikan hat Fotos davon veröffentlicht. Das ist seine Art den Leuten zu zeigen, dass der Papst dieses Treffen auch selbst gewollt hat und öffentlich machen wollte. Das ist alles sehr ungewöhnlich und ich bin auch heute immer noch davon beeindruckt. Ich empfinde da eine große Dankbarkeit nicht nur für seine persönliche Zusprache, sondern auch für das Signal, dass das in die LGBTQ-Community setzt. Er ist bei dem Thema wirklich sehr besorgt, wie es jeder gute Pastor wäre.
Frage: Sie haben gerade einen sehr wichtigen Satz gesagt. Sie sagen, der Papst wollte, dass Ihr Treffen öffentlich wird. Denken Sie da steckt auch eine Botschaft an die Öffentlichkeit drin?
Martin: Absolut. Als ich ihn im November getroffen habe, hat der Vatikan das genauso gemacht. Aber man muss da auch nicht wirklich Zeichen deuten oder Hellseher sein. Er hat wirklich deutliche Briefe an so viele Menschen geschrieben, nicht nur an mich. Man braucht nicht diese Bilder als Beweis. Er hat für unsere Webseite über die Nähe und Liebe Gottes geschrieben, da muss man nicht zwischen den Zeilen lesen, um zu sehen, was er denkt. Das ist alles sehr pastoral, und das ist sein Ansatz.
Frage: Was denken Sie denn über unseren Synodalen Weg in Deutschland? Im März haben wir in Frankfurt die letzte Synodalversammlung begangen, die unter anderem einen Segen für homosexuelle Paare beschlossen hat, was ja explizit dem Willen des Vatikans widerspricht. Das widerspricht dann ja eigentlich auch Ihrem Ansatz, nicht die Lehre in Frage zu stellen. Die Deutschen wollen einen Schritt weiter gehen.
Martin: Ich will mich erst mal nicht mit der gesamten katholischen Kirche in Deutschland auf eine Ebene setzen. Wir müssen uns fragen, wo der Heilige Geist aktiv ist. Wir müssen sehen und verstehen, dass der Heilige Geist im Synodalen Weg präsent ist. Papst Franziskus hat bei einer seiner Synoden im Vatikan, ich glaube es war die Familiensynode, gesagt, dass es absolut nicht verboten ist, über solche Themen zu sprechen.
Ich bin ein bisschen zwiegespalten bei diesem Thema. Ich finde es erst einmal wunderbar, dass sich Menschen in der Kirche so offen austauschen können, auch über solche heiklen Themen. Genau in solchen Dingen ist der Heilige Geist präsent.
Mir ist die letzten Jahre mehr und mehr klar geworden, dass die Menschen, die ein Problem mit Papst Franziskus haben, ein Problem haben mit Synodalität oder Unterscheidung der Geister, dass Leute die gegen Amoris laetitia und seine anderen Schriften sprechen, einen anderen Schwerpunkt setzen. Wenn man hinter die politischen, soziologischen, ekklesiologischen, theologischen und selbst spirituellen Argumente schaut, dann stellt sich das Grundproblem dar, dass viele dieser Leute einfach nicht an das Wirken des Heiligen Geistes im Gewissen des individuellen Menschen glauben. Das ist der Unterschied. Papst Franziskus glaubt daran. Als Jesuit, ehemaliger Novizenmeister, als geistlicher Begleiter. Er glaubt mit einer Leidenschaft daran, dass der Heilige Geist lebt und in jedem einzelnen Menschen zum Wirken kommt. Wir müssen nur darauf hören. Deshalb müssen wir eben auch auf den individuellen Menschen hören, und auf Gemeinschaften, wie die Kirche in Deutschland. Ich denke das erklärt also einen großen Teil der Opposition gegen den Synodalen Weg. Ich finde es also toll, dass diese Sachen diskutiert werden, offen und ehrlich, dass man in Deutschland auf den Heiligen Geist in den Menschen hört. Der spricht nicht von oben herab, er spricht auch von unten herauf, aus den Menschen.
Gleichzeitig bin ich doch ein wenig überrascht über den Konflikt, der zwischen Deutschland und dem Vatikan entstanden ist. Ich weiß nicht so ganz, wie ich da intelligent drauf antworten soll, aber ich bin überrascht. Vom Mut und der Konfliktbereitschaft der Deutschen, aber auch von der heftigen Reaktion des Vatikans. Zum Beginn der Weltsynode hat der Vatikan gesagt: Lasst uns auf die Wünsche und Bedürfnisse der Christen in aller Welt hören. Das was die Deutschen machen, sehe ich als Beitrag dazu. Die Deutschen machen ein Angebot an die Weltkirche. Ich hoffe, dass die Weltsynode darauf hört. Aber ich bin kein Experte für Deutschland oder den Synodalen Weg, das ist nur meine Meinung als Außenstehender. Einerseits bin ich froh über die Offenheit, andererseits bin ich über den Konflikt überrascht.
Frage: Da haben Sie sich aber etwas aus meiner Frage rausgewieselt. Was halten Sie davon, dass Deutschland auf eigene Faust den Segen für homosexuelle Paare einführen will, ohne Absprache mit Rom?
Martin: Ja, da sollte ich mich vielleicht zurückhalten. Sonst müsste ich ja sagen, die deutschen Bischöfe haben Unrecht oder der Vatikan hat Unrecht. Da will ich mich nicht einmischen und habe mich wirklich etwas aus der Antwort rausgewieselt.
Was ich aber sagen kann, ist, dass ich froh bin, dass man in Deutschland auf die Stimme des Gottesvolkes hört. Lassen Sie es mich so ausdrücken, als Jesuit und Priester: Wenn der Vatikan mir etwas verbieten würde, würde ich es nicht tun. Aber das ist eine andere Ebene. Noch mal: Ich bin nicht die deutsche Kirche. Wir werden sehen, wo das alles hinführt.
Frage: Vielleicht hat der Konflikt auch mit den unterschiedlichen Mentalitäten zu tun. Die Deutschen wollen immer überkorrekt sein und für alles ein Dokument mit Fußnoten haben, während man in anderen Ländern vielleicht einfach erst mal macht, ohne erst die große Diskussion vom Zaun zu brechen.
Martin: Ja, ich bin froh, dass Sie das so gesagt haben, ich kann ja schlecht auf die Art die deutsche Kultur kritisieren. Ich habe auch gehört, dass man sagt, in Italien, zum Teil auch im Vatikan, werden Regeln eher als Ziele betrachtet. In Deutschland und anderen westlichen Ländern sind Regeln die Basis des Handelns. Wir werden sehen. Ich bin auf alle Fälle sehr neugierig, wie das ausgeht. Bis jetzt habe ich keinen Schimmer.