Pädagogin und Domkapitular leiten gemeinsam Priesterseminar in Speyer

Regens: "Nicht auf Machtfragen fokussieren"

Veröffentlicht am 22.05.2023 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Speyer ‐ Das Pastoral- und Priesterseminar St. German in Speyer wird gemeinsam von der Religionspädagogin Tatjana Blumenstein und Domkapitular Franz Vogelgesang geleitet. Wie sich die beiden ihre gemeinsame Aufgabe vorstellen, darüber sprechen sie mit katholisch.de.

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Tatjana Blumenstein und Franz Vogelgesang leiten als Doppelspitze das Pastoral- und Priesterseminar St. German in Speyer. Wie sich die beiden ihre gemeinsame Leitungsaufgabe vorstellen und wo sie auch Schwierigkeiten sehen, erklären sie im Interview mit katholisch.de. 

Frage: Frau Blumenstein, sind Sie nun offiziell – neben Regens Vogelgesang – die neue "Regentin" im Priesterseminar?

Frau Blumenstein: Nein, ich bin nicht Regentin, sondern "Seminarrektorin". Ich finde aber nach wie vor die Anrede "Frau Blumenstein" sehr schön.

Frage: Ehrt Sie diese neue Aufgabe, Frau Blumenstein?

Frau Blumenstein: Ja, es ehrt mich, dass ich diese neue Aufgabe übertragen bekommen habe, aber ich habe auch, wie bei jeder beruflichen Veränderung, den nötigen Respekt. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit meinem Kollegen. Wir kennen uns schon lange und unsere Begegnungen waren und sind immer von großer gegenseitiger Wertschätzung geprägt.

Frage: Herr Vogelgesang, ehrt Sie diese Tandemlösung auch? Oder war es eher eine Notlösung, weil Sie es nicht mehr allein machen wollten?

Herr Vogelgesang: Mit dieser Lösung knüpfen wir sehr gut an die Entwicklungen und Beschlüsse des synodalen Weges an. Das ist unserem Bischof wichtig, aber auch in unseren diözesanen Gremien ein großes Thema. Gerade in der Ausbildung des pastoralen Nachwuchses kann ein solches Modell wegweisend sein. Im Tandem zu führen ist sicherlich eine herausfordernde, aber auch eine zukunftsfähige Leitungsform. Und ich bin gerne dabei, mich einer solchen Aufgabe zu stellen.

Frage: Frau Blumenstein, es geht also bei der neuen Doppelspitze im Seminar St. German nicht darum, damit nur eine Frauenquote zu erfüllen?

Frau Blumenstein: Nein, denn mich gibt es hier im Priesterseminar schon länger. Seit 18 Jahren bin ich schon als Dozentin für Religionspädagogik im Haus tätig. Als ich die Stelle bekam, war ich die erste Frau im Kollegium. Seit vielen Jahren bin ich nicht mehr die einzige.

Frage: Sie sind im Seminar aber nur für die Ausbildung der Laien zuständig, oder?

Frau Blumenstein: Als Ausbildungsleiterin betreue ich die PastoralassistentInnen und die GemeindeassistentInnen. Als Dozentin für Religionspädagogik bin ich für die Ausbildung der Priesteramtskandidaten, der PastoralassistentInnen und der GemeindeassistentInnen zuständig. Dazu kommen dann noch Leitungsaufgaben in der überdiözesanen Ausbildung, denn hier arbeiten die vier Diözesen der Metropolie Bamberg, also Bamberg, Würzburg, Eichstätt und Speyer, seit 2008 zusammen. Diese und andere Leitungsaufgaben werden mein Kollege und ich zunächst gemeinsam wahrnehmen und uns dann über eine konkrete Aufteilung beraten.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Ein Kruzifix hängt an der Wand über einem Pult mit aufgeschlagener Bibel am 27. Februar 2020 im Priesterseminar in Speyer.

Frage: Herr Vogelgesang, warum werden all diese Studierenden hier in Speyer ausgebildet?

Herr Vogelgesang: Weil wir schon längere Zeit gezeigt haben, dass das in Speyer gut funktioniert – wie gerade meine Kollegin schon sagte. Seit etlichen Jahren ist die Kooperation mit den Bistümern der Bamberg, Eichstätt und Würzburg in der Ausbildung der künftigen Priester gute Praxis. Die Kooperation ist aufgrund der sinkenden Bewerberzahlen sinnvoll geworden. In Speyer wird der letzte Abschnitt der Ausbildung vor der Priesterweihe beziehungsweise Aussendung, die sogenannte pastoralpraktische Ausbildung im Pastoralkurs, organisiert. Schon zu meiner eigenen Ausbildungszeit hatten wir den Pastoralkurs gemeinsam mit unseren künftigen PastoralreferentInnen. Insofern gibt es in Speyer neben dem frisch renovierten Haus gute Voraussetzungen und Erfahrungen für das Kooperationsprojekt. Momentan sind es insgesamt 34 Männer und Frauen, die gemeinsam zu künftigen Priestern und PastoralreferentenInnen ausgebildet werden.

Frage: Herr Vogelgesang, auch wenn hier alle kirchlichen Berufsgruppen gemeinsam ausgebildet werden, bleiben Sie weiterhin für die Priester zuständig?

Herr Vogelgesang: Ja – wir finden diese Aufteilung sehr sinnvoll. Der Priester im Leitungsteam ist für die künftigen Priester und Diakone der primär Zuständige, und die Kollegin ist die erste Ansprechpartnerin für die künftigen Pastoral- und GemeindereferentenInnen. Wir werden aber beide das Gesamt der Berufsgruppen im Blick haben und in allen Fragen den Austausch brauchen. Ich schätze es sehr, dass ich mich als Regens auch hier auf die Einschätzungen meiner Kollegin stützen kann. Und ich denke, es ist umgekehrt genauso.

Frage: Ich überlege: Man könnte doch auch mal tauschen, und eine Frau ist für die Ausbildung der Priester zuständig. Was meinen Sie, Herr Regens?

Herr Vogelgesang: Ich glaube, dass das nicht notwendig ist aus den Gründen, die ich eben darzulegen versucht habe. Unmöglich wird ein solcher Tausch natürlich nicht sein. Im Moment jedenfalls würde es sich für mich aber eher als etwas gekünstelt empfinden. Es geht uns um ein sich gegenseitig bereicherndes und ergänzendes Tun im Miteinander.  

Frage: Frau Blumenstein, würden Sie denn als Frau für die Ausbildung der Priester zuständig sein wollen? 

Frau Blumenstein: Als Dozentin bin ich das ja schon. Aber für die Rolle als Ausbildungsleitung fände ich es schwierig, das so über das Knie brechen zu wollen und die Rollen schnell mal zu tauschen. Mein Kollege ist Priester, er hat den Stallgeruch, wie man das so schön sagt, und ich denke, er weiß auch, wie es am besten funktionieren kann.

„Wenn sich jeder Getaufte als Jünger Christi versteht, sich dementsprechend verhält und so zu leben versucht, hätten wir eine Basis gewonnen, von der aus sich viele Themen nicht auf Machtfragen fokussieren müssen oder vielleicht gar nicht erst aufkommen.“

—  Zitat: Regens Franz Vogelgesang

Frage: Was würden Sie heute anders machen im Vergleich zu damals, als Sie hier ausgebildet wurden, Frau Blumenstein?

Frau Blumenstein: Ich wurde hier nicht ausgebildet! Von Haus aus bin ich Lehrerin!

Frage: Was hat sich in den Jahren, in denen Sie hier arbeiten, in der Ausbildung geändert?

Frau Blumenstein: Das Ausbildungskonzept hat sich in vielerlei Hinsicht geändert; sowohl inhaltlich als auch strukturell. Als ich vor 18 Jahren hier im Seminar als Dozentin für Religionspädagogik angefangen habe, gab es noch keine kooperative Berufseinführung innerhalb der Diözese, sondern drei verschiedene Ausbildungszweige mit nur wenigen Berührungspunkten. Seit 2015 genießen GemeindeassistentInnen, PastoralassistentInnen und Priesteramtskandidaten eine gemeinsame Ausbildung. Hierdurch ergeben sich Synergien. Die gemeinsame Ausbildung kann aber auch ein frühzeitiges gegenseitiges Kennenlernen, das Verständnis füreinander und die Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls fördern; in der Praxis arbeiten schließlich alle Berufsgruppen zusammen. Die Veränderungen der pastoralen Wirklichkeit mit ihren immer komplexeren Strukturen und die rückläufigen Zahlen in den einzelnen Berufsgruppen fordern auch ein Ausbildungskonzept, das die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge weiter qualifiziert. Seit 2008 arbeiten die vier Diözesen der Metropolie in der Ausbildung zusammen. Wir befinden uns also immer auf dem Weg, das Ausbildungskonzept zu aktualisieren. Wir müssen offen sein für neue Formen und dabei stets die Menschen und unsere frohe Botschaft im Blick haben. Das ist unsere Aufgabe und nur so kann Seelsorge gelingen.

Frage: Herr Vogelgesang, wird es in der Ausbildung der Priester spezielle Kurse geben zu den Themen Klerikalismus, Machtmissbrauch oder sexueller Missbrauch?

Herr Vogelgesang: Ja, das gehört nach den Erkenntnissen der MHG-Studie und den daraus gezogenen Konsequenzen zum Standard für die gesamte Phase der Ausbildung auch an den anderen Studienorten. Als Leiter der Hauptabteilung Seelsorge war ich jahrelang nah dran an diesen Fragen und Themen. So weiß ich, dass es hier viel zu tun gibt und dass es noch ein längerer Weg sein wird, denn es geht hier um Haltungen. Und die sind nicht per Knopfdruck zu verändern. In der Aus-, Fort- und Weiterbildung liegen schon Konzepte vor. Diese müssen weiterentwickelt und immer wieder angepasst werden. Da sind wir im Seminar an entscheidender Stelle gefragt und dabei.

Frage: Was kann man tun, um Machtgefälle in der Kirche von Anfang an zu ändern?

Frau Blumenstein: Wir sind als Doppelspitze ein guter Anfang. Wir verfolgen eine paritätische Leitung. Das kann Vorbild sein für die, die bei uns ihre Ausbildung machen. So können sie sehen, dass es funktioniert, wenn man Macht aufteilt, abgibt und gemeinsam leitet.

Herr Vogelgesang: Für mich hängt Ihre Frage auch ganz entscheidend noch mit einer anderen Thematik zusammen: dem Bewusstsein, getauft zu sein, der Würde des gemeinsamen Priestertums, das aus der Taufe entspringt. Wenn sich jede/r Getaufte als Jünger/Jüngerin Christi versteht, sich dementsprechend verhält und so zu leben versucht, hätten wir eine Basis gewonnen, von der aus sich viele Themen nicht auf Machtfragen fokussieren müssen oder vielleicht gar nicht erst aufkommen. Das ist ein zutiefst spiritueller Ansatz, aber der ist für mich der entscheidendere, um zu dem zu kommen, was und wie wir in Gemeinschaft Kirche sind und wie wir leiten.

Von Madeleine Spendier