Gewerkschaft ver.di startet Kampagne gegen kirchliches Arbeitsrecht
Die Gewerkschaft ver.di startet eine Kampagne zur Abschaffung von Ausnahmeregeln für Religionsgemeinschaften im Arbeitsrecht. Mit einer an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und die Ampelfraktionen gerichteten Petition fordert die Gewerkschaft Änderungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). "Auch im Jahr 2023 haben wir, die Beschäftigten von Kirchen, Diakonie und Caritas, noch nicht dieselben Rechte wie unsere Kolleg*innen in weltlichen Betrieben", heißt es im Kampagnenaufruf. Kritisiert wird unter anderem, dass eine Kündigung nach Kirchenaustritt zulässig ist und in kirchlichen Einrichtungen nicht dieselbe betriebliche Mitbestimmung gilt. Es sei höchste Zeit, "diese veralteten Kirchenprivilegien abzuschaffen".
Die Gewerkschaften gehören seit langem zu den deutlichsten Kritikern des kirchlichen Arbeitsrechts. Auf Grundlage des grundgesetzlich verbrieften Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften gibt es in der katholischen und der evangelischen Kirche eigene arbeitsrechtliche Regelungen zu Loyalitätspflichten von Beschäftigten und der betrieblichen Mitbestimmung. Das AGG ermöglicht es Religionsgemeinschaften derzeit, von Beschäftigten eine bestimmte Religionszugehörigkeit und loyales Verhalten im Sinn des religiösen Selbstverständnisses zu fordern (§ 9 AGG). Das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht für Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen (§ 118 Abs. 2 BetrVG). Das kirchliche kollektive Arbeitsrecht sieht anders als das Betriebsverfassungsgesetz keine Mitbestimmung in unternehmerischen Fragen vor und ermöglicht es den Gewerkschaften nicht, Initiativen zur Gründung von Mitarbeitendenvertretungen in Einrichtungen zu ergreifen.
Keine Änderungen im kollektiven Arbeitsrecht bei Grundordnungsreform
Im vergangenen Jahr reformierte die katholische Kirche ihr Arbeitsrecht durch eine Novelle der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes". Dabei wurden vor allem die Loyalitätspflichten von Beschäftigten neu geregelt. Die persönliche Lebensführung darf seither keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen mehr haben. Ein Kirchenaustritt führt jedoch weiterhin in der Regel zur Kündigung. Im kollektiven Arbeitsrecht gab es keine Änderungen. Weiter halten die Bischöfe am "Dritten Weg" fest, bei dem Arbeitsbedingungen und Entlohnung nicht durch Arbeitskampfmaßnahmen und Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt, sondern durch paritätisch aus Dienstnehmer- und Dienstgebervertretern besetzte arbeitsrechtliche Kommissionen festgelegt werden. Bei der Reform verständigten sich die Bischöfe darauf, eine Mitbestimmung von Beschäftigten an wirtschaftlichen und unternehmerischen Entscheidungen kirchlicher Einrichtungen zu prüfen. Von ver.di wurde die Grundordnungsreform als "verpasste Chance" bewertet.
Befürworter des "Dritten Wegs" verweisen auf die fast flächendeckende Anwendung der kirchlichen Tarifwerke und den im Vergleich zum Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes deutlich höheren Anteil von Einrichtungen mit Mitarbeitervertretung. Die Koalitionsparteien SPD, Grüne und FDP kündigten in ihrem Koalitionsvertrag an, gemeinsam mit den Kirchen eine Angleichung des kirchlichen an das staatliche Arbeitsrecht zu überprüfen. Das Bundesarbeitsministerium hatte ursprünglich geplant, das Thema im ersten Quartal dieses Jahres anzugehen. Konkrete Schritte dazu sind noch nicht bekannt. (fxn)