Was Kräuter Gutes tun
Seit 18 Jahren hegt Schwester Leandra Ulsamer die schmalen, mit Schieferplatten gekennzeichneten Beete. Die braunen Augen der 75-Jährigen strahlen. Ihre Liebe zu den Kräutern teilt sie mit einigen Helfern. An jedem Wochentag kommt jemand und hilft ehrenamtlich beim Jäten, Ernten und Gießen. Heute sitzt eine junge Frau im Schatten des Baumes, auf dem Schoß einen Korb voll mit Ringelblumenblüten. Jetzt sei die Erntezeit, erklärt die Nonne.
Ringelblumensalbe und -öl – darauf schwört sie. Vor allem bei Hautleiden helfe es besonders gut. Habe sie den Besuchern des Klostergartens vor zehn Jahren noch beweisen müssen, dass man die leuchtenden Blüten der Kapuzinerkresse essen kann, mache sich inzwischen der Wandel in den Köpfen vieler bemerkbar, erzählt Leandra. "Immer mehr Leute besuchen mich, es vergeht kein Tag, an dem nicht jemand kommt, um etwas über die Kräuter zu erfahren."
Suche nach Alternativen
Heilkräuter haben in den vergangenen Jahren - so scheint es - einen enormen Aufschwung erfahren. Die Franziskanerin hat dafür eine einfache Erklärung. "Ich glaube, viele haben Angst vor Medikamenten, von denen kein Laie mehr weiß, was drinsteckt." Bei Heilkräutern sei das anders, weil man die Pflanze mit allen Sinnen entdecken und sich mit ihr vertraut machen könne.
Dieser Meinung ist auch Johannes Gottfried Mayer von der Forschungsgruppe Klostermedizin am Würzburger Institut für Medizingeschichte. Seit acht Jahren arbeitet er eng mit Schwester Leandra zusammen. "Man hat lange Zeit geglaubt, alles mit synthetischen Mitteln optimal beheben und heilen zu können", erklärt der Wissenschaftler. "In den letzten Jahrzehnten hat man aber gemerkt, dass zunehmend chronische Krankheiten auch der Schulmedizin große Probleme machen. Darum wird immer öfter nach Alternativen gesucht."
Der Klostergarten ist für Mayer insofern eine große Bereicherung. "Wir haben dort die Pflanzen in einer sehr schönen Umgebung in natura, und Schwester Leandra probiert auch bestimmte Dinge aus. Das hilft uns sehr." Daneben versuchen Forscher, uralte Handschriften zu entziffern, um dem Geheimnis gut gehüteter Rezepte und Tinkturen auf die Spur zu kommen - nicht zuletzt auch, um sich der Schulmedizin anzunähern. "In der Patientenbroschüre der Unikliniken steht, dass die Klostermedizin eines der drei wichtigsten Forschungsvorhaben der Medizinischen Fakultät ist", sagt Mayer.
Eine "Gehilfin des Schöpfers"
Viele Orden haben nach der Regel des heiligen Benedikt gelebt, die unter anderem besagt, dass die Pflege der Kranken eine der wichtigsten Aufgaben der Klöster sein soll. Die Mönche und Nonnen hielten über Jahrhunderte ihre Erkenntnisse in Büchern fest. "Es gab damals keine studierten Ärzte, und wer einen Fachmann gebraucht hat, musste zum Mönch oder zur Nonne gehen", weiß Mayer. In den Jahren seiner Arbeit hat der Wissenschaftler eine große Erkenntnis gewonnen, nämlich "dass alles, was damals notiert wurde, seinen Sinn hat. Klingt es auch beim ersten Lesen noch so eigenartig", erklärt er.
Schwester Leandra sitzt im Schatten am Rande ihres Kräutergartens, die wettergegerbten Hände ruhen für einen Moment im Schoß. In solchen kurzen Ruhepausen genießt sie Anblick und Duft ihrer Kräuter. "Ich erlebe mich als Gehilfin des Schöpfers, der die Kräfte in die Kräuter gelegt hat, die ich dann in Tees oder Zugaben in Speisen an andere weiterschenken kann. Schön, wenn sich immer mehr Menschen dafür interessieren, was die Kräuter Gutes tun."