Liturgie sei schon immer politisch gewesen

Kranemann: Heiligtumsfahrt-Messe ohne Woelki richtige Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2023 um 12:29 Uhr – Lesedauer: 

Erfurt ‐ Kirchenpolitik kommt in jedem Gottesdienst vor, sagt Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann. Dass Kardinal Woelki an einem Wallfahrtsgottesdienst in Aachen nicht teilgenommen hat, findet er richtig, das Problem liege allerdings "ganz woanders".

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Die Absage einer Teilnahme des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki an einem Gottesdienst der Heiligtumsfahrt in Aachen war aus Sicht des Erfurter Liturgiewissenschaftlers Benedikt Kranemann die richtige Entscheidung, um "für keine Eskalation bei der Wallfahrt zu sorgen". Das Problem liege allerdings "ganz woanders", sagte Kranemann dem Kölner "Domradio" (Mittwoch). "Das Problem liegt dort, wo diese Causa nicht geklärt wird und für die Kirche in Deutschland – ich denke, das gilt nicht nur für das Erzbistum Köln – da im Grunde eine Affäre, ein Vorgang offen gehalten wird und für immer neue Verletzungen auf allen Seiten führt."

Proteste bei Firmungen oder einer Messdiener-Wallfahrt in Rom hätten gezeigt, dass es ein gravierendes Problem in einer Ortskirche gebe, "das aber für die gesamte deutsche Ortskirche andernorts gelöst werden müsste", erklärte der Theologieprofessor. In der Liturgie ließe sich dieses Problem nicht lösen. Ein Auftritt Woelkis bei der Heiligtumsfahrt am vergangenen Sonntag war kurzfristig abgesagt worden, nachdem Demonstrationen gegen Woelki im Rahmen des Gottesdienstes angekündigt wurden.

Kirchenpolitik habe Einfluss auf Liturgie

Grundsätzlich habe Liturgie immer eine politische Dimension, sagte Kranemann. "Liturgie ist ein hochsymbolisches Geschehen. Liturgie ist ein Geschehen, das Kirche abbildet. Von daher kann man zunächst einmal erklären, ohne dass man es gutheißen muss, dass Kirchenpolitik auch Einfluss auf Liturgie nimmt." Das, was die Kirche politisch bewege, finde in jeder Liturgiefeier und insbesondere in der Eucharistiefeier statt. "Ich würde sogar sagen, bis in die Raumkonstellation hinein wird hier in gewisser Weise auch Politik betrieben."

Dass Themen, die Ökologie und Schöpfung oder etwa Menschenrechte beträfen, im Gottesdienst eine Rolle spielten, sei "etwas ganz Natürliches und irgendwie auch Sinnvolles", so Kranemann. Problematisch würde es dann, wenn politische Auseinandersetzungen im Gottesdienst ausgetragen würden, da der Gottesdienst nicht den Ort bieten könne, um die Themen zu erörtern. "Also müsste man vor dem Gottesdienst oder nach dem Gottesdienst den Raum haben, solche Dinge zu diskutieren", so der Liturgiewissenschaftler.

Da Liturgie ein gewisses Kirchenbild spiegele, komme zudem auch Kirchen- und Personalpolitik im Gottesdienst vor. "Bestimmte Personalkonstellationen, bestimmte Geschlechterkonstellationen, bestimmte Machtkonstellationen in der Kirche spiegeln sich natürlich auch im Gottesdienst wider", erklärte Kranemann. Während sich so beispielsweise ein Amtsträger im Gottesdienst inszenieren könne, seien Frauen von bestimmten Aufgaben in der Kirche ferngehalten worden. "Da haben sich Dinge zwar verändert, aber sie haben sich meines Erachtens auch noch nicht so weitgehend verändert, wie man sich das wünschen würde." Als weiteres Beispiel nannte Kranemann, "dass bis in jüngste Zeit homosexuelle Paare sich in der Liturgie als solche Paare nicht zeigen durften oder ihnen bestimmte Segensfeiern verwehrt wurden". (cbr)