Dogmatiker Tück zur Debatte um Öffnung des Priesteramts für verheiratete Männer

"Viri probati": Die entschiedene Unentschiedenheit aufgeben

Veröffentlicht am 24.06.2023 um 00:01 Uhr – Von Jan-Heiner Tück – Lesedauer: 
Debatte

Wien ‐ Die Priesterweihe von Männern, die sich in Ehe, Familie und Beruf bewährt haben, könnte ermöglicht werden. Doch Papst Franziskus zögert. Dabei könnte die Öffnung für Regionen, die extrem vom Priestermangel betroffen sind, ein Segen sein, schreibt der Dogmatiker Jan-Heiner Tück in seinem Gastbeitrag.

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Es wird immer wieder gefordert, dass es sie geben solle. Dabei gibt es sie längst: verheiratete Kleriker in der katholischen Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Weg für sie freigemacht. Statt wie bisher den Diakon nur als Durchgangsstufe zum Priesteramt zu begreifen, hat es in Beruf und Familie bewährte Männer – "viri probati" – zur Diakonen-Weihe zugelassen. Gewiss, ständige Diakone sind keine Priester oder Bischöfe, aber sie bilden einen eigenen Dienst in der kirchlichen Ämter-Ordnung. Auch gibt es verheiratete Geistliche, die aus den Kirchen der Reformation kommen und konvertieren. Sie werden von der Zölibatsverpflichtung großzügig dispensiert. Schließlich leisten verheiratete Priester aus den mit Rom unierten Ostkirchen in der Seelsorge gute Dienste.

Verheiratete Kleriker als "Priester zweiter Klasse" abzutun oder vor einer "bürgerlichen Verweltlichung" der katholischen Kirche zu warnen, ist daher deplatziert. Schon das Konzil würdigte die Tradition der Ostkirchen, in denen es "hoch verdiente Priester im Ehestand" gibt, hielt aber gleichzeitig für die lateinische Kirche am bewährten Junktim zwischen Priesteramt und zölibatärem Lebensstil fest.

Neue Töne

Allerdings nehmen die Stimmen zu, die das Junktim in Frage stellen. Neuerdings betonen sogar Bischöfe und Kardinäle vor Kameras und Mikrofonen, dass der Zölibat kein Dogma, sondern eine rechtliche Vorschrift sei, die man wieder aufheben könne. Das sind neue Töne. Tatsächlich ist das Zölibatsgesetz erst im Jahr 1139 durch das Zweite Laterankonzil universalkirchlich erlassen worden. Der strategische Hinweis auf die erst im Mittelalter verfügte Vorschrift übergeht allerdings, dass die Wertschätzung sexueller Abstinenz bis in die frühe Kirche zurückreicht. Historisch angemessener dürfte es sein, zwischen Enthaltsamkeits- und Ehelosigkeitszölibat zu unterscheiden. Sexuelle Abstinenz für verheiratete Bischöfe, Priester und Diakone wird schon auf der Synode von Elvira im Jahr 306 gefordert. Das lässt den Rückschluss zu, dass sie schon früher üblich war. Im Mittelalter wird dann aus Gründen des Erbrechts und der kultischen Reinheit der Zölibat gesetzlich vorgeschrieben. In der Zeit der Gegenreformation avanciert die priesterliche Ehelosigkeit gar zu einem katholischen Identitätsmarker.

Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht (Symbolbild)

Eine Seite aus dem Codex Iuris Canonici (CIC): In Kanon 277, Paragraf 1, geht es um den Zölibat.

Bemerkenswert ist, dass auch Papst Franziskus unlängst auf die Revidierbarkeit des Zölibatsgesetzes hingewiesen hat. Damit konzediert er, dass eine Änderung möglich ist. Selbst umsetzen will Franziskus sie aber nicht, obwohl er dies als Oberster Gesetzgeber leicht könnte. Er glaube nicht, den Priestermangel durch einen optionalen Zölibat beheben zu können. Allerdings könnte eine regionale Lockerung durchaus ein Baustein sein, die sich ausbreitende geistliche Versteppung kleiner Gemeinden aufzuhalten.

Mit seiner Reserve verbleibt Franziskus in der Spur seiner Vorgänger. Papst Paul VI. hat dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Lizenz entzogen, offen über den Zölibat zu diskutieren, und in einer eigenen Enzyklika die priesterliche Ehelosigkeit als zu hütenden Schatz der Katholischen Kirche gewürdigt. Schon auf dem Konzil gab es allerdings Bischöfe, die mit Blick auf den Priestermangel in Lateinamerika eine Änderung gefordert haben. Auch die Nachkonzilspäpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sahen sich mit entsprechenden Forderungen konfrontiert, haben sich aber klar für die Beibehaltung des Zölibats ausgesprochen. So hat sich der Eindruck verfestigt, dass die zölibatäre Lebensform für Priester zur DNA der katholischen Kirche gehöre.

Woran liegt das Zögern von Franziskus?

Das Zögern des argentinischen Pontifex, den Zölibat auch in vom Priestermangel betroffenen Regionen zu lockern, könnte damit zusammenhängen, dass er die Klärung der eigenen Berufung durch das Nadelöhr der Zölibatsfrage hat laufen lassen: Bin ich zu einer ehelosen Lebensform fähig – ja oder nein? Für Aufsehen hat jedenfalls gesorgt, dass er im Jahr 2020 dem Mehrheits-Votum der Amazonassynode für eine Lockerung des Zölibats nicht gefolgt ist. Die Synode hatte einen Paradigmenwechsel von einer flüchtigen Besuchs- zu einer stetigen Präsenzpastoral anvisiert, um den boomenden pentekostalen Kirchen Einhalt zu gebieten. In diesem Zusammenhang hatte sie die Weihe von verheirateten Priestern empfohlen. Obwohl der Bergoglio-Papst einen synodalen Konsultationsprozess ausdrücklich gewünscht hatte und bekanntlich eine "heilsame Dezentralisierung" in der Kirche anstrebt, hat er für Amazonien keine Ausnahmeregelung getroffen. Ob hier die Rücksicht auf den emeritierten Papst Benedikt XVI. ausschlaggebend war oder eher der Umstand eine Rolle spielte, dass die Amazonas-Region nach dem Konzil versäumt hat, ständige Diakone einzuführen, aus deren Gruppe verheiratete Priester hervorgehen könnten, ist schwer zu sagen. Vielleicht spielt auch ein psychologisches Motiv eine Rolle: Für einen optionalen Zölibat einzutreten hieße, nachträglich einzuräumen, dass die Zölibatsfrage doch nicht so entscheidend für die Berufung zum Priestertum sein kann.

Was aber spricht theologisch für den Zölibat? Neben der jahrhundertelangen Tradition gibt es ein Ensemble von Argumenten. Das erste betont die Radikalität der Nachfolge: Wer auf Ehe und Familie verzichtet, ahmt die Lebensform Jesu nach, die der Apostel Paulus präferiert hat und viele Heilige vorgelebt haben. Das zweite Argument ist funktional und verweist auf die Verfügbarkeit: Wer ehelos bleibt, ist für Gott und die Gemeinde frei und kann sich seinem Dienst vorbehaltlos widmen. Das dritte betont das eschatologische Zeichen: Ehelosigkeit "um des Himmelreiches willen" (Mt 19,12) weist voraus auf die kommende Welt. Das Argument der kultischen Reinheit, der Priester dürfe vor dem Vollzug des eucharistischen Opfers keinen Sexualverkehr haben, "unreine" Hände dürften das Heilige nicht berühren, ist heute hinfällig geworden.

Bild: ©Privat

Jan-Heiner Tück ist Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Wien.

Um aber den Zölibat nicht vorschnell als Indiz von religiösem Übereifer oder notorischer Sexualfeindlichkeit abzutun, reicht ein Seitenblick auf den Soziologen Max Weber. In seinem Buch "Wirtschaft und Gesellschaft" führt er aus, dass es zum Profil charismatischer Führerpersönlichkeiten gehört, keine familiären Verpflichtungen zu haben, um sich ihrer Sache ganz widmen zu können. So lässt sich festhalten: Die zölibatäre Lebensform verbindet den Priester mit Christus, macht ihn frei für die Gemeinde und verleiht ihm einen alteritären Nimbus, da er auf sexuelle Selbstverwirklichung verzichtet und so auf die Fülle des Heiligen verweist.

Ist aber damit nicht die Gefahr der geistlichen Überhöhung verbunden? Die Risiken und Nebenwirkungen, die mit dem Zölibatsgesetz verbunden sind, liegen seit langem auf dem Tisch. Nicht wenige Priester brechen das Weiheversprechen und leben in heimlichen Beziehungen. Das ist auch für die betroffenen Frauen belastend, sie können nicht offen zu ihrer Liebe stehen, zumal aus manchen Verbindungen Kinder hervorgehen, denen dann die Begleitung durch den eigenen Vater vorenthalten wird. Auch gibt es Priester, die in homosexuellen Partnerschaften leben. Das steht in Widerspruch zur offiziellen kirchlichen Sexualmoral. Die Scheinheiligkeit nimmt systemische Züge an, wenn Bischöfe das Doppelleben ihrer Kleriker dulden, um die pastorale Versorgung der Gemeinden sicherstellen zu können.

Überforderung, Frustration, Vereinsamung

Das Problem des Priestermangels wird gerade in den Regionen Westeuropas immer akuter. Schon vor Jahren hat der Regens des Münsteraner Priesterseminars, Hartmut Niehues, mahnend von einer "Nulllinie" beim Priesternachwuchs gesprochen. Immer weniger Priester müssen immer mehr Gemeinden versorgen. Das führt zu Überforderung, Frustration und Vereinsamung, mitunter auch zu Alkoholismus und Pornographie-Konsum. Das katholische Milieu, das Priester in familiäre Gemeinschaftsformen einbindet, erodiert mehr und mehr. Schließlich zieht die zölibatäre Lebensform partiell Kandidaten an, die eigenwillig und unreif wirken, auch wenn kausale Zusammenhänge zwischen Zölibat und sexuellem Missbrauch wissenschaftlich nicht erwiesen sind.

Der Priestermangel kann nur begrenzt abgefedert werden durch den Import von Geistlichen aus Osteuropa, Afrika oder Asien. Der selbstlose Einsatz dieser Priester verdient hohe Anerkennung, sie haben aber oft Schwierigkeiten, sich entsprechend zu inkulturieren. Auch ist die Forderung fragwürdig, einfach Laien-Mitarbeiter mit der Feier der Eucharistie zu beauftragen. Das wäre Traditionsbruch und würde die sakramentale Grundstruktur der Kirche antasten. Priester können nur durch Priester ersetzt werden. Daher ist es für Papst Franziskus an der Zeit, die entschiedene Unentschiedenheit aufzugeben und das, was rechtlich möglich ist, auch zu tun. Für Regionen, die besonders drastisch vom Priestermangel betroffen sind, könnte die Öffnung für verheiratete Männer, die sich in Ehe, Familie und Beruf bereits bewährt haben, pastoral sensibel und theologisch gebildet sind, ein Segen sein. Schon 1970 schrieb Joseph Ratzinger: "Die Kirche der Zukunft wird [...] neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen." (Glaube und Zukunft, München 1970, S. 123). Diese Prognose, die er als Papst nicht eingelöst hat, harrt bis heute der Umsetzung.

Von Jan-Heiner Tück