Vier Jahre Papstbrief: Kern des Missverständnisses zum Synodalen Weg
Mit den Worten "Es ist kompliziert" ist der Beziehungsstatus zwischen dem Synodalen Weg der Kirche in Deutschland und den hohen Kurienvertretern im Vatikan noch vorsichtig beschrieben. Doch dieses schwierige Verhältnis hat nicht erst mit kirchenpolitisch kontroversen Beschlüssen des Reformprojekts begonnen. Symptomatisch dafür ist der Brief von Papst Franziskus "An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland" – und seine Rezeption.
Veröffentlicht wurde der Papstbrief in einer Zeit vor der ersten Synodalversammlung, sogar noch vor der Eröffnung des Synodalen Wegs am 1. Dezember 2019. Bereits im Sommer desselben Jahres schreibt Franziskus, dass er die "Sorge um die Zukunft der Kirche in Deutschland" teile. Dass das Oberhaupt der katholischen Kirche überhaupt an die Katholikinnen und Katholiken eines einzelnen Landes schreibt, war ein überraschender und historischer Vorgang. Einem Bericht zufolge ging der Brief auf eine Idee hochrangiger Kurienvertreter zurück. Ihr Wunsch: Der Papst möge einen Brief an die deutschen Bischöfe schreiben, um sie angesichts der Reformforderungen beim geplanten Synodalen Weg zur Einheit mit Rom zu ermahnen. Franziskus selbst hat das Konzept demnach zu einem Brief an alle deutschen Katholiken erweitert.
Veröffentlichungstermin kein Zufall
Diese Mahnung zur Einheit mit der Weltkirche formuliert Franziskus sehr eindringlich: "Die Weltkirche lebt in und aus den Teilkirchen, so wie die Teilkirchen in und aus der Weltkirche leben und erblühen; falls sie von der Weltkirche getrennt wären, würden sie sich schwächen, verderben und sterben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Gemeinschaft mit dem ganzen Leib der Kirche immer lebendig und wirksam zu erhalten" (Nr. 9) Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass der Brief auf den Tag des "Hochfestes der Apostelfürsten Petrus und Paulus" datiert ist – in Rom stets ein wichtiger Termin, an dem der Primat des Papstes als Nachfolger Petri betont wird.
Auch den vatikanischen Kurialen scheint diese Stelle besonders wichtig zu sein: Sowohl die kurze namenlose Erklärung des Heiligen Stuhls zum Synodalen Weg aus dem vergangenen Juli als auch Glaubenspräfekt Kardinal Luis Ladaria beim interdikasteriellen Treffen der deutschen Bischöfe im November zitieren aus dem insgesamt 19-seitigen Brief ausgerechnet diese Zeilen. Aber: Kein Vertreter des Synodalen Wegs – vor allem kein Bischof – hat bis heute ernsthaft eine Trennung von der Weltkirche erwogen oder gefordert. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, hat Vorwürfe, der Synodale Weg würde eine deutsche Nationalkirche anstreben, sogar immer wieder entschieden zurückgewiesen.
"Primat der Evangelisierung"
Konkrete Verbote für den Synodalen Weg in Deutschland hat der Papst in seinem Brief – anders als spätere Schreiben aus Rom – nicht ausgesprochen. Überhaupt ist das zentrale Motiv des Schreibens von Franziskus nicht diese Mahnung, sondern die Evangelisierung. Der Papst sieht darin die "eigentliche und wesentliche Sendung der Kirche" (Nr. 6) und spricht sogar vom "Primat der Evangelisierung", den es zurückzugewinnen gelte, um "die Zukunft mit Vertrauen und Hoffnung in den Blick zu nehmen" (Nr. 7).
Strukturreformen stören das Kirchenoberhaupt in dieser Hinsicht eher: Eine der ersten und größten Versuchungen im kirchlichen Bereich bestehe darin "zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltungen zu erreichen sei, dass diese aber schlussendlich in keiner Weise die vitalen Punkte berühren, die eigentlich der Aufmerksamkeit bedürfen" (Nr. 5). Die Sendung der Kirche mache sich nicht an "Prognosen, Berechnungen oder ermutigenden oder entmutigenden Umfragen" fest – weder auf politischer, ökonomischer noch auf sozialer Ebene. "Ohne neues Leben und echten, vom Evangelium inspirierten Geist ohne 'Treue der Kirche gegenüber ihrer eigenen Berufung' wird jegliche neue Struktur in kurzer Zeit verderben." (Nr. 6)
Ein eigenes Forum für das Thema Evangelisierung hat der Synodale Weg aber bekanntlich nicht eingerichtet. Das hat von Anfang an für Kritik – gerade von konservativer Seite – am Synodalen Weg gesorgt. Der Fokus lag klar darauf, die von der MHG-Studie benannten missbrauchsfördernden Strukturen zu beseitigen und Reformen in der Kirche umzusetzen, um so wieder glaubwürdig zu werden. Das Thema Evangelisierung schwingt dabei eher auf einer Metaebene mit. "Evangelisierung ist das übergeordnete Ziel des Synodalen Weges", heißt es etwa in einem FAQ auf der Website des Reformprojekts. Im Mittelpunkt stehe "die Frage nach Gott und dem Weg, den er heute mit den Menschen gehen will". Für viele Menschen sei es demnach gerade die Kirche selbst, die das Bild Gottes verdunkele. Die dafür hauptsächlich verantwortliche Missbrauchskrise erwähnt Franziskus in seinem Brief allerdings mit keiner einzigen Silbe. Hier lassen sich bereits die grundlegend verschiedenen Herangehensweisen von Papst und Kirche in Deutschland an das Thema Synodalität ablesen.
Die blumigen pastoralen Ausführungen des Kirchenoberhauptes haben insgesamt dafür gesorgt, dass sein Brief mitunter als Zustimmung zum Synodalen Weg gewertet wurde. So beeilten sich der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der damalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, unmittelbar nach der Veröffentlichung des Briefs dem Heiligen Vater für "seine orientierenden und ermutigenden Worte" zu danken und zu betonen, den "angestoßenen Prozess in diesem Sinn weiter zu gehen".
Päpstliche Fürsprache für pastorale Ausnahmen?
Und tatsächlich lassen sich wohlwollende Passagen in Franziskus' Brief entdecken: So lobt der Papst zu Beginn "bemerkenswerte Bemühungen, pastorale Antworten auf die Herausforderungen zu finden, die sich Euch gestellt haben" (Nr. 1). Wenig später kritisiert er, eine "übertriebene Zentralisierung" kompliziere "das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen" (Nr. 5). Diese Aussagen lassen sich durchaus als päpstliche Fürsprache gegenüber praktischen pastoralen Ausnahmen auf ortskirchlicher Ebene interpretieren.
Franziskus mahnt darüber hinaus, auf jede Versuchung zu achten, die dazu führe, "das Volk Gottes auf eine erleuchtete Gruppe reduzieren zu wollen, die nicht erlaubt, die unscheinbare, zerstreute Heiligkeit zu sehen, sich an ihr zu freuen und dafür zu danken" (Nr. 10). Er betont, die aktuellen Herausforderungen verlangten im Blick auf die Entwicklung eines gesunden aggiornamento "einen langen Reifungsprozess und die Zusammenarbeit eines ganzen Volkes über Jahre hinweg" (Nr. 3). Der Verstetigung der Synodalität in Deutschland in Form eines Synodalen Rates hatten die Kurienkardinäle Pietro Parolin, Luis Ladaria und Marc Ouellet mit einem explizit vom Papst approbierten Schreiben allerdings rund dreieinhalb Jahre später einen Riegel vorgeschoben.
Dieser Brief war die bisher letzte Stufe auf der Eskalationsleiter zwischen Vatikan und Kirche in Deutschland, die im Rückblick betrachtet mit dem Papstschreiben "An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland" vor vier Jahren in gewisser Weise begonnen hat. Es mag an der Länge des Schreibens oder an der Uneindeutigkeit des Papstes liegen, dass der Brief relativ schnell weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Schon im September 2019 zeigte Kurienkardinal Walter Kasper sich "gelinde gesagt erstaunt" darüber, wie das Papstschreiben in Deutschland aufgenommen worden sei. Ähnlich äußerte sich auch der Leiter der deutschsprachigen Abteilung von "Vatican News", Stephan von Kempis, im vergangenen Juli: "Man hört allerdings immer wieder mal von Gesprächspartnern, dass Franziskus sich wundert, dass Anregungen seines Briefs an die deutschen Katholiken von Ende Juni 2019 beim Synodalen Weg nicht stärker beachtet worden sind." Bei ihrem Ad-limina-Besuch im November hat Franziskus die deutschen Bischöfe noch einmal an seinen Brief erinnert, der nicht in "in der Schublade verschwinden, sondern uns als Bezugspunkt für unseren Synodalen Weg dienen sollte", wie der Augsburger Bischof Bertram Meier im Anschluss an die Reise erklärte. Der Papstbrief müsse "unser Kompass sein, um das eigentliche Ziel des Synodalen Weges zu erreichen, die geistliche Erneuerung der Kirche".
Laien warten bis heute auf eine Einladung
Ein wirklicher Austausch über die Beschlüsse des Synodalen Wegs findet aber auch nach dem Ende der fünf Synodalversammlungen nicht wirklich statt. Es muss aus heutiger Sicht der Laienvertreterinnen und -vertreter auf dem Synodalen Weg deshalb beinahe ironisch anmuten, dass Franziskus gleich an zwei Stellen in seinem Brief seine Unterstützung anbietet (S. 2) und bekräftigt, er wolle dem Volk Gottes in Deutschland "zur Seite stehen" und es "begleiten" (Nr. 13). Tatsächlich warten Laien aber bis heute auf eine Einladung des Vatikan, um die Beratungen und Ergebnisse des Reformprozesses vorzustellen und darüber zu sprechen. Beim Ad-limina-Besuch sprach Papst Franziskus mit den deutschen Bischöfen zwar auch über den Synodalen Weg, das interdikasterielle Treffen . Dabei soll durchaus hart miteinander gestritten worden sein.
Vielleicht ist das – genauso wie das derzeit angespannte Verhältnis zwischen dem Vatikan und der Kirche in Deutschland – aber aus Sicht von Papst Franziskus auch gar nicht so dramatisch: "Wir dürfen nicht vergessen, dass es Spannungen und Ungleichgewichte gibt, die den Geschmack des Evangeliums haben, die beizubehalten sind, weil sie neues Leben verheißen." (Nr. 5)