Nach Ad-limina-Treffen: Uneinigkeit zwischen Vatikan und Deutschland geht weiter

Drei Jahre Synodaler Weg: Von Spannungen und Missverständnissen

Veröffentlicht am 01.12.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Am 1. Dezember 2019 startete der Synodale Weg der Kirche in Deutschland offiziell. Drei Jahre später wird mehr denn je über das Reformprojekt gestritten – in Deutschland, aber auch mit dem Vatikan. Auf der Zielgeraden stellt sich die Frage: Wie kann es nun noch weitergehen?

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Eigentlich sollte nach zwei Jahren alles vorbei sein. Eigentlich, denn Corona und ein ganzes Konvolut an Themen und Texten haben Planung und Durchführung des Synodalen Wegs deutlich verzögert. Jetzt – drei Jahre nach dem offiziellen Start des Reformprojekts – steht die fünfte und vorerst letzte Synodalversammlung noch aus. Und trotz der nur noch begrenzten verbliebenen Zeit sind viele Entscheidungen noch ungewiss. Das liegt auch an den Interventionen des Vatikans.

Ein Blick zurück: Die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) im März 2019 im emsländischen Lingen stand ganz im Zeichen der 2018 veröffentlichten MHG-Studie und deren Erhebungen zu Fällen sexuellen Missbrauchs im Bereich der katholischen Kirche in Deutschland. Die Bischöfe erkannten in den Erschütterungen über die Studienergebnisse, dem verlorenen Vertrauen in die Kirche und den Forderungen nach Reformen eine Zäsur. Am 14. März 2019 beschlossen sie, einen "verbindlichen Synodalen Weg als Kirche in Deutschland zu gehen, der eine strukturierte Debatte ermöglicht und in einem verabredeten Zeitraum stattfindet", sagte der damalige DBK-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx. "Wir wollen eine hörende Kirche sein. Wir brauchen den Rat von Menschen außerhalb der Kirche." Dafür fanden die Bischöfe auch die Unterstützung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Offiziell beginnen sollte der Synodale Weg am 1. Dezember 2019 – dem ersten Advent.

Der Anlass für den Reformprozess geriet allerdings schnell in Vergessenheit. Ob unbewusst oder absichtlich lässt sich bis heute nicht mit Sicherheit sagen. Doch bereits am 29. Juni schrieb Papst Franziskus seinen Brief "An das Pilgernde Volk Gottes in Deutschland". Das Wort Missbrauch wird darin nicht ein einziges Mal erwähnt. Stattdessen taucht mehr als ein Dutzend Mal das Wort "Evangelisierung" auf.  Das Schreiben wurde von reformorientierten Kirchenvertretern als Ermutigung für den Synodalen Weg betrachtet, von Kritikern des Reformprojekts dagegen als Stoppschild. Immer wieder hat Franziskus anschließend auf diesen Text verwiesen und betont, dass damit alles gesagt sei, was er zum Synodalen Weg in Deutschland mitteilen wolle.

Misstrauensvotum und vatikanische Erklärung

Wirklich befriedigend kann diese Zurückhaltung des Papstes angesichts der weiteren Entwicklung nicht sein. Denn im September 2019 legte der Vatikan mit einem Gutachten des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte nach, das gemeinsam mit einem Brief des Vorsitzenden der vatikanischen Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, an Kardinal Marx geschickt wurde. Tenor: Reformideen könnt ihr gerne gemeinsam erarbeiten, entscheiden müssen jedoch die Bischöfe – ein Misstrauensvotum gegen das vorgesehene Abstimmungsverfahren bei den Synodalversammlungen.

Eine noch deutlichere Intervention des Heiligen Stuhls wurde aus heiterem Himmel am 21. Juli dieses Jahres veröffentlicht. Ohne Angabe von Datum und Absender – erst später erklärte der Papst, es sei im vatikanischen Staatssekretariat verfasst worden – mahnte das wenige Zeilen lange Schreiben, der Synodale Weg sei "nicht befugt", Bischöfe und Gläubige "zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten". Bezugspunkt erneut: der Brief von Papst Franziskus aus 2019.

Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani

Ein vorläufiger Höhepunkt der Debatte um den Synodalen Weg: der Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe im Vatikan im November.

Der zumindest vorläufige Höhepunkt – den Begriff "Showdown" bezeichnete Bischof Georg Bätzing in Nachgang als falsch – stand nun Mitte November an, als die deutschen Bischöfe zu ihrem Ad-limina-Besuch nach Rom reisten. Zum ersten Mal seit dem Beginn des Reformprozesses trafen die Oberhirten gemeinsamen und persönlich auf zahlreiche hohe Vertreter der römischen Kurie und Papst Franziskus selbst, um über den Synodalen Weg zu sprechen. Das Treffen gipfelte in einem Austausch zwischen den Bischöfen und den Kurienkardinälen Ouellet, Luis Ladaria, Präfekt des Glaubens-Dikasteriums, und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Obwohl seine Teilnahme vorher erwartet worden war, wohnte Papst Franziskus der Diskussion nicht bei.

Für gewöhnlich finden solche Gespräche hinter verschlossenen Türen statt und über den genauen Wortlaut gibt es Stillschweigen. Nicht so dieses Mal: Schon kurz nach dem Treffen veröffentlichte die DBK die Einführung ihres Vorsitzenden Bätzing. "Die Kirche lebt aus Spannungen, darum gehören Spannungen zu einer lebendigen Kirche unterwegs", sagte er mit Verweis auf die Worte, die der Papst tags zuvor an die Bischöfe gerichtet hatte. Gut eine Woche später zog der Vatikan nach publizierte ebenfalls die Einführungsworte von Ladaria und Ouellet – die die von Bischof Bätzing erwähnten Spannungen offen zeigen.

Ein "Projekt der 'Veränderung der Kirche'"

So äußerte Ladaria fünf Kritikpunkte am Synodalen Weg: In den Texten bemängelte er allgemeine Aussagen und ungesicherte Behauptungen sowie ein Kirchenverständnis als bloße Machtinstitution. Zudem widersprächen die Beschlüsse der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Sendung der Bischöfe. Die Entwürfe zur katholischen Sexuallehre erweckten den Eindruck, als wenn die kirchliche Lehre komplett geändert werden müsse, und zu guter Letzt sei die Reduzierung der Gleichberechtigung von Frauen auf die Frage der Weihe reine Polemik.  

Kardinal Ouellet schloss daran an und kritisierte noch deutlicher, dass die Ideen des Synodalen Weges viele Elemente enthielten, deren Menschenbild und Kirchenverständnis "ernsthafte Schwierigkeiten aufwerfen". Kritiker sprächen deswegen bereits von einem "latenten Schisma", das die Synodaltexte festzuschreiben drohten. Anscheinend stünde man vor einem "Projekt der 'Veränderung der Kirche'". Die Reformideen des Synodalen Wegs würden "die sogenannten 'systemischen Ursachen des Missbrauchs nicht lösen". Statt wie der Papst in seinem Brief vom Missbrauch zu schweigen, ging Ouellet zu einer Leugnung der durch zahlreiche Studien nachgewiesenen Missbrauchsfaktoren über und stellte so nicht nur einzelne Vorschläge, sondern die Grundlage des gesamten Reformprojekts infrage. Ouellet schlug gar ein Moratorium für den Synodalen Weg vor, das jedoch scheinbar nahezu geschlossen von den deutschen Bischöfen abgelehnt wurde. 

Vierte Synodalversammlung
Bild: ©Synodaler Weg/Maximilian von Lachner

Alle angedachten Reformvorschläge werden bei der fünften Synodalversammlung im März nicht diskutiert werden können. Die Einrichtung eines Synodalen Rates ist aber bereits beschlossen.

Eine solche Unterbrechung wäre den Laien in Deutschland wohl auch kaum zu vermitteln gewesen – vom "geduldigen Gottesvolk", das Heiliger Stuhl und DBK in ihrem gemeinsamen Kommuniqué nach dem Ad-limina-Besuch beschwören, kann in Deutschland kaum noch die Rede sein. Ohnehin wartet das Präsidium seit Beginn des Reformprozesses auf ein persönliches Gespräch in Rom. Vor diesem Hintergrund klingt es beinahe zynisch, dass Ouellet in seinem Statement angibt, er spreche "als Bruder im bischöflichen Dienst, aber auch mit Blick auf die Bedürfnisse der einfachen Gläubigen".

Angesichts dieser zuletzt immer harscher werdenden Kritik bleibt also die Frage, wie der Synodale Weg noch weitergehen kann, denn zu zentralen Forderungen von Laien und Bischöfen hat der Vatikan erneut seine "roten Linien" markiert und betont, was nicht verhandelbar ist, etwa die Priesterweihe von Frauen. Erst am Montag machte Papst Franziskus deutlich, dass Weiheämter in der katholischen Kirche nicht für Frauen geöffnet werden könnten. Ein Diskussionsverbot sehen die deutschen Bischöfe darin aber nicht, wie Bischof Bätzing jüngst betonte.

Nicht allen klar, dass es nicht nur deutsche Forderungen sind

Dass Frauenweihe, die Aufhebung der priesterlichen Zölibats-Pflicht oder eine geänderte Sexualmoral nicht allein in Deutschland umgesetzt werden können, dürfte allen Vertreterinnen und Vertretern des Synodalen Wegs sowieso klar sein. "Beschlüsse, deren Themen einer gesamtkirchlichen Regelung vorbehalten sind, werden dem Apostolischen Stuhl als Votum des Synodalen Weges übermittelt", heißt es bereits in der Satzung. Dass aber bereits die Voten selbst im Vatikan für mehr als Unruhe sorgen, hat spätestens der Ad-limina-Besuch gezeigt.

Der Vatikan ist aber wohl auch deshalb in Sorge, weil die Kirche in Deutschland mit ihren Forderungen auch weltkirchlich gesehen längst nicht (mehr) allein dasteht. In Rom scheint das allerdings nicht allen klar zu sein. "Verwunderlich war, dass wir mehrfach auf das Arbeitsdokument für die kontinentale Etappe der Weltbischofssynode hinweisen mussten, in dem viele Themen des Synodalen Wegs benannt werden, wohingegen für die Vertreter der Kurie dieser Bericht keine besondere Rolle zu spielen schien", berichtete der Würzburger Bischof Franz Jung in einem Interview zum Ad-limina-Besuch

Aller Kritik zum Trotz wollen die deutschen Bischöfe gemeinsam mit den Laienvertreterinnen und -vertretern den Synodalen Weg daher weitergehen und sich im März in Frankfurt zum fünften und vorerst letzten Mal treffen. Alle angedachten Reformvorschläge werden auch dort aus zeitlichen Gründen nicht beraten und verhandelt werden können. Die Einrichtung eines Synodalen Rates, der die Initiativen weiterentwickeln soll, ist aber bereits beschlossen – trotz kritischer vatikanischer Erklärung im Sommer.

Von Christoph Brüwer