Die Eingangspforte zu den Sakramenten
Es ist ein Moment, der bei vielen Eltern Unsicherheit hervorruft: Sie wollen ihr Kind taufen lassen, wissen aber nicht genau, worum es da eigentlich geht. Zu allem Überfluss schreit das Baby dann vielleicht auch noch – 30 Minuten Taufritus können da schnell zur Qual werden. Das muss so nicht sein, findet Albert Biesinger. Der emeritierte Religionspädagoge der Universität Tübingen spendet als Diakon selbst regelmäßig das Sakrament der Taufe. Er nimmt vor allem die Qualität der Taufkatechese in den Blick. "Die muss besser werden", sagt er. Denn dort könnten die Eltern lernen, was die Taufe für ihr Kind bedeutet.
Die Taufe ist das erste und grundlegende christliche Sakrament – oder, wie das Kirchenrecht sagt, die "Eingangspforte zu den Sakramenten" (c. 849 CIC). Die Taufe gehört zu den drei sogenannten Initiationsriten innerhalb der Kirche; die zwei weiteren sind Firmung und Eucharistie. Diesen vielleicht recht trockenen Wortlaut kann jeder in einem Lexikon nachlesen. Doch Albert Biesinger drückt sich anders aus, um den Eltern in seiner Taufkatechese das erste Sakrament für Christen zu erklären. "Wenn Sie Ihr Kind taufen lassen, hat Ihr Kind gewonnen", sagt er dann. Denn mit der Taufe werde das Kind in das Leben Jesu hineingenommen. Dazu gehöre auch die Verheißung eines Lebens, das über den Tod hinausgeht, erklärt er.
Erst kürzlich hat Biesinger acht Kinder getauft. 150 Menschen haben an der Feier teilgenommen. Zuvor hat er sich mit den Eltern und den Paten der Kinder in einer großen Taufkatechese getroffen und ihnen das Sakrament erklärt. Dabei sollen die Eltern auch die Möglichkeit haben, selbst miteinander ins Gespräch zu kommen, ergänzt der Theologe – nicht nur über die Taufe, sondern beispielsweise auch über die neue Lebenssituation mit einem kleinen Kind.
Gesalbt mit Chrisamöl
Bei einem weiteren Treffen sollten sie dann Symbole aus ihrem Alltag mitbringen, die ihnen wichtig sind. Als Beispiele nennt Biesinger Bilder oder den Ehering. Er selbst bringt die Symbole der Taufe mit: einen Krug mit Wasser, ein Taufkleid, eine Taufkerze sowie Katechumenen- und Chrisamöl. "Bei der Taufe wird das Kind zum Königskind in der Königsherrschaft Gottes", sagt Biesinger dazu. Denn während im Alten Testament Könige, Priester und Propheten als Zeichen der Auserwählung gesalbt wurden, bekämen in der Taufe alle Kinder die wertvollen Öle gespendet.
In einer inhaltlichen Krise sieht Biesinger die Taufe nicht, auch wenn die Zahlen – teilweise auch demographisch bedingt – dies im ersten Moment nahelegen. Die Bedeutung des Erwachsenenkatechumenats wachse zwar, schreibt die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Arbeitshilfe Zahlen und Fakten 2014/2015, aber die Taufe werden in den meisten Fällen im ersten Lebensjahr vollzogen.
Einer, der sein Augenmerk besonders auf die Zahl der Erwachsenentaufen legt, ist der Liturgiewissenschaftler Martin Stuflesser, der an der Universität Würzburg lehrt. 2014 gab es in Deutschland knapp 3.000 Taufen, in denen der Täufling über 14 Jahre alt war. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Taufe von Säuglingen nicht das Urmodell ist. In den ersten Generationen nach Christus seien die Menschen zunächst mit dem Evangelium in Kontakt gekommen, hätten andere Christen getroffen und nach "einer Zeit der Unterweisung" die Taufe empfangen, erklärt Stuflesser.
Statistischer Normalfall: die Kindertaufe
Eine grundlegende Wendung erfuhr das Verständnis der Taufe dann zu Zeiten von Augustinus von Hippo (354-430). Dieser kennt die bereits zu seiner Zeit bestehende Praxis neben mündigen Erwachsenen auch unmündige Säuglinge zu taufen. "Wenn aber die Taufe doch die Vergebung der Sünden bewirkt, dann stellt sich für Augustinus die Frage, welche Sünde dieses unmündige Kleinkind überhaupt schon begangen haben kann", sagt Stuflesser. Der Kirchenlehrer entwickelte die Lehre der Erbsünde, nach der jeder Mensch als Nachfahre von Adam und Eva Anteil am Sündenfall im Paradies habe. Erlösung findet er durch das Sakrament der Taufe. Diese Auffassung von Augustinus setzte sich durch: "Aus der theologischen Ausnahme der Kindertaufe wurde der statistische Normalfall."
Dennoch: Im Gegensatz zu den rückläufigen Zahlen bei Kindertaufen, bleibt die Zahl der Erwachsenentaufen stabil oder nimmt sogar leicht zu. Als Beispiel nennt Stuflesser das Bistum Münster, das jährlich rund 160 erwachsene Taufbewerber hat. Er verweist auch auf andere Länder: "In den USA ist die Erwachsenentaufe ein ganz bestimmendes Thema." So gab die Diözese Washington für die Osternacht 2014 bekannt, dass 650 Erwachsene getauft werden sollen.
Den Grund für die verhältnismäßig hohe Zahl sieht Stuflesser darin, dass das Thema Taufe in den US-amerikanischen Gemeinden viel präsenter sei als in Deutschland. "Der große Sündenfall in unserer Kirche ist, dass die Taufe fast so etwas wie eine Privatsache wurde", meint er. Oft würden die Feiern außerhalb der Sonntagsgottesdienste stattfinden und dann auch nur in kleinem Kreis. "Dass Taufe etwas mit der Gemeinschaft der Kirche zu tun hat, wird vielfach gar nicht mehr erfahrbar", kritisiert der Theologe. Dabei sieht er auch die Pfarreien selbst in der Pflicht: Denn gerade sie müssten dem Täufling helfen, in die kirchliche Gemeinschaft hineinzuwachsen.
Ein weiteres Problem seien die unterschiedlichen Erwartungen von Eltern und Kirche an das Taufsakrament: Vielfach wünschten sich die Eltern in erster Linie Segen und Schutz für ihr Kind – die Taufe ist aber nach theologischem Verständnis weit mehr als das. Stuflesser kann der Misere aber trotzdem etwas Positives abgewinnen: So zeige sich in dem Wunsch der Eltern nach Schutz und Segen auch der Wunsch nach einer Beziehung zu Gott. Das dürfe man nicht verdammen, warnt er.
Menschen auf ihrem Lebensweg begleiten
Neben der Kinder- und Erwachsenentaufe nennt Stuflesser daher noch ein weiteres Modell: die sogenannte Feier der Initiation in Stufen. Seit wenigen Jahren gibt es die Möglichkeit, das Kind nach der Geburt segnen zu lassen. Anschließend werden die Eltern eingeladen, sich gemeinsam mit dem Kind und der Gemeinde auf den Weg zu machen, am Ende steht dann die Taufe. "Das ist eine Art Elternkatechumenat", erklärt Stuflesser. Die Eltern bekämen so die Möglichkeit, selbst noch etwas über den Glauben zu lernen und die Entscheidung für eine Taufe bewusst zu treffen. Als Strafe für mangelndes Wissen über die Kirche dürfe man dieses Angebot aber in keinem Fall verstehen, betont er. Die Unsicherheit in Bezug auf die Taufe sieht er dann auch als Chance: "Wir müssen die Menschen einladen und auf ihrem Lebensweg begleiten."
Das sieht auch Religionspädagoge Albert Biesinger so. Die drängendste Aufgabe ist seiner Meinung nach die Begleitung junger Eltern, die bei der Taufe versprechen, ihre Kinder religiös zu erziehen. Zu einer solchen religiösen Elternkompetenz wie Biesinger es nennt, gehöre zum Beispiel ein Segen, wenn das Kind morgens aus dem Haus geht, ein kindgemäßes Gebet vor dem Essen und eine regelmäßiges Abendritual: So könnten die Eltern mit dem Kind über seinen Tag sprechen oder ein Gebet für die Großeltern oder arme Kinder formulieren, erläutert Biesinger. Solche religionspädagogische Standards will er Eltern schon in der Taufkatechese vermitteln. Den viel geäußerten Vorwurf, Eltern nähmen Kindern eine Entscheidung vorweg, kann er nicht nachvollziehen: "Die Taufe ist ja immer Gnade pur und ein Geschenk Gottes. Ob Menschen sich darauf einlassen, ist ja dann sowieso ihre eigene Entscheidung", sagt er.
Von Sophia Michalzik