"Nihil obstat": Rom riskiert Glaubwürdigkeit und Einfluss
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Es soll Zeiten in der Kirche gegeben haben, in denen sie, "anstatt theologische Erkenntnisse zu fördern, mögliche Lehrfehler verfolgte", und das mit "unmoralischen Methoden". Gemeint hat Papst Franziskus damit wohl die Ära der "Heiligen Inquisition", wobei offen bleibt, ob sich deren Agieren wesentlich geändert hat, als sie in "Kongregation für die Glaubenslehre" umbenannt wurde. Der akademische Garaus, den diese und ihr nachgeordnete Behörden im Vatikan ungezählten Theologinnen und Theologen gemacht haben, spricht durchaus dagegen.
Wenn Papst Franziskus in einem Brief an den neuen Präfekten des Glaubensdikasteriums, Erzbischof Manuel Fernández (La Plata/Argentinien) schreibt, dass er von ihm "sicherlich etwas ganz anderes" erwarte, sollte man ihm erst einmal abnehmen, dass er es ehrlich meint. Wie so vieles, was Franziskus in den zehn Jahren seines Pontifikats über alte Missstände und einen neuen Geist in der Kirche geschrieben und gesagt hat.
Das Bedrückende ist nur, dass den Worten so gut wie nie Taten gefolgt sind. Im Gegenteil. Es wirkt so, als gäbe es im Vatikan unter Papst Franziskus eine ganz spezielle Form der Gewaltenteilung: obenauf der Softifex maximus, und darunter ein kurialer Apparat, der aus dem sanft fließenden Zuckerguss wieder klassisch-römischen Zement anrührt.
Jüngstes Beispiel war die Verweigerung des "Nihil obstat" für den Moraltheologen Martin Lintner, der damit an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen (Südtirol) nicht Dekan werden kann. Gestalterische Kraft soll nicht ausgehen von einem, dessen Positionen zur Sexualethik aus der Enge und Starre des Katechismus-Formats herausführen – in jene Weite der Freiheit, die der Kirche auch im theologischen Denken etwas bedeuten sollte.
Außer wegen missliebiger Lehren kann Theologen an Universitäten auch wegen "irregulärer" Lebensführung Ungemach drohen. Die arbeitsrechtlichen Folterwerkzeuge gegen queere Mitarbeitende, die die deutschen Bischöfe als Relikte einer qualvollen Diskriminierungsgeschichte in die Asservatenkammer gesperrt haben, will Rom noch längst nicht aus der Hand geben.
Ein römisches Veto gegen Theologen, wenn sie zum Beispiel einen gleichgeschlechtlichen Partner heiraten, ist nur möglich, weil Verträge mit dem Staat der Kirche einen solchen Übergriff erlauben. Mit der absurden Folge, dass die Wahrnehmung von Grundrechten (sexuelle Selbstbestimmung) und bürgerlichen Rechten (Eheschließung) kirchlich zu einer Art Berufsverbot führen würde.
Im Arbeitsrecht hat die Justiz der Kirche als Arbeitgeberin inzwischen klare Grenzen gesetzt. Im Bereich der Wissenschaft riskiert Rom, dass der Staat die "bewährte Partnerschaft" mit der Kirche auch hier zunehmend als Hohlformel wahrnimmt und so das ganze Konstrukt immer weiter ins Wanken gerät. Von der Glaubwürdigkeit einer Kirchenleitung, die doch theologische Erkenntnisse fördern und sich von unmoralischen Methoden verabschieden will, einmal ganz zu schweigen.
Der Autor
Joachim Frank ist "DuMont"-Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion des "Kölner Stadt-Anzeiger". Außerdem ist er Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP).
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.