"Lumen fidei": Vor zehn Jahren erschien erste Enzyklika zweier Päpste
Als im Juni 2013 bekannt wurde, dass Papst Franziskus seine erste Enzyklika veröffentlichen wollte, war die Neugierde groß. Welche Gedanken und Wegweisungen würde das neue Kirchenoberhaupt in diesem Lehrschreiben äußern? Bis dahin hatte er sich in seinen Ansprachen viel weniger mit theologischen Gedanken profiliert als sein Vorgänger. Benedikt XVI., der konservative Theologieprofessor auf dem Papstthron, hatte hingegen in unterschiedlichen Rollen über Jahrzehnte immer wieder neue Impulse für theologische Debatten innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche geliefert.
Bei Franziskus dominierten hingegen die eingängigen Gesten, das Image der Einfachheit, Menschlichkeit und Nahbarkeit. Sein erstes Grundsatzwerk "Evangelii gaudium" war noch nicht erschienen; wofür er theologisch und dogmatisch stand, war unklar. Seine meist kurzen Ansprachen bei der Frühmesse und bei den Generalaudienzen wurden von Ratzinger-Nostalgikern als typisch südamerikanische "Copacabana-Theologie" belächelt: nah bei den Menschen, aber ohne theologischen Tiefgang. Umso größer war die Überraschung, als bekannt wurde, dass sich der neue Papst bei seiner ersten Enzyklika überwiegend auf einen vorhandenen Entwurf seines gelehrten Vorgängers stützen werde.
Dass Benedikt XVI. im letzten vollen Jahr seines Pontifikats (2012) an einer Enzyklika über den Glauben gearbeitet hatte, war damals allgemein bekannt. Zum einen hatte er selbst ein "Jahr des Glaubens" ausgerufen – auch als Antwort auf die von ihm wahrgenommene Krise des Glaubens in Europa und darüber hinaus. Zum anderen war klar, dass er nach den Enzykliken über die Hoffnung (Spe salvi, 2007) und über die Liebe (Caritas in veritate, 2009) noch eine über den Glauben schreiben musste, um den christlichen Dreiklang von Hoffnung, Liebe und Glaube abzurunden.
Was stammt vom alten, was vom neuen Papst?
Dass er ausgerechnet die Enzyklika über den Glauben nicht vollenden konnte, war tragisch und hatte mehrere Gründe. Aus dem Buch seines Privatsekretärs Georg Gänswein ist bekannt, dass sich Benedikt XVI. im Jahr 2012 bereits über Monate mit der Frage seines freiwilligen Rücktritts auseinandersetzte, weil er seine Kräfte schwinden sah. Zudem arbeitete er am dritten und letzten Band der Jesus-Trilogie, wobei ihm das Schreiben nicht mehr so leicht von der Hand ging wie bei den ersten beiden Bänden. Hinzu kamen die seelischen Belastungen durch den Vertrauensbruch im Vatileaks-Skandal und durch immer neue Erkenntnisse über die Dimensionen des Missbrauchsskandals in der Kirche.
Offenbar gelang es dem geschwächten Papst nicht mehr, das "Licht des Glaubens" in dem Text so hell strahlen zu lassen, wie er es angesichts der wachsenden Glaubenskrise gerne wollte. Umso erleichterter waren die Anhänger des inzwischen zurückgetretenen Papstes, als sein Nachfolger Franziskus bekanntgab, dass er sich den vorhandenen Entwurf Benedikts für die Glaubens-Enzyklika zu eigen gemacht und ihn um einige Abschnitte ergänzt habe.
Die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte führte dazu, dass sich Beobachter und Interpreten von Anfang an auf die Frage konzentrierten, welche Teile der Enzyklika wohl auf den alten Papst zurückgehen und welche die Handschrift des neuen tragen. Schon bald bildete sich als Konsens heraus, dass wohl nur die einleitenden Kapitel und manches im letzten Teil des Textes von Franziskus stammen.
Unter dieser Voraussetzung kann man zehn Jahre später an der Enzyklika "Lumen fidei" ziemlich gut ablesen, in welchem Stadium seines theologischen Denkens der bereits mit seinem Rücktritt ringende Benedikt XVI. stand. Und welche später in anderen Lehrschreiben ausformulierten Gedanken beim neuen Papst Franziskus damals heranreiften.
Typisch für den "späten Benedikt" sind wohl diese Sätze, in denen er die Unveränderbarkeit und die Kontinuität der kirchlichen Glaubensüberlieferung zu beschwören versucht: "Als Dienst an der Einheit des Glaubens und an seiner unversehrten Weitergabe hat der Herr der Kirche die Gabe der apostolischen Sukzession geschenkt. Durch sie wird die Kontinuität des Gedächtnisses der Kirche gewährleistet und ist es möglich, sicher aus der reinen Quelle zu schöpfen, aus der der Glaube kommt. Die Garantie der Verbindung mit dem Ursprung wird also von lebendigen Personen gegeben, was dem lebendigen Glauben entspricht, den die Kirche weitergibt.
Er stützt sich auf die Treue der Zeugen, die vom Herrn für diese Aufgabe ausgewählt werden. Deshalb spricht das Lehramt immer in Gehorsam gegenüber dem ursprünglichen Wort, auf das sich der Glaube gründet; und es ist verlässlich, weil es dem Wort vertraut, das es hört, bewahrt und auslegt (...). Dank des Lehramts der Kirche kann dieser Wille unversehrt auf uns kommen und mit ihm die Freude, ihn vollkommen zu erfüllen."
Unterschiedliche Autoren mit eigener "theologischer Grundmelodie"
Dem "frühen Franziskus" sind vermutlich diese Sätze zuzuordnen: "Das Licht des Glaubens lässt uns nicht die Leiden der Welt vergessen. Für wie viele Männer und Frauen des Glaubens waren die Leidenden Mittler des Lichts! So der Leprakranke für den heiligen Franz von Assisi oder für die selige Mutter Teresa von Kalkutta ihre Armen. Sie haben das Geheimnis verstanden, das in ihnen zugegen ist. (...) Der Glaube ist nicht ein Licht, das all unsere Finsternis vertreibt, sondern eine Leuchte, die unsere Schritte in der Nacht leitet, und dies genügt für den Weg.
Dem Leidenden gibt Gott nicht einen Gedanken, der alles erklärt, sondern er bietet ihm seine Antwort an in Form einer begleitenden Gegenwart, einer Geschichte des Guten, die sich mit jeder Leidensgeschichte verbindet, um in ihr ein Tor zum Licht aufzutun. In Christus wollte Gott selbst diesen Weg mit uns teilen (...) Das Leiden erinnert uns daran, dass der Dienst des Glaubens am Gemeinwohl immer ein Dienst der Hoffnung ist, die vorwärtsblickt."
Nicht nur wegen der beiden so unterschiedlichen Autoren und ihrer je eigenen "theologischen Grundmelodie" lohnt sich die Lektüre der relativ kurzen und leicht zu lesenden Enzyklika. Gläubigen und Nichtglaubenden kann sie helfen, besser zu begreifen, was Christen meinen, wenn sie sagen: "Ich glaube." Und das geschieht ganz unabhängig davon, ob sie sich eher von Benedikt XVI. oder eher von Franziskus angesprochen fühlen.