Fernández: Möchte Forderungen des Synodalen Wegs besser kennenlernen
In das vatikanische Dikasterium für die Glaubenslehre wird in zwei Monaten frischer Wind einziehen. Denn um den 11. September herum beginnt der neue Präfekt Víctor Manuel Fernández seinen Dienst als Leiter der Behörde. Mit katholisch.de hat er über seine Beziehung zum Papst gesprochen und erklärt, wie ihn seine pastoralen Erfahrungen als Pfarrer und Bischof in seinem theologischen Denken geprägt haben. Auch auf den deutschen Reformprozess Synodaler Weg geht er ein.
Frage: Herr Erzbischof, in etwa einem Monat verlassen Sie Ihre Erzdiözese in Argentinien und reisen nach Rom, um Präfekt des Glaubensdikasteriums zu werden. Wie fühlen Sie sich angesichts der bevorstehenden Veränderungen?
Fernández: Es ist eine große Veränderung. Ich kenne Rom und ich werde keine Probleme haben, in dieser so schönen Stadt zu leben. Ein Problem für mich ist jedoch die Entwurzelung aus meiner argentinischen Heimat. Ich werde mir andere Lebensgewohnheiten aneignen müssen. Der große Vorteil ist, dass es in Rom jemanden gibt, dem ich vollends vertraue, der mich sehr gut kennt und mit dem ich in völliger Freiheit sprechen kann: der Papst.
Frage: Welche Schwerpunkte wollen Sie an der Spitze des Dikasteriums setzen?
Fernández: Ich werde die Arbeit erledigen, die anfällt – aber mit einem besonders großen Schwerpunkt darauf, eine Stimmigkeit in den lehramtlichen Aussagen der Kirche zu gewährleisten, eingeschlossen das Lehramt von Franziskus. Manchmal hat man den Eindruck, dass sich bereits bekannte theologische Argumentationen unendlich lang wiederholen. Ganz so, als ob Franziskus nicht existieren würde, als ob er nichts habe verlauten lassen, als ob er nichts zu den auf dem Tisch liegenden Themen zu sagen habe. Aber Franziskus hat schon so viel dazu beigetragen! Mit Blick auf diesen Punkt gibt es in jedem Fall eine Priorität, genauso wie beim Bemühen um eine Theologie im Dialog mit dem konkreten Leben der Menschen, mit ihrem Leiden, ihren Schicksalsschlägen und ihrer Hoffnung.
Frage: Der Papst hat Ihnen für Ihre neue Aufgabe ins Stammbuch geschrieben, sich um ein "harmonisches Wachstum" des Glaubens zu bemühen und nicht auf Kontrolle zu setzen. Was bedeutet das konkret? Als Glaubenshüter muss man doch auch mal hart durchgreifen, wenn ein Theologe von der Lehre der Kirche abweicht.
Fernández: Franziskus ist es sehr wichtig, auf welche Weise man dabei vorgeht: Man kann das hart und drastisch tun oder im Dialog mit der jeweiligen Person. Dabei kommt vielleicht ans Licht, was ihre legitimen Beweggründe sind und wie man wieder zusammenkommt. Man kann schließlich auch etwas von einer Person lernen, die sich auf eine falsche Weise ausdrückt.
„Das war das härteste Jahr meines Lebens. Wenn Sie mich fragen, ob ich heute wieder genauso handeln würde: Ich glaube nicht.“
Frage: Bricht mit Ihnen nun für die innerkirchlichen Feinde von Franziskus eine harte Zeit an?
Fernández: Nein, auf keinen Fall. Manchmal haben diese Leute mich zwar leiden lassen, aber ich kann niemanden leiden sehen. Ich bin mir nie zu fein dafür, mit diesen Gruppen zu sprechen, um etwas zu klären. Aber niemals würde es dem Papst oder mir einfallen, unsere Macht zu gebrauchen, um anderen das Leben schwer zu machen.
Frage: Der Papst ist Ihnen bei der neuen Aufgabe entgegengekommen und hat Ihnen signalisiert, dass Sie sich nicht schwerpunktmäßig um das Thema Missbrauch kümmern müssen, das auch beim Glaubensdikasterium angesiedelt ist. Das wurde nicht nur positiv aufgenommen. Ist die Beschäftigung mit diesem Thema also keine Chefsache mehr?
Fernández: Die Beschäftigung mit dem Thema Missbrauch ist eine Priorität für das Dikasterium und die ganze Kirche. Es wird auch weiterhin eine wichtige Aufgabe der Disziplinarsektion sein, es mit großem Einsatz und viel Arbeit anzugehen. Der Präfekt wird jedoch keine direkte Zuständigkeit mehr dafür haben. Das erscheint mir sehr vernünftig, wenn man bedenkt, dass ich kein spezialisierter Kirchenrechtler, sondern ein Theologe bin. Außerdem ist es für den Präfekten schwierig, Zeit und Aufmerksamkeit für die Entwicklung des kirchlichen Denkens aufzuwenden, wenn er unmittelbar für die Frage des Missbrauchs zuständig ist.
Frage: In Argentinien wird Ihnen zudem vorgeworfen, mit einem Missbrauchstäter zu lasch umgegangen zu sein. Was sagen Sie diesen Kritikern?
Fernández: Ich habe damals so gehandelt, wie man es zu dieser Zeit tat. Es ging um einen Fall, in dem schon ermittelt wurde und der zehn Jahre vor meiner Ankunft in La Plata von der Justiz zu den Akten gelegt worden war. Gerade als ich mein Amt als Erzbischof antrat, erreichten die Ankläger, dass der Fall neu aufgerollt wurde. Ich bat den Priester, dass er jeden Kontakt mit Minderjährigen vermeidet, und einige Monate später, dass er sein Priesteramt nicht mehr öffentlich ausübt. Er wurde von uns sogar zu einer Einrichtung der Caritas geschickt, wo ihn ein Arzt untersuchte. Später wurde er vorsorglich ins Gefängnis eingewiesen und beging dort Suizid. Das war das härteste Jahr meines Lebens. Wenn Sie mich fragen, ob ich heute wieder genauso handeln würde: Ich glaube nicht. Ich würde viel drastischere Maßnahmen früher treffen im Bewusstsein, dass das nicht bedeutet, den Entscheidungen der Justiz vorzugreifen. Auf diese Weise hätten alle mehr Ruhe gehabt. Aber damals gab es andere kirchliche Vorgaben, heutzutage sind die vorgesehenen Prozesse Gott sei Dank wesentlich besser. In diesem Sinne kann ich sagen, dass ich nichts Unangemessenes gemacht habe: Ich habe weder den Priester verteidigt noch etwas getan, das sich auf die Opfer oder die Justiz auswirkte. Wenn die Opfer mich gefragt haben, ob ich ihnen glaube, habe ich immer Ja gesagt. Sagt man mir heute, dass mein Handeln nicht ausreichend war, stimme ich zu. Auch wenn ich nicht gegen das gehandelt habe, was damals üblich war, hätte ich besser handeln können als ich es getan habe.
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Frage: Sie gelten als Vertrauter von Papst Franziskus. Freuen Sie sich, nun enger mit ihm zusammenzuarbeiten und im Vatikan ganz in seiner Nähe zu wohnen?
Fernández: Ich weiß tatsächlich nicht, ob ich Franziskus so häufig treffe, weil ich nicht in Santa Marta leben werde. Außerdem gefällt es dem Papst, wenn man viel arbeitet und die Zeit nicht bei Freunden und Gesprächen verliert. Ich werde ihn wahrscheinlich immer dann sehen, wenn der Präfekt nach den etablierten Regeln eben den Papst sehen soll.
Frage: Franziskus war im vergangenen Monat im Krankenhaus und wurde operiert. Wie geht es dem Papst gesundheitlich? Hat er noch genügend Kraft zur Leitung der Kirche?
Fernández: Er willigte in die Operation ein, weil sich seine Gesundheit Dank des Eingriffs verbessern würde. Es ging nicht nur darum, ein medizinisches Problem zu beheben, sondern seinen Gesundheitszustand zu verbessern. Das war erfolgreich, wie ich feststellen konnte. Ich war eine Woche im Vatikan und habe auf seiner Etage in Santa Marta gewohnt, nur einige Meter von seinem Zimmer entfernt. Er empfing den ganzen Morgen und den ganzen Nachmittag Besuch. Ich würde bei diesem Arbeitspensum müde werden, er aber nicht.
Frage: Welche theologischen Ideen verbinden den Papst und Sie?
Fernández: Das sind verschiedene: Gott als Abgrund der Liebe und Barmherzigkeit zu verstehen, in der die göttlichen Personen in einer Beziehung stehen, ewig und im perfekten Verweis aufeinander. Das ist ein Geheimnis, das sich in Christus widerspiegelt, in seinen Gesten, in seinem ganzen Leben, in seiner definitiven Hingabe, und das sich uns im offenen Herzen des Auferstandenen mitteilt. Aus diesem Geheimnis sprießt eine tiefe Überzeugung der immensen und unveräußerlichen Würde jeder menschlichen Person jenseits aller Umstände. Die Überzeugung des hohen Wertes jedes Menschen – das ist etwas, das sozusagen aus jeder Pore des Papstes quilt. Gleichzeitig verbindet uns, Theologie in intimer Beziehung mit dem spirituellen Leben und der Pastoral zu verstehen. Außerdem teilen wir die Überzeugung, dass bei den Armen Weisheit zu finden ist. Der Heilige Geist gibt ihnen Wahrheit und Schönheit. Deshalb erkennen wir in der Volksfrömmigkeit eine authentische Erscheinung des theologisch begründeten Glaubens und sogar eine Mystik, die sich in anderen Kategorien ausdrückt.
„Ich interessiere mich sehr dafür, diese Forderungen besser kennenzulernen.“
Frage: Franziskus legt viel Wert auf die Verbindung von Seelsorge und Theologie. Wie hat Ihre Arbeit als Priester und Bischof in La Plata Ihr theologisches Denken geprägt? Was werden Sie davon in Ihr Amt als Glaubenspräfekt einbringen?
Fernández: Sehr viel. Ich war acht Jahre lang Pfarrer in der Peripherie einer Stadt im Hinterland von Argentinien, nachdem ich zuvor in Rom Theologie studiert und mein Doktorat abgeschlossen habe. Diese Erfahrung führte dazu, dass sich meine Sicht auf bestimmte theologische Konzepte grundlegend änderte, obwohl ich diese zuvor für unveränderlich hielt. Das gleiche geschah nach den Jahren als Erzbischof in La Plata. Zudem war es eine seelsorgliche Erfahrung in der Peripherie der Welt, in meinem geliebten Lateinamerika. Hinzu kommt, dass ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen bin und versuche, immer den am meisten verlassenen Menschen nahe zu sein. Ich habe keinen Zweifel daran, dass das etwas zu meiner Arbeit im Dikasterium beitragen wird, denn es gibt dem theologischen Denken unterschiedliche Perspektiven, die eine Möglichkeit sind, auf andere Dimensionen der Wahrheit zuzugreifen.
Frage: In der Kirche in Deutschland hat der Synodale Weg weitreichende Reformen gefordert. Im Vatikan wurde das nicht besonders wohlwollend aufgenommen – auch von Ihrem Vorgänger, Kardinal Luis Ladaria. Wie stehen Sie zu diesen Forderungen?
Fernández: Ich interessiere mich sehr dafür, diese Forderungen besser kennenzulernen. Denn es wäre aus meiner Sicht unklug und schädlich, im Moment Bewertungen abzugeben. Schließlich habe ich 12.000 Kilometer entfernt gelebt und noch nicht mit den Verantwortlichen gesprochen.
Frage: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: In Argentinien werden Sie oft mit Ihrem Spitznamen "Tucho" genannt. Woher stammt dieser Spitzname? Und wird es auch einen Präfekten "Tucho" geben?
Fernández: Tucho Méndez war ein Fußballspieler, der in einem Endspiel viele Tore gegen die Mannschaft meines Vaters geschossen hat. Um ihn zu necken, nannten sie ihn daher Tucho, und als ich geboren wurde, ging der Spitzname auf mich über: Ich wurde Tuchito genannt. In meinem Heimatort nennen sie mich immer noch Tuchito, wenn ich dort zu Besuch bin. Auch der Papst selbst nennt mich Tucho und vielleicht nennen mich auch die Mitglieder des Dikasteriums irgendwann so.