Kirchenrechtler Bier: In der Kirche kein Raum für Mitbestimmung
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Der Synodale Weg in Deutschland ist zu Ende, der weltweite synodale Prozess läuft gerade. In beiden Formaten ging oder geht es um das Zusammenwirken von Gläubigen und der Kirchenleitung. Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier schaut im Interview auf immerwährende Umwälzungen und Grenzen der Mitbestimmung, die mit dem grundsätzlichen Aufbau der Kirche zu tun haben.
Frage: Für Christinnen und Christen eine Zeit voller Kirchenaustritte, Unmut, schrecklicher Meldungen von Missbrauchsfällen in der Kirche und Aufarbeitung, vielleicht einer ungewissen Zukunft im Allgemeinen – ist es eine spannende Zeit in der Kirche, in der sich viel bewegt, oder sagen Sie, es war schon immer so, wenn wir auf die mehr als 2000 Jahre Geschichte der katholischen Kirche gucken?
Bier: Ich glaube, dass es immer schon so war. Wenn man im Geschehen drin ist und in den Vorgängen drinsteckt, hat man natürlich immer den Eindruck: So wie jetzt ist es noch nie gewesen. Wenn man dann aber auf kirchengeschichtliche Ereignisse schaut, hat das Erste Vatikanische Konzil 1870 beispielsweise mit diesen doch sehr umwälzenden Veränderungen auch dazu geführt, dass sich eine altkatholische Kirche von der Gemeinschaft der katholischen Kirche abgespaltet hat.
Dann die mittelalterliche Entwicklung, die Reformation: Ich glaube, es gab zu allen Zeiten Entwicklungen in der Kirche, die spannend und aufregend zu beobachten waren. Das liegt sicher auch daran, dass zu allen Zeiten Menschen darüber nachgedacht haben, wie es ihnen mit dem geht, was die Kirche macht, was sie sagt, was sie lehrt und was sie vorträgt. Menschen haben sich dann auch ihre Gedanken darüber gemacht und sind vielleicht auch zu abweichenden Ergebnissen gekommen.
So etwas wie Auseinandersetzungen um das, was zu glauben ist und was richtig und was falsch ist, die gibt es zu allen Zeiten der Kirchengeschichte. Und ich denke, auch nicht nur in der Kirchengeschichte. Gucken Sie in die Gesellschaft hinein, was derzeit passiert. Das ist ja nun keine kirchenspezifische Entwicklung.
Frage: Um das einschätzen zu können: Wie viel wird denn rechtlich allgemein in der Kirche verändert heutzutage? Geht das mal eben so?
Bier: Das hängt davon ab, wie wir das ansehen. Natürlich geht das, mal eben so das Recht zu verändern. Man kann das Recht aber nicht einfach so verändern, sondern das kirchliche Recht ist immer auch ein Ergebnis oder ein Ausfluss dessen, was von Seiten des Lehramts vorgetragen wird oder was theologisch überhaupt gedacht wird. Recht ist ja überhaupt immer eine Umsetzung von Dingen, die in einer Gemeinschaft Konsens sind und der Versuch, das dann in eine Rechtsordnung zu übersetzen, damit das, was gesellschaftlicher oder gemeinschaftlicher Konsens ist, auch durch diese Rechtsordnung gestützt wird. So ist es in der Kirche natürlich auch.
Eine Besonderheit besteht kirchlich sicher darin, dass ansonsten in Gemeinschaften eher konsensuell ausgehandelt wird, was gelten soll und was von daher in einer Rechtsordnung grundgelegt werden muss oder wo sich Rechtsordnungen verändern müssen. Ein gutes Beispiel ist vielleicht die veränderte Einschätzung, was Lebensgemeinschaften angeht in der deutschen Gesellschaft. Diese Veränderungen haben dazu geführt, dass der Gesetzgeber seit 2017 auch eine Ehe für alle ermöglicht hat.
Es ist nicht einfach so, dass der Gesetzgeber sagt, das machen wir jetzt, sondern da gab es einen langen und lange währenden Prozess, der dazu geführt hat, dass man gesellschaftlich gesagt hat, das müsste eigentlich möglich sein. Das führte dann dazu, dass ein mehrheitlicher Konsens in dieser Frage entstanden ist. Es gibt ja auch Leute, die darüber immer noch anders denken. Der Konsens hat aber dazu geführt, dass sich die Rechtslage entsprechend verändert hat. Das ist das Typische für mich in einer weltlichen Gesellschaft.
In der Kirche ist es so, dass ein theologischer Konsens unter Wissenschaftlern oder unter Theologen noch nicht ausreicht. Entscheidend ist nicht der theologische Konsens unter vielen – unter den Gläubigen oder so, sondern entscheidend ist die Theologie, die das Lehramt für verbindlich hält und die deshalb die Grundlage der kirchlichen Rechtsordnung ist. Da ist es dann nicht so schnell möglich, sich mal eben über Veränderungen zu verständigen und zu sagen, wir ändern das Gesetz.
Es geht schon damit los, dass es da kein Parlament gibt, das dieses Gesetz dann verabschiedet, sondern die Legislative ganz in der Hand des Papstes und der Bischöfe ist. Die Bischöfe können das dabei nur immer für ihren Bereich machen, also für ihre Diözesen. Der Papst oder auch das Kollegium der Bischöfe können es für die Universalkirche tun. Aber wenn in dieser Gemeinschaft ein bestimmter Konsens vorherrscht, dann wird sich das in der Rechtsordnung entsprechend darstellen, unabhängig davon, ob das auch ein Konsens unter den übrigen theologisch nachdenkenden Menschen in der Kirche ist.
Frage: Es wird nicht einfach abgestimmt, da geht es dann nicht demokratisch zu, was wir auch am Synodalen Weg sehen. Im Oktober 2021 hat Papst Franziskus die Weltsynode eröffnet. Im Herbst gibt es die erste Sitzung, zu der alle Bischöfe und einige Laien zusammenkommen, ein Jahr später die zweite. Bis hierhin sind schon ein paar Schritte passiert: Die Bistümer weltweit wurden befragt, eine Reihe von Organisationen, die kontinentalen Phasen haben stattgefunden und zuletzt die Bischofskonferenzen. Ist das eher ein Hoffnungsschimmer? Oder sehen Sie weniger optimistisch auf das, was da ansteht?
Bier: Darüber denke ich auch noch nach. Der Papst hat für diese Bischofssynode das Nachdenken über Synodalität als Thema ausgerufen. Er meint damit das Nachdenken darüber, wie in der Kirche alle Gläubigen in einer gedeihlichen Weise miteinander umgehen können. Ich will das überhaupt nicht abwerten, aber vor allem geht es hier um eine Stilfrage: Wie gehen wir in der Kirche miteinander um? Es geht nicht in erster Linie um thematische Fragen, also etwa um die Themen, die beim Synodalen Weg jetzt vielleicht gerade dran waren.
Es hat sich aber in den in den Rückmeldungen der verschiedenen Erdteile und Bischofskonferenzen jetzt schon gezeigt, dass Gegenstand dieser Rückmeldungen nicht bloß die Nachfragen nach dem Umgang miteinander war. Das wurde vielmehr immer wieder ganz konkret im Blick auf bestimmte Themen, von denen die Befragten, die Gläubigen und die Bischöfe sich wünschen, dass das stärker in den Blick genommen werden soll. Die zuständigen Bischöfe, die das vorbereiten, auch der Sekretär der Bischofssynode und noch ein paar andere, haben immer wieder darauf hingewiesen: Es geht hier nicht um Themen. Es soll nicht über Themen geredet werden oder es soll nicht in erster Linie über Themen geredet werden. Es geht darum, dass wir miteinander zu einem anderen Umgang kommen.
Das "Instrumentum laboris", was jetzt kürzlich publiziert worden ist, stellt unter anderem auch auf diese Fragen ab: Wie geht man miteinander um? Wie ist es möglich, dass das, was die Stimme der Gläubigen ist, auch irgendwo Gehör findet bei den Bischöfen? Da gibt es auch schon Anregungen im "Instrumentum laboris". Es geht also um Stilfragen.
Jetzt kann man sagen: Es geht nur um Stilfragen, das ist zu wenig, weil es doch viele drängende Probleme gibt. Der Synodale Weg hat einige davon identifiziert, die jetzt natürlich speziell in unserer Region oder in der westlichen Welt Thema sind. Man kann sagen, das ist zu wenig, wenn es nur um Stilfragen geht.
Man kann aber natürlich auch den Standpunkt vertreten, dass immerhin jetzt mal darüber nachgedacht wird, ob es so sinnvoll ist, wenn Bischöfe das, was die Gläubigen ihnen sagen, mit einem Federstrich durchstreichen können, wenn sie also einfach sagen: Nein, das ist aber in meiner Verantwortung, ich möchte das gerne anders haben. Das steht im "Instrumentum laboris" zum Beispiel auch: Dass Bischöfe, die eben einem Ratschlag nicht folgen, das genau begründen müssten. Da verändert sich also vielleicht ein bisschen was. Es ist, glaube ich, eine Ansichtssache, ob das nun genug ist oder ob man sich da mehr wünschen könnte oder sollte.
Frage: Hierarchisch ist es in der Kirche nach wie vor. Kann es kirchenrechtlich überhaupt eine Mitbestimmung geben oder ist das in der hierarchisch strukturierten Kirche gar nicht möglich?
Bier: Es ist zumindest für mich kaum vorstellbar. Solange daran festgehalten wird, dass die Machtfülle jeweils bei den Oberen der jeweiligen kirchlichen Ebenen liegt, also für die Universalkirche beim Papst und beim Bischofskollegium. Wobei das Bischofskollegium allerdings auf Konzilien zusammenkommt. Und Konzilien waren und sind nun nicht gerade häufige Ereignisse innerhalb der Kirchengeschichte.
Faktisch läuft also alles beim Papst zusammen, und auf der diözesanen Ebene läuft es beim jeweiligen Diözesanbischof zusammen. Wer da als Oberer an der Spitze steht, der ist oberster Gesetzgeber, der ist oberster Richter und der ist oberstes Verwaltungsorgan oder zuständig für alle Verwaltungsakte. Das ist jetzt kein Setting, was per se geeignet wäre, so etwas wie Mitbestimmung oder Mehrheitsentscheide zu befördern. Der Synodale Weg hat ja auch darüber nachgedacht, wie man das verändern kann. Und dem ist auch nichts – das würde ich durchaus kritisch sagen – Besseres eingefallen, als die Selbstbindung der Bischöfe an die Beratungsergebnisse zu fordern.
So eine Selbstbindung ist aber erst einmal freiwillig und funktioniert nur so lange wie derjenige, der sich da selbst binden soll, auch bereit ist, diese freiwillige Selbstbindung zu erbringen. In dem Moment, wo er sagt: So, jetzt ist aber ein Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr mitgehen kann, ist es fertig. Die Bischöfe sind ja von Amts wegen auch diejenigen, die verantwortlich sind. Es ist also eigentlich nicht vorstellbar, dass sie sagen: Ich gebe meine Verantwortung ab und mache einfach das, was ihr sagt. Da würde ein Bischof ja auch seinen Auftrag verfehlen.
Es ist also sehr schwierig. Von daher ist da eher kein Raum für Mitbestimmung. Das müsste sich schon sehr grundlegend ändern, aber dass sich das grundlegend ändert, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Frage: Die Idee von "synodal Kirche sein", also Kirchenmitglieder hören und ernst nehmen, ist ja eines der Ziele der Reformerinnen und Reformer. Wir haben es beim deutschen Synodalen Weg gesehen. Der hat zum Beispiel ja auch beschlossen, dass Laien an der Wahl eines Bischofs für ein Bistum beteiligt werden sollen. Geht das kirchenrechtlich überhaupt? Da gibt es ja Vorgaben im Sinne des Badischen Konkordats und des Preußischen Konkordats. Wir haben es im Erzbistum Paderborn und im Bistum Osnabrück, die jetzt neu besetzen wollen, gesehen.
Bier: Das ist auch so eine Idee, und das wäre natürlich auch ein Schritt in Richtung stärkerer Mitwirkung, dass man sagt, wenn es schon so ist, dass alles am Bischof hängt, dann wäre es aber doch wenigstens mal toll, wenn da an der Bestimmung der Person, die da Bischof wird, viele Gläubige beteiligt sind. Da könnte man auch vielleicht eine Parallele zur Gesellschaft sehen. Ich meine, was so ein Bundeskanzler im Endeffekt entscheidet oder nicht entscheidet, können die Wählerinnen und Wähler auch nicht wirklich befördern. Aber sie haben natürlich zumindest die Möglichkeit, Einfluss darauf zu nehmen, wer Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler wird. Von daher ist das sicher ein richtiger Gedanke. Aber Sie haben es schon gesagt: Die Konkordate geben das nicht her.
Man muss auch sehen, dass das Bischofswahlrecht in der Bundesrepublik, das ja nicht mal in allen Diözesen gilt, gesamtkirchlich eine Ausnahme ist. Das gibt es in einzelnen deutschen Diözesen, das gibt es im Erzbistum Salzburg und noch in ein paar Schweizer Diözesen. Ansonsten hat sich in der Kirche das Recht des Papstes etabliert, die Bischöfe selbst auszuwählen und zu bestellen.
Das war übrigens auch nicht immer so, auch da könnte man jetzt auf die Kirchengeschichte verweisen und darauf, dass es früher durchaus üblich war, dass die Gläubigen gewählt haben. Der Apostolische Stuhl hat aber im Laufe der Zeit diese Möglichkeit an sich gezogen, und ich sehe jetzt auch nicht, dass er bereit wäre, davon abzurücken.
Es gibt vieles, was man sicher anführen kann, was an so einer allgemeinen Bischofswahl problematisch wäre. Wenn wir dann Wahlkämpfe hätten wie in der Politik, das würde wahrscheinlich auch keiner wollen. Der Vorschlag des Synodalen Wegs, neben – sagen wir – einer Handvoll Domkapitulare auch noch eine Handvoll Laien zu beteiligen an so einer Berufswahl, ist aus meiner Sicht nun aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss, weil wir dann eben 25 statt zwölf Leute haben, die wählen. Das ist ja auch noch keine Repräsentanz des Gottesvolkes bei dieser Wahl.
Es ist sicher schwierig, aber man könnte ja trotzdem darüber nachdenken, in welche Richtung das gehen könnte. Ich sehe aber nicht, dass das passiert. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Apostolische Stuhl sich darauf einlassen wird.
Frage: Das gibt denjenigen, die schnelle Reformen fordern oder sagen, das wäre längst überfällig, keine Hoffnung. Wurde zu viel Hoffnung in die Verhandlungen rund um die Texte bei den Synodalversammlungen gesetzt?
Bier: Ja, da sprechen Sie einen Punkt an, den ich für sehr wichtig halte. Es ist von Anfang an auch von Seiten der Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) betont worden, das sei jetzt nun aber mal ein Format, wo es nicht nur darum gehe, nur zu reden und am Ende freut man sich, dass man mal geredet hat, sondern jetzt gehe es darum, auch mal Entscheidungen zu treffen und mitzubestimmen. Überhaupt hat der Faktor Mitbestimmung ja immer eine große Rolle gespielt und man hat von Beschlüssen gesprochen, die der Synodale Weg trifft.
Es ist von Anfang an klar gewesen, dass das, was der Synodale Weg entscheidet, also das, was in den Statuten und in der Satzung immer "Beschlüsse" heißt, keine Beschlüsse sind. Es sind Empfehlungen. Und es ist in der Satzung klar zum Ausdruck gebracht: Es ist Sache des einzelnen Diözesanbischofs, zu entscheiden, wie er damit umgeht, was er damit macht, ob er die Vorlagen oder die Vorgaben oder die Anregungen umsetzt oder nicht. Und das war von vornherein klar.
In der Öffentlichkeit ist immer der Eindruck erweckt worden: Nein, es geht jetzt wirklich um Beschlüsse. Und dass das keine echten Beschlüsse sind, das hat man geflissentlich ignoriert oder überspielt. Aus meiner Sicht haben da auch die Bischöfe falsche Erwartungen geweckt. Das geht ja so weit, dass bei einzelnen Fragen – Sie haben eben die Bischofsernennungen schon angesprochen – der Vizepräsident des ZdK gesagt hat, nun müsste das aber auch mal umgesetzt werden, das wäre schließlich Beschlusslage und die würde gelten. Nein, es ist Empfehlung. Gelten tut da gar nichts.
Mal abgesehen davon, dass es in dieser Frage der Bischofsbestellung und der Laienmitwirkung auch nicht so leicht zu realisieren wäre, wie das Handlungspapier des Synodalen Wegs sich das vorstellt, es ist eben einfach nur eine Empfehlung. Und wenn die Bischöfe sagen, das machen wir bei uns aber nicht so, dann sagen die: War schön, dass wir darüber geredet haben. Und genau das sollte ja nicht mehr vorkommen.
Der Kollege Lüdecke (Norbert Lüdecke, Theologe und Kirchenrechtler; d. Red.) hat dazu ein ganzes Buch geschrieben, in dem er vorstellt, wie sich eigentlich in der Vergangenheit die Dinge immer wiederholt haben. Er hat das Buch vor dem Ende des Synodalen Wegs geschrieben und er hat prognostiziert, dass das genauso auch hier wieder laufen wird. Und es ist genauso gekommen.
„Wenn gelten soll, dass die Bischöfe die entscheidenden Personen sind, ist da kein Platz für einen Synodalen Rat, in dem Beschlüsse gefasst werden, an die auch Bischöfe dann tatsächlich gebunden wären. Auch da kann es wieder immer nur um Empfehlungen gehen.“
Frage: Wenn Sie historisch auf den Werdegang der Kirche gucken, scheint es eher wie ein Gegeneinander von Konservativen und Reformwilligen. Kann da die Zukunft der katholischen Kirche entstehen?
Bier: Diese Gräben, die es da gibt, müssen überwunden werden. Der Synodale Weg hat deutlich gezeigt, dass es diese Gräben gibt. Je länger der Synodale Weg dauerte und je mehr Synodalversammlungen es gab, umso deutlicher wurde es. Es gab ja doch zwei sehr scharf voneinander getrennte Positionen, die sich beinahe schon diametral gegenübergestanden haben. Natürlich würde man sich wünschen, dass die beiden Seiten aufeinander zugehen. Da wird aber wahrscheinlich jeder sagen: Na, dann sollen die anderen halt mal einen Schritt machen.
Frage: Das Veto des Vatikans zum Synodalen Rat in Deutschland, den viele Beteiligte des Synodalen Wegs als nächsten Schritt gerne einrichten würden, scheint ja ziemlich eindeutig. Bleibt es aus Ihrer Sicht dabei?
Bier: Ja. Also der Apostolische Stuhl hat seine Position ziemlich klar gelegt. Ich halte die Position des Apostolischen Stuhls systemimmanent auch für stimmig und eigentlich auch für richtig. Wenn gelten soll, dass die Bischöfe die entscheidenden Personen sind, ist da kein Platz für einen Synodalen Rat, in dem Beschlüsse gefasst werden, an die auch Bischöfe dann tatsächlich gebunden wären. Auch da kann es wieder immer nur um Empfehlungen gehen.
Wenn man den Synodalen Rat in dieser Weise ein bisschen anpassen würde, dass es wirklich wieder nur um Empfehlungen ginge, dann würde vielleicht auch der Apostolische Stuhl sein Veto ein bisschen überdenken. Das weiß ich nicht. Ich glaube aber, die Idee ist hier, den Anfängen zu wehren. Man hält das für eine insgesamt sehr bedenkliche Entwicklung. Das kann ich aus der Perspektive des Lehramts nachvollziehen, auch wenn das sicher vielen Gläubigen in Deutschland nicht gefällt.
Frage: Wie kann es stattdessen weitergehen? Haben Sie eine Idee?
Bier: Nein, es wird jetzt wahrscheinlich dieser Synodale Ausschuss irgendwie mal zusammenkommen, vermute ich mal, auch wenn die Finanzierung erst mal nicht geklärt ist. Die Differenzen unter den Bischöfen, die wir schon wahrgenommen haben, werden sich da aber entweder fortsetzen oder die Bischöfe, die dagegen sind, werden da tatsächlich konsequent auch nicht hingehen. Die haben ja schon dem Apostolischen Stuhl geschrieben und gefragt, ob sie daran teilnehmen müssen.
Und dann funktioniert das einfach nicht. Das wird gegen den Widerstand auch nur einzelner Bischöfe nicht funktionieren. Und ob es wirklich nur einzelne sind, das muss man auch mal gucken. Es gab ja beim Synodalen Weg nur Abstimmungen, von denen alle wussten, dass sie unverbindlich sind. Vielleicht ist es auch als Bischof einfacher, für irgendetwas zu sein, wenn ich schon weiß, es wird eh nicht zum Schwur kommen. Das ist natürlich jetzt eine böse Unterstellung.
Frage: Herr Bier, was bringt Ihnen Hoffnung?
Bier: Im Augenblick gibt es da wenig, das ist vielleicht deutlich geworden. Ich nehme zur Kenntnis, dass sich immer mehr Menschen von der Kirche abwenden. Nicht bloß durch Kirchenaustritte, da haben wir ja die Zahlen gesehen, sondern auch durch eine zunehmende innere Distanz, die vielleicht nicht bei jedem in einen Austritt mündet, aber eben doch in eine Abkehr von der katholischen Kirche.
Ich nehme zur Kenntnis, dass die kirchliche Lehre und die Erwartungen der Gläubigen sich immer weiter voneinander entfernen. Das liegt an den Gläubigen, an den seltsamen Ideen, die zumindest in der Gesellschaft bei uns umlaufen, sagt die kirchliche Autorität. Und die Gläubigen sagen, das liegt an der Lebensferne der kirchlichen Lehre und der Sachen, die da gelehrt werden. Wie das zueinander kommen soll, kann ich tatsächlich nicht sehen. Wenn jeder vom anderen sagt, es liegt an dir und du musst dich ändern, keiner aber selbst der Meinung ist, dass er sich ändern solle oder auch ändern könne, dann wird es schwierig. Das Lehramt sagt, es sind ja auch in Teilen die Hände gebunden. Da gibt es eine Lehre, die vorgegeben ist und die können wir nicht einfach sein lassen.
Der Synodale Weg hat die Gräben deutlich gemacht, die es da gibt. Wie die überwunden werden könnten, das kann ich derzeit nicht sehen. Es bleibt vielleicht für viele – und das ist auch eine Wahrnehmung, die ich habe – der Rückzug ins Private, in kleine Einheiten vor Ort, wo das kirchliche Leben gut funktioniert. Nicht so, wie kirchliche Autoritäten sich das unter Umständen vorstellen, aber da funktioniert es halt.
Ich denke, dass der Glaube für viele Menschen weiterhin eine Bedeutung hat. Die Frage nach dem Sinn treibt, glaube ich, doch immer noch eine ganze Menge Leute um. Das sieht man vielleicht auch an dem Zulauf, den evangelikale Gemeinschaften zum Beispiel haben. Die Menschen sind also nicht komplett religionslos geworden, aber zur Kirche besteht doch eine zunehmend größere Distanz. Und dann bleibt es eben bei so einem Rückzug ins Private. Ideal ist das, glaube ich, nicht, aber wie es anders sein könnte, dafür fehlt mir im Moment auch die Fantasie.