Bewegung weg vom Zweiten Vatikanischen Konzil

Nothelle-Wildfeuer: Es gibt Rechtsruck in Kirche und Gesellschaft

Veröffentlicht am 28.07.2023 um 11:31 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Die Umfragewerte der AfD sind hoch, Abwehrbewegungen mancher Gruppen gegen kirchliche Reformen ebenso. Die Freiburger Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer spricht in Kirche und Gesellschaft von einem neuen Rechtsruck.

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Die Freiburger Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer sieht in Gesellschaft und Kirche gleichermaßen einen Rechtsruck. "In der Kirche sehe ich das Erstarken der Tradition nicht in dem Sinn, das 'Feuer' weiterzutragen, sondern sich gegen jede Veränderung zu wehren und das Alte zu zementieren", sagte sie dem Münsteraner Portal "kirche-und-leben.de" am Donnerstag. Die Gründe für dieses Phänomen sehe sie angesichts der Komplexität der Gegenwart in der Suche nach einfachen Antworten.

Mit Bezug auf die Kirche komme hinzu, dass es eine Entwicklung weg vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) und hin zum Festhalten an einer abstrakten Wahrheit gebe. "Wer sich im Besitz dieser Wahrheit glaubt, verurteilt Andersdenkende als Häretiker. Diese Menschen übersehen aber, dass niemand die Wahrheit gepachtet hat und es auch in der Kirche einen Diskurs braucht, den sie aber verweigern", so Nothelle-Wildfeuer. Wer meine, die letztgültige Wahrheit zu haben und zu verteidigen, "der denkt womöglich auch, dabei sei jedes Mittel recht", fügt sie hinzu.

Keine Kooperation mit AfD möglich

Mit Blick auf die hohen Umfrageergebnisse der AfD und missverständliche Äußerungen von CDU-Chef Friedrich März zur Zusammenarbeit der beiden Parteien vermutet sie, Merz habe testen wollen, ob er bestehende Grenzen ausdehnen könne. In Sachfragen abzustimmen, könne man nicht verhindern. "Aber mit Hilfe der AfD für eigene Anliegen Mehrheiten zu organisieren, das wäre eine Form der Kooperation, die nach meinem Verständnis nicht möglich ist."

Eine Lösung in dieser Frage sieht sie einer besseren Politik. Dass etwa der CDU-Politiker Thorsten Frei das individuelle Grundrecht aus Asyl abschaffen wolle, "geht gar nicht". Das verschiebe die Debatte nach rechts. Vielmehr müsste sich die Politik mit Blick auf die christliche Sozialethik vor einem Konkurrenzdenken verschiedener sozial Bedürftiger hüten.

Generell halte sie die große Mehrheit der Deutschen für demokratisch, betont Nothelle-Wildfeuer. Es gebe also nicht mit dem Ende der Weimarer Republik vergleichbare antidemokratische Anzeichen. "Wir müssen aber darauf Acht geben, dass die Gräben zwischen den verschiedenen Ansichten nicht so tief werden, dass es keine Mitte mehr gibt." (cph)