BDKJ-Präses zu Weltjugendtag: Müssen über Kolonialismus reden
Größer als jedes Musikfestival: Anfang August verbringen Hunderttausende katholische Jugendliche aus aller Welt eine Woche zusammen in Portugals Hauptstadt Lissabon. Welche Chancen bietet ein Großereignis wie der Weltjugendtag? Offen und angstfrei über Kolonialismus zu sprechen zum Beispiel, sagt Stefan Ottersbach vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Interview:
Frage: Herr Ottersbach, was bedeutet katholischen Jugendlichen in diesen Zeiten ein Ereignis wie der Weltjugendtag - in einer Zeit, die von Klimakrise und Krieg geprägt ist und innerkirchlich von Missbrauchsskandalen und aufwühlenden Reformprozessen?
Ottersbach: Viele empfinden es als große Chance, an einem Fest teilzunehmen, bei dem sie sich mit anderen Jugendlichen verständigen und Freundschaften knüpfen können. Gerade in Zeiten von Krieg ist nicht zu unterschätzen, was bei so einem Ereignis an Völkerverständigung stattfindet. Zudem können Jugendliche erfahren: Ich bin Teil einer Glaubensgemeinschaft, die die Welt umspannt und zu der viel mehr Menschen gehören, als ich das oft zuhause erlebe.
Frage: Was hat der BDKJ für das Programm in Lissabon geplant?
Ottersbach: Beim sogenannten International Youth Hearing, einem Podium, wollen wir mit jungen Menschen über den Zusammenhang von Klimagerechtigkeit und Kolonialgeschichte ins Gespräch kommen. Seit dem 15. Jahrhundert wurden von Portugal aus viele Länder kolonialisiert - insbesondere in Afrika, aber auch in Asien und Lateinamerika. Beim Youth Hearing kommt es uns insbesondere auch auf die Perspektiven von Menschen aus dem globalen Süden an.
Frage: Erst kürzlich hatte es Wirbel um eine "politisch unkorrekte" Vatikanbriefmarke zum WJT gegeben. Zu sehen war darauf Papst Franziskus auf dem Denkmal der Entdeckungen in Lissabon - an Stelle des portugiesischen Eroberers und Seefahrers Heinrich, der als Begründer des portugiesischen Kolonialreichs gilt. Ist der WJT auch ein Anlass, die Rolle der katholischen Kirche im Kolonialismus aufzuarbeiten?
Ottersbach: Aus meiner Sicht muss er das auf jeden Fall sein. Wir als katholische Kirche und auch der Papst müssen uns dazu positionieren. Im März hat es ja eine Verlautbarung des Vatikans zur sogenannten Entdeckungsdoktrin gegeben [der vermeintlichen "Entdeckung Amerikas" durch die Europäer, Anm. d. Red.] - die wurde aber nur von zwei Behörden des Vatikans unterzeichnet. Was bisher noch aussteht, ist, dass sich Papst Franziskus auch persönlich dazu äußert. Der WJT ist für uns als katholische Kirche eine große Chance, offen und angstfrei über Kolonialismus zu sprechen.
Frage: Dieses Jahr haben sich deutlich weniger Jugendliche angemeldet als zu vergangenen Weltjugendtagen. Worauf führen Sie das zurück?
Ottersbach: Nach der Pandemie sind, glaube ich, noch viele vorsichtig mit solchen Großveranstaltungen. Viele sagen auch: Wir wollen erst mal mit der eigenen Gruppe auf Fahrt gehen, die eigenen Gruppenerfahrungen wieder stark machen. Nicht zuletzt vermute ich auch, dass nicht wenige Jugendliche mit so einer kirchlichen Großveranstaltung fremdeln.
Frage: Wegen der Missbrauchsskandale?
Ottersbach: Genau. Bei den jungen Menschen, denen ich in meiner alltäglichen Arbeit begegne, nehme ich wahr, dass das Fremdheitsgefühl gegenüber kirchlichen Machtstrukturen deutlich größer geworden ist. Gegenüber dem Glauben nicht unbedingt, aber gegenüber der Institution Kirche und gegenüber hierarchischen Strukturen.
Frage: Wie wird das Thema Missbrauch beim WJT aufgegriffen?
Ottersbach: In der vergangenen Woche gab es Presseberichte, dass sich der Papst mit Missbrauchsopfern treffen wird. Diesen persönlichen Austausch begrüßen wir sehr und halten ihn für unverzichtbar, denn die Anerkennung des Leids der Opfer kann nur mit dem Begreifen der Dimension des Missbrauchs einhergehen. Ich hoffe sehr, dass von Papst Franziskus dazu ein starkes Wort ausgeht. Dass er jungen Menschen sein Wort gibt, alles dafür zu tun, um künftig auch die Strukturen anzugehen, die Missbrauch begünstigt haben. Die Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt in der Kirche werden noch nicht überall auf der Welt gleich stark vorangetrieben. Auch von den Bischöfen erhoffe ich mir, dass sie den WJT als Möglichkeit nutzen, es anzusprechen.
Frage: Wie will man verhindern, dass Missbrauch auch im Umfeld des WJT geschieht?
Ottersbach: Wir schulen Leiterinnen und Leiter und haben umfangreiche Schutzkonzepte entwickelt, so dass junge Menschen wissen, wo sie Unterstützung finden können.
Frage: Das Motto des diesjährigen WJT lautet "Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg" aus dem Lukas-Evangelium. Maria ist hierzulande bei vielen jungen Leuten nicht unbedingt populär - jedenfalls nicht in der klassischen Deutung der sich aufopfernden Frau, die ihr ganzes Leben in den Dienst anderer stellt. Wie passt das zu modernen jungen Menschen heute?
Ottersbach: Es gibt Gott sei Dank sehr vielfältige Marienbilder; auch das einer jungen Frau, mit der sich viele identifizieren können: "Sie machte sich auf den Weg", das kennen doch unglaublich viele junge Menschen. Sich auf den Weg zu machen, ohne genau zu wissen, wo es hingeht. Maria als eine solidarische Figur, die um Sorgen und Unsicherheiten weiß, sich diesen im Vertrauen auf Gott aber stellt.