Standpunkt

Kirchen, zeigt Haltung gegen Populismus!

Veröffentlicht am 07.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Andreas Püttmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ein Drittel der Deutschen neigt zum Populismus, 18 Prozent davon stark: Der demokratische Rechtsstaat ist bedroht. Andreas Püttmann kommentiert, die Kirche müsse entschieden dagegen vorgehen – denn mittlerweile sei es in der Thematik still geworden.

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Die Rechtspopulismus-Studie der Uni Hohenheim hat es in sich: Etwa ein Drittel der Deutschen neigt zum Populismus, 18 Prozent davon stark. Jeder vierte Westdeutsche und jeder dritte Ostdeutsche sieht unsere Republik nicht mehr klar als Demokratie. Die geringschätzige Meinung, diese Staatsform führe "eher zu faulen Kompromissen als zu sachgerechten Entscheidungen", weisen nur 43 Prozent zurück. Verschwörungsideen, wonach Politiker und andere Eliten "nur Marionetten dahinterstehender Mächte" und "geheimer Organisationen" seien und "Medien nur bringen, was die Herrschenden vorgeben", stimmen 40 bis 50 Prozent mindestens teilweise zu. Autoritarismus-anfällig sind 30 Prozent. Überdurchschnittlich betroffen sind Männer, über 45-Jährige, Haupt- und Realschulabsolventen, Ostdeutsche. Von innen und außen angegriffen, drohen Vertrauensbasis und kulturelle Voraussetzungen des demokratischen Rechtsstaats zu zerfallen. Die Zahl der Demokratien weltweit schwindet.

Was Kirchen das angeht? Karl Barths Einlassung, das Göttliche dürfe nicht politisiert und Menschliches "nicht theologisiert werden, auch nicht zugunsten der Demokratie" (Römerbrief, 1919), kann nach der Zerstörung der Weimarer Republik, den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts und der Hölle der Shoa keine Devise christlicher Staatslehre mehr sein. Eine Kirche, die das Humanum schützen will, kommt nicht vorbei an Kriterien und Voten für eine politische Grundordnung, die der biblischen Anthropologie am ehesten entspricht. Sie muss dabei auch über Strukturen reden und über politische Tugenden, die diese lebensfähig machen.

EU-Nuntius Erzbischof Noel Treanor warnte beim St. Michaelsempfang vor wachsender Polarisierung und Missachtung des demokratischen Staats. Die Kirche stehe "in der Verantwortung, dem Extremismus, dem Populismus und jeglicher Form von Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten"; Radikale und autoritäre Akteure nutzten "die Offenheit unserer Gesellschaft aus, um ihr und dem demokratischen Regierungsmodell zu schaden". Dieser Verantwortung wurden die deutschen Katholiken gerecht durch bischöfliche "Rote Linien" gegenüber der AfD-Ideologie und das Gutachten katholischer Sozialethiker zur AfD-Programmatik (2017), die Arbeitshilfe "Dem Populismus widerstehen" (2019) und zahlreiche Positionierungen katholischer Verbände, Räte, Gemeinden und Einzelpersönlichkeiten. Doch inzwischen ist es stiller geworden. Man ist viel mit sich selbst beschäftigt.

Der AfD-Höhenflug, aufwiegelnde Parolen in Erding ("Demokratie zurückholen"), der Aiwanger-Skandal samt antisemitischem Echo in Social Media und die zitternden Kompassnadeln von "C"-Politikern sind Weckrufe gegen Gewöhnung und Ermüdung. Je prekärer die Lage, desto klarer und lauter müssen die Kirchen Zeugnis geben – auch gegen ideologisch Rechtsverdrehte im eigenen Haus – als unüberhörbare Stimme für eine "wehrhafte Demokratie".

Von Andreas Püttmann

Der Autor

Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.