Standpunkt

Legt den Holzhammer weg: Versöhnen statt spalten – auch in den Kirchen

Veröffentlicht am 08.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Tilmann Kleinjung – Lesedauer: 

München ‐ Ost gegen West, Generation Z gegen Boomer: Die Gesellschaft ist gespalten, kommentiert Tilmann Kleinjung. Das merkt man nicht nur in den sozialen Netzwerken. Doch es gibt eine Instanz, die sich Versöhnung auf die Fahnen geschrieben hat: die Kirchen.

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Konjunkturflaute, Fachkräftemangel, Überbürokratisierung, Infrastrukturprobleme. Höchste Zeit für eine "Ruck"-Rede des Bundespräsidenten, könnte man meinen. Roman Herzog hat vor 26 Jahren aus dem Berliner Hotel "Adlon" ins Land gerufen: "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen."

Mein Wort zur Lage der Nation wäre gerade ein anderes: "Versöhnen statt spalten." Das ist ein Zitat des SPD-Politikers Johannes Rau aus dem Bundestagswahlkampf 1987. Rau unterlag damals dem CDU-Konkurrenten Helmut Kohl. Und vermutlich ließe sich mit diesem Slogan heute erst recht kein Blumentopf gewinnen. Unser gesellschaftlicher Diskurs funktioniert mit Ab- und Ausgrenzung, mit freundlicher bzw. feindlicher Vereinnahmung und polemischer Überbietung. Die Lautsprecher reklamieren eine "schweigende Mehrheit" für ihre Position, maßen sich Deutungshoheit darüber an, was als "normal" zu gelten hat. In den Schützengräben der sozialen Netzwerke dringen differenzierte Meinungen (Corona, Ukraine) kaum durch, je nach dem, in welcher Blase man sich bewegt. Die Algorithmen belohnen die Spalter.

Die Schubladisierung unserer Gesellschaft in Ost und West oder Generation Z (Hafer-Cappuccino!) und Boomer (Umweltschweine!) macht es ja sehr einfach, den Überblick in einer immer komplexeren Wirklichkeit behalten. Warum differenzieren, wenn es auch den Holzhammer gibt?

Die Kirchen können und müssen in diesem vergifteten Klima eine andere Rolle spielen. Sie haben sich die Versöhnung auf die Fahnen geschrieben. Also müssen sie Menschen zusammenbringen, unterschiedliche Meinungen in den eigenen Reihen aushalten und alles dafür tun, die Artenvielfalt im Biotop Kirche zu erhalten. Nicht Gleichgesinnte unter Gleichgesinnten kann der Anspruch sein, sondern eine Kirche, eine Gemeinde, in der Menschen unterschiedlicher Generationen, Vorstellungen und Schichten sich begegnen. Es geht nicht um das Zukleistern von Konflikten, um kritiklose Toleranz für alle und alles. Kirche kann konstruktive Auseinandersetzungen ermöglichen – nicht nur intern, auch für die Gesellschaft. Und dort, wo es unüberbrückbare Lager und Positionen gibt: Versöhnen statt spalten. Vielleicht könnte das tatsächlich einen Ruck auslösen.

Von Tilmann Kleinjung

Der Autor

Tilmann Kleinjung ist Leiter der Redaktion Religion und Orientierung im Bayerischen Rundfunk (BR).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.