Ökonom: Diskrepanz zwischen christlicher Lehre und Institution Kirche
Der Entwicklungsökonom Patrick Kaczmarczyk hat führenden Vertretern der katholischen Kirche vorgeworfen, die katholische Soziallehre zu ignorieren. Es gebe "eine riesige Diskrepanz zwischen der christlichen Lehre und der Institution Kirche", sagte Kaczmarczyk am Mittwoch in einem "Spiegel"-Interview. Papst Franziskus habe der Kurie nicht umsonst "geistiges Alzheimer" vorgeworfen. "Auch in der Kirche gibt es Menschen, die nichts anderes im Schilde führen, als ihren eigenen Nutzen und ihre Macht zu maximieren. Mit der katholischen Soziallehre hat das nichts mehr zu tun", so der Ökonom.
Kaczmarczyk, der auch die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) berät, betonte zugleich, dass er die katholische Soziallehre als Schlüssel für die Lösung zentraler Herausforderungen der heutigen Zeit betrachte. In ihr seien "viele Lösungen für die multiplen Krisen unserer Gesellschaft" zu finden. Er sei davon überzeugt, dass die Soziallehre diesbezüglich ein "wertvoller Kompass" sein könne. Beispielhaft nannte der Ökonom den Eigentumsbegriff. Anders als marktliberale Kreise, in denen Eigentum geradezu als Heiligtum gelte, zeige die Soziallehre, dass Eigentum eben nicht das Allerheiligste sei. "Güter haben immer eine allgemeine Bestimmung, sie müssen dem Gemeinwohl dienen", sagte Kaczmarczyk.
Mit Fragen von Papst Franziskus auseinandergesetzt
Der 32-Jährige betonte weiter, dass er gläubiger Christ und katholisch erzogen worden sei. Die katholische Soziallehre als Lösung für aktuelle Probleme "lag also gewissermaßen vor meiner Haustür". Wirklich darauf gestoßen sei er jedoch erst bei einer Konferenz des "Institute for New Economic Thinking", einer die unter anderem von George Soros gegründeten Denkfabrik, deren Ziel es sei, Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen. Bei der Konferenz, so Kaczmarczyk, hätten sich die Teilnehmer unter anderem mit Fragen von Papst Franziskus auseinandergesetzt. "Er wollte zum Beispiel wissen, wie das Verhältnis von Politik und Ökonomie aussehen muss, damit jeder Mensch das bekommt, was man für ein erfülltes Leben benötigt", sagte der Ökonom.
Kaczmarczyk warnte davor, dem "Homo oeconomicus" und dem Kapitalismus freien Lauf zu lassen: "Wenn man dem Ego freien Lauf lässt, endet das nicht in einer, sondern in mehreren Katastrophen: Wenige Menschen verfügen über unermesslichen Reichtum, während die Armut im Globalen Süden immer noch riesig ist." Auch in Deutschland gebe es massive Ungleichheit, viele Menschen würden von Existenzängsten geplagt. Hinzu komme der Klimawandel, der zum individuellen Problem verklärt werde. "Wenn wir all diese Themen lösen wollen, müssen wir die Wirtschaft wieder in den Dienst des Menschen stellen", so der Experte.
Deutliche Kritik an CDU-Chef Friedrich Merz
Deutliche Kritik äußerte Kaczmarczyk an der CDU. Deren Führungsetage um den Parteivorsitzenden Friedrich Merz sei von der katholischen Soziallehre und dem Christentum "meilenweit entfernt" und stehe als "Bodyguard auf der Seite des Kapitals". Beispielhaft nannte er unter anderem Merz' Kritik an der jüngsten Erhöhung des Bürgergelds: "Er torpediert das Bürgergeld, weil es Geringverdienern angeblich den Anreiz zur Arbeit nimmt. Dabei geht es darum, das Existenzminimum von Menschen zu sichern, ein Gebot der Barmherzigkeit. Wie kann man solche Positionen vertreten und sich Christ nennen?"
Kaczmarczyk hat in dieser Woche das Buch "Raus aus dem Ego-Kapitalismus. Für eine Wirtschaft im Dienst des Menschen" veröffentlicht. Laut dem Westend-Verlag schreibt der Ökonom darin über "seine Suche nach möglichen Auswegen aus dem drohenden sozio-ökonomischen wie ökologischen Desaster", die ihn bis in die Soziallehre der Kirche führe. Diese weise einen "überraschenden Reichtum an Prinzipien und Leitbildern auf, die den auf radikalen Egoismus setzenden Dogmen des Neoliberalismus in fundamentaler Weise entgegenstehen". Als katholische Soziallehre wird die Gesamtheit der Aussagen der katholischen Kirche über die Grundlagen und Normen des Zusammenlebens der Menschen innerhalb der Gesellschaft sowie zu Problemen der sozialen Gerechtigkeit bezeichnet. (stz)