Noch keine Ergebnisse zum Fall Dillinger – Hoffnung auf Zeitzeugen
Seit rund vier Monaten versuchen zwei Sonderermittler, die verschiedenen Fäden im Fall Edmund Dillinger (1935-2022) zusammenzubinden. Der Priester aus dem Bistum Trier steht im Verdacht, jahrzehntelang junge Menschen missbraucht und sich übergriffig verhalten zu haben.
Beide Ermittler sind Profis, ehemalige Staatsanwälte: Jürgen Brauer und Ingo Hromada. Sie sollen herausfinden, was war, wer betroffen ist. Und bewerten, wie sich das Bistum und staatliche Stellen verhielten. Doch der Fall zeigt auch, wie schwierig Aufarbeitung in einem so verzweigten Fall sein kann.
Zunächst schien die Aufarbeitung vielversprechend. Denn Dillinger führte akribisch Buch über seinen Alltag, seine Telefonate und Begegnungen. Selbst Flugtickets von Reisen bewahrte er auf. So schildern es die Ermittler, die die Terminkalender der Jahre 2013 und 2016 einsehen konnten. Doch das Handeln der Staatsanwaltschaft Saarbrücken warf die Aufarbeitung zurück: Die hatte Unterlagen nach einer ersten Sichtung vernichten lassen, neben Fotos auch die anderen Terminkalender der Jahre 1967 bis 2021. Brauer geht davon aus, dass damit ein "Fundus an Informationen" und ein "Quell für weitere Ermittlungsansätze" unwiederbringlich verloren ging.
Priester reiste mit falscher Identität
Probleme ergeben sich auch dabei, Dillingers Verbindungen nach Afrika aufzuschlüsseln. Er soll dem Bericht zufolge "zahlreiche Reisen" unternommen und in Deutschland Kontakt zu Stipendiaten von dort gesucht haben. Häufig sollen ihn hier afrikanische junge Männer begleitet haben. Und er gründete eine Hilfsorganisation.
Im Raum steht der Verdacht, dass er in diesem Kontext junge Menschen missbrauchte. Einfach prüfen lässt sich das ohne konkrete Anhaltspunkte nicht. Was es weiter verkompliziert: Mutmaßlich nutze Dillinger bei den Reisen zumindest zeitweise eine falsche Identität. So berichtete ein Zeuge den Ermittlern, Dillinger habe sich 1986 bei einer Kamerun-Reise als "Eric Delay" – und als verheirateter Familienvater der Mitreisenden ausgegeben.
Helfen könnten Betroffene. Doch der Umgang mit Homosexualität in vielen afrikanischen Ländern dürfte die Suche nach Zeugen erschweren. Schwule werden in vielen Ländern Afrikas angefeindet. In Togo und Kamerun, wo Dillinger viel unterwegs war, etwa drohen ihnen Geld- und Freiheitsstrafen. "Es dürfte männlichen Personen großen Mut abverlangen, Übergriffe durch Dillinger zu schildern, weil sie zumindest ihre gesellschaftliche Ächtung oder sogar strafrechtliche Verfolgung befürchten müssten", vermuten die Ermittler.
Um doch mögliche Opfer zu finden, setzen die Ermittler auf die Hilfe der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und von in Afrika vernetzten Vereinen. Eine Recherche vor Ort sei erst sinnvoll, wenn sich Orte und Zeiträume eingrenzen ließen. Frustrierend nannte Hromada, dass die vernichteten Terminkalender wahrscheinlich benannt hätten, wann Dillinger wo war.
"Wir hoffen, dass weitere Betroffene mit uns sprechen"
Die Ermittler stellen klar, dass ohne Mitarbeit von Betroffenen und Zeitzeugen die Aufklärung womöglich im Sande verläuft und vieles "reine Spekulation" bleibe. "Wir hoffen, dass weitere Betroffene mit uns sprechen", betonten sie. Bisher legten Hinweise nahe, dass sich Dillinger von 1961 bis 2018 übergriffig verhalten habe.
Brauer skizzierte Dillinger als autoritären konservativen, in der Kirche hoch angesehenen und gut vernetzten Menschen, dem "überall Türen geöffnet" worden seien. Als Muster sei erkennbar, dass er sich aufdringlich verhalten und körperliche Nähe und Kontakt zu Jugendlichen gesucht habe. Mit 26 Zeitzeugen und Betroffenen sprachen die Ermittler. Von selbst erlebtem sexuell übergriffigen Verhalten Dillingers berichteten demnach bisher drei Personen. Brauer zufolge spricht viel dafür, dass es "bei der Masse an Kontaktaufnahmen" weitere Opfer gebe.
Bleiben fürs erste Akten und Recherchen im Internet. Die Ermittler wollen ältere Versionen von Internetseiten durchforsten und Unterlagen verschiedener kirchlicher, staatlicher und anderer Stellen einsehen. Darunter Akten der Bistümer Trier, Köln und Fulda und der Staatsanwaltschaften Trier, Mainz und Saarbrücken. Die Ex-Staatsanwälte ermittelten zudem 26 Namen von früheren Studenten aus Afrika. Ende des Jahres wollen die Juristen einen weiteren Bericht veröffentlichen. Konkretere Ergebnisse dürfte es erst in einem Abschlussbericht geben.