Ermittler im Fall Dillinger: Sind auf Mithilfe Betroffener angewiesen
Der 2022 gestorbene Priester Edmund Dillinger aus dem Bistum Trier hat hunderte Fotos und Diafilmstreifen hinterlassen, die auf jahrzehntelangen Missbrauch hindeuten. Mit der Aufklärung dieses Falls hat die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von Missbrauch im Bistum zwei Sonderermittler beauftragt. Jürgen Brauer, früher Generalstaatsanwalt in Koblenz, und Ingo Hromada, ehemals Oberstaatsanwalt in Trier. Im Interview sprechen sie über Herausforderungen und die anstehenden Schritte.
Frage: Herr Brauer, was genau ist Ihr Auftrag?
Brauer: Die gefundenen Bilder lassen vermuten, dass Dillinger in sehr, sehr großem Umfang sexuellen Missbrauch betrieben haben könnte. Die Unabhängige Aufarbeitungskommission ist der Ansicht, dass sie den Fall mit ihren Mitteln nicht aufklären kann und hat uns damit beauftragt. Wir legen nur ihr gegenüber Rechenschaft ab. Vereinbart haben wir, nach drei Monaten erstmals zu berichten. Nach neun Monaten soll das Projekt beendet sein. Ob das gelingt, ist noch offen.
Frage: Was wollen Sie herausfinden?
Brauer: Was vorgefallen ist, wer was gewusst und wer wie reagiert oder nicht reagiert hat. Wir müssen erst wissen, was überhaupt passiert ist. Daraus kann man Konsequenzen ziehen und überlegen, was hätte besser gemacht werden sollen.
Frage: Wie gehen Sie das an?
Brauer: Wir sind keine staatlichen Ermittler mehr, sondern gehen diesen Fragen als Privatpersonen nach. Wir können also nichts durchsuchen lassen, keine Polizei hinschicken, keine Zeugen vorladen und keine richterlichen Vernehmungen beantragen. Wir können nur auf Mithilfe der Betroffenen und derjenigen zählen, die etwas wissen.
Und wir können um Akteneinsicht bitten. Für die Bistumsakten ist uns das zugesichert. Das ist auch Geschäftsgrundlage. Sollte das anders sein, würde ich meine Arbeit niederlegen. Dafür gibt es aber bisher keine Anzeichen. Ansonsten sind wir darauf angewiesen, dass wir Unterlagen von Staatsanwaltschaften, Bildungsministerium, Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion und Schulaufsicht bekommen.
„Wir haben öffentlich aufgerufen, dass sich Betroffene melden.“
Frage: Wo fangen Sie an?
Brauer: Als erstes haben wir die Zeitungsartikel nach der Veröffentlichung des Falls durch den Neffen des Priesters ausgewertet und Kontakt zu einigen Menschen hergestellt, die angeben, etwas zu wissen. So haben wir im Saarland sechs Personen gefunden: Schüler und Kollegen Dillingers aus dessen Zeit als Religionslehrer am Gymnasium in Saarlouis von 1979 bis 1999. Wir haben öffentlich aufgerufen, dass sich Betroffene melden.
Frage: Wie gehen Sie mit Hinweisen auf Verbindungen nach Afrika und nach Paris um? Reisen Sie hin?
Hromada: Aber wohin überhaupt? Aktuell kennen wir nur Andeutungen. Da ist die Rede von Togo oder Kamerun. Damit lässt sich aber wenig anfangen. Konkrete Hinweise fehlen. Wir bräuchten Informationen von Betroffenen oder Mitwissenden, die den Ort, den ungefähren Zeitraum und eventuell andere Beteiligte nennen können. Auch Unterlagen und Dokumente könnten weiterhelfen, außer den Bildern etwa Tagebücher oder Briefe. Ansonsten stochern wir im Nebel.
Frage: Wie sieht es mit den zahlreichen Vereinen aus, in denen Dillinger aktiv war?
Brauer: Wir werden proaktiv auf Menschen zugehen und mit allen in Kontakt treten, von denen wir annehmen, dass sie etwas Substanzielles beitragen können. Aber wenn Leute nicht mit uns reden wollen, so müssen wir das hinnehmen.
Frage: In einem Brief der Trierer Staatsanwaltschaft von 2012 heißt es, Ermittlungen an Dillingers Schule im Saarland hätten keine weiteren Ansätze ergeben. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Brauer: Wenn eine Staatsanwaltschaft mit ihren deutlich umfassenderen Mitteln nichts herausbekommt, dann kann es sein, dass auch wir nichts finden. Aber gerade mit Blick auf die Schule im Saarland haben wir Kontakt mit einem ehemaligen Schüler, der schon Dinge erzählt hat. Nichts Substanzielles, kein Missbrauch. Aber von Gerüchten, die damals kursierten, Andeutungen in der Abiturzeitung. Da kann man ansetzen und fragen: Wurde den Gerüchten nachgegangen?
Frage: Können Sie etwas zur Vermutung eines Pädophilen-Netzwerks sagen?
Hromada: Nein, das ist zu früh. Es ist offen, ob wir da einen Fuß in die Tür bekommen.
„Das Ganze ist weit verzweigt und teilweise lange her.“
Frage: Berücksichtigen Sie auch Dillingers Zeit im Erzbistum Köln?
Brauer: Ja, wir sind mit den Stellen dort in Kontakt.
Frage: Mit welchen Herausforderungen haben Sie zu tun?
Hromada: Das Ganze ist weit verzweigt und teilweise lange her. Einige Stationen liegen 50 Jahre zurück. Außerdem ist fraglich, ob Betroffene, die sich bisher nicht gemeldet haben, das nach so langer Zeit tun wollen.
Frage: Was kann Aufarbeitung in dem Fall überhaupt leisten?
Brauer: Wenn es gelingt, Betroffene zu finden, kann die Aufarbeitung den Opfern möglicherweise weiterhelfen. Sie könnten Entschädigungen von der Kirche bekommen. Es könnte dazu führen, Strukturen zu erkennen, die Missbrauch begünstigen. Man könnte ein Frühwarnsystem entwickeln. Zuerst müssen wir aber klären, was passiert ist.