Papst reist nach Marseille: Politisches Potenzial ohne Staatsbesuch
Offizielle Stellen im Vatikan werden nicht müde zu betonen, dass die Reise des Papstes nach Marseille am 22. und 23. September kein Staatsbesuch in Frankreich sei. Franziskus nimmt an der Schlussveranstaltung des diesjährigen "Mittelmeer-Treffens" (Rencontres Mediteraneennes) teil, so lautet die offizielle Sprachregelung. Doch so klein wie ursprünglich geplant, als bloßer Gastredner bei dem Treffen von jungen Leuten, Kommunalpolitikern und Religionsführern aus den Anrainerstaaten des Mittelmeers, kann sich der Papst dann doch nicht machen.
Dafür sorgt vor allem Staatspräsident Emmanuel Macron. Seit den landesweiten Unruhen junger Männer mit Migrationshintergrund im Juni und Juli bemüht sich der 2022 wiedergewählte Präsident verstärkt um ein Image als Kümmerer in seinem zerrissenen Land. Und so lässt er es sich nicht nehmen, dem Gast aus Rom, der für universale Geschwisterlichkeit steht, am Samstag gleich zweimal seine Aufwartung zu machen. Am Vormittag empfängt er ihn staatsmännisch offiziell im Palais du Pharo, und am Nachmittag nimmt er am Gottesdienst im Fußballstadion von Marseille teil, mit dem der Besuch endet.
Mut für die demoralisierte katholische Kirche Frankreichs
Den Auftakt bildet am Tag zuvor ein Besuch des Papstes in der über dem Hafen thronenden Basilika Notre-Dame-de-la-Garde. Dort hat er bei einer Begegnung mit mehr als 100 Geistlichen und Ordensleuten Gelegenheit, der durch Skandale tief demoralisierten katholischen Kirche wenigstens in diesem Teil Frankreichs Mut zu machen.
Es folgt eine teils religiöse, teils politische Veranstaltung: Am großen Bronze-Denkmal für die "Opfer und Helden des Meeres", das seit 100 Jahren an der Hafeneinfahrt steht, will Franziskus gemeinsam mit Geistlichen anderer Glaubensgemeinschaften an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen. Dem Papst, der selbst aus einer der größten Hafenstädte Lateinamerikas stammt, sind diese Gedanken vertraut. Doch in Marseille will er nicht nur an ertrunkene Seeleute und Matrosen erinnern, sondern auch an die vielen tausend Migranten, die im Meer ihr Leben ließen.
Die oft tödlichen Migrationsrouten über das Mittelmeer könnten auch in der Rede eine zentrale Rolle spielen, die der Papst beim ofiziellen Anlass seines Besuchs am Samstagmorgen hält. Seit seiner ersten Papstreise, die ihn vor zehn Jahren auf die Insel Lampedusa führte, wiederholt er immer wieder seine dramatische Mahnung: Das Mittelmeer dürfe nicht zu einem Massengrab für Menschen werden, die ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen haben. Gut möglich, dass er in Marseille für eine Ausweitung der bislang nur spärlich vorhandenen geregelten Einwanderungskorridore nach Euopa plädieren wird.
Solche Gedanken kann der Papst gleich anschließend bei seiner offiziellen Begegnung mit Präsident Macron vertiefen. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass sein Gegenüber das Werben für mehr Zuwanderung freudig aufgreifen wird. Denn der Kampfbegriff einer drohenden "Überfremdung Frankreichs" durch Einwanderung aus muslimischen Ländern und durch ungleiche Geburtenraten ist derzeit mit Blick auf die bevorstehenden Europawahlen eine Trumpfkarte der französischen Rechtsextremen.
Politische Debatten kaum zu Umschiffen
Auch hier gibt die soziale Wirklichkeit von Marseille den passenden Rahmen ab. In einigen Teilen der Hafenstadt, in der einst die Kommunisten stark waren, sind die Rechtsextremen mit ihren Slogans gegen Kriminalität und Einwanderung schon seit 2014 mehrheitsfähig.
Ob Franziskus bei seinem großen Abschlussgottesdienst im Stadion von Olympique Marseille überhaupt auf dieses und andere politisch sensible Themen eingehen wird, ist ungewiss. Das gehört zu den Unbekannten dieser Reise, die nicht als Staatsbesuch geplant war und die am Ende die Untiefen der politischen Debatte doch nur schwer umschiffen kann.
Der gastgebende Erzbischof, Kardinal Jean-Marc Aveline, brachte es in einem Pressegespräch auf den Punkt: Heute wollten viele die historische Erinnerung an das friedliche und fruchtbare Zusammenleben im Mittelmeerraum ausradieren und stattdessen eine Furcht vor dem je anderen und ihre eigene Ideologie durchsetzen. "Doch wir stehen dafür, dass allen realen Bedrohungen zum Trotz auch das Gute am Werk ist."