Falsche Einschätzung der ersten Meldung im Jahr 2011

Overbeck räumt Fehler im Umgang mit Hengsbach-Vorwürfen ein

Veröffentlicht am 22.09.2023 um 14:06 Uhr – Lesedauer: 

Essen ‐ Schon 2011 wurde Bischof Overbeck erstmals über einen Missbrauchsvorwurf gegen seinen Vorgänger Kardinal Hengsbach informiert. Rom hielt den Vorwurf nicht für plausibel, Overbeck sah den Fall als erledigt an – ein Fehler. Jetzt zieht der Bischof Konsequenzen.

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Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat Fehler im Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen seinen Vorgänger Kardinal Franz Hengsbach eingeräumt. Aus heutiger Sicht sehe er es als persönlichen Fehler an, 2011 den ersten ihm bekannt gewordenen Vorwurf als erledigt betrachtet zu haben, schreibt er in einem Brief an die Gläubigen seines Bistums am Freitag. Overbeck wurde im August 2011 durch das Erzbistum Paderborn über einen Vorwurf informiert, der in Hengsbachs Zeit als Weihbischof dort fiel. Der Essener Bischof sei mündlich darüber informiert worden, dass die Glaubenskongregation den Vorwurf nicht als plausibel einordnet. "Daraufhin unternahm ich nichts weiter, denn ich sah den Fall als bearbeitet an", so Overbeck weiter. Er bat die Gläubigen um Verzeihung und kündigte an, weiter ein lernender Bischof sein zu wollen.

Mit dem Wissen um den aktuellen Fall, der sich auf das Jahr 1967 bezieht und über den Overbeck im März dieses Jahres informiert wurde, sei der Fall "aus gutem Grund vollkommen neu zu bewerten". Im Ergebnis müsse der Essener Bischof eingestehen, dass die Vorwürfe 2011 falsch eingeschätzt worden seien und den Betroffenen Unrecht geschehen sei. Er habe auch unterlassen, die damalige Missbrauchsbeauftragte zu informieren. "So kam es, dass sie im August des Jahres 2011 die Anfrage einer Behörde in einer Versorgungsangelegenheit verneinte, ob dem Bistum Essen Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Hengsbach bekannt seien." Das habe ihrem Wissensstand entsprochen und dürfe ihr nicht angelastet werden. Die von ihm unterlassene Information an die Verantwortlichen für die Essener Missbrauchsstudie betrachtet Overbeck nun als Versäumnis. "Auch wenn es sich um einen Fall aus der Zeit vor der Bistumsgründung handelte, wäre dieses Hintergrundwissen für die Aufarbeitungsstudie sehr wichtig gewesen."

Nach den Standards der damaligen Zeit gehandelt

Er denke viel darüber nach, warum es zu solchen Fehleinschätzungen kommen konnte. Ihm sei deutlich geworden, dass er nach den Standards damaliger Zeit handelte, die sich aus heutiger Sicht als vollkommen ungenügend darstellten: "Ich stellte die Bewertung, der zufolge die Missbrauchsvorwürfe nicht plausibel seien, selbst nicht infrage. Das war falsch. Ich konnte auch nicht glauben, dass ein geschätzter Kardinal, der zugleich mein Vorgänger im Bischofsamt war, anderen Menschen furchtbares Leid zugefügt haben könnte." Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er damit dem Muster folgte, dem Schutz des Ansehens eines kirchlichen Würdenträgers Vorrang zu geben und betroffene Menschen nicht hinreichend zu sehen. Zugleich erneuerte Overbeck seinen Aufruf an mögliche weitere Betroffene, sich zu melden.

Am Dienstag hatte das Bistum Essen über schwere Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Hengsbach informiert. Overbeck kündigte an, die Vorwürfe überprüfen zu lassen. "Im Oktober 2022 hat sich eine Person, die anonym bleiben möchte, bei den beauftragten Ansprechpersonen gemeldet und zu Protokoll gegeben, dass sie einen sexuellen Übergriff durch Kardinal Hengsbach im Jahr 1967 erlitten hat", heißt es in einer Erklärung Overbecks. Er habe im März 2023 davon Kenntnis erhalten und nach Rücksprache mit dem Interventionsbeauftragten beschlossen, weitere Nachforschungen anstellen zu lassen. Zwei Vorwürfe betreffen Hengsbachs Zeit als Bischof von Essen, ein Vorwurf betrifft seine Zeit als Weihbischof in Paderborn.

Am Mittwoch räumte Overbeck auf Nachfrage ein, dass er bei der Ehrung von Hengsbach durch eine Statue vor dem Essener Dom im Oktober 2011 bereits seit Anfang August einen ersten Vorwurf informiert war. In der ersten Stellungnahme des Bischofs vom Dienstag wurde lediglich das Jahr 2011 genannt. Ebenfalls am Mittwoch forderte die Initiative "Maria 2.0", den Kardinal-Hengsbach-Platz am Essener Dom umzubenennen und die dortige Statue des Bischofs zu entfernen. Der Oberbürgermeister von Essen kündigte eine Umbenennung an. In seinem aktuellen Brief teilt Overbeck mit, dass er ausdrücklich die Überlegung des Domkapitels unterstützt, das Denkmal des Gründerbischofs in unmittelbarer Nähe des Domes zu entfernen. "Zur Demut, die unsere Kirche zu lernen hat, gehört nun auch die Zurückhaltung mit Denkmälern, die wir für einzelne Menschen errichten." (fxn)

Im Volltext: Brief von Bischof Overbeck an die Gemeinden

Nach der Veröffentlichung von Missbrauchsvorwürfen gegen den Gründerbischof des Bistums Essen, Kardinal Franz Hengsbach, räumt Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck in einem Brief an die Gemeinden seines Bistums Versäumnisse im Umgang mit diesen Vorwürfen ein: "Ich bitte Sie nun alle um Entschuldigung für meine Fehler."