Martin Luther und der Beginn der Reformation

Ein Mönch spaltet die Christenheit

Veröffentlicht am 06.01.2015 um 23:58 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 
Dossier: Ökumene

Bonn ‐ Als der Dominikanermönch Tetzel 1517 in Wittenberg für den kirchlichen Ablasshandel wirbt, platzt dem Theologieprofessor Martin Luther am 31. Oktober endgültig der Kragen. Es ist der Beginn der Reformation.

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Der Streit entzündet sich wie so oft am lieben Geld: Als der Dominikanermönch Johannes Tetzel im Herbst 1517 in Wittenberg und Umgebung aggressiv für den kirchlichen Ablasshandel wirbt, platzt dem Augustinermönch und Theologieprofessor Martin Luther am 31. Oktober endgültig der Kragen.

Voller Empörung verfasst er einen Brief an Albrecht von Brandenburg, den Mainzer Erzbischof und zuständigen päpstlichen Ablasskommissar. Darin beschreibt Luther in 95 Thesen, die er der Legende nach auch an die Tür der Wittenberger Schlosskirche schlägt, seine Bedenken gegen den Ablasshandel, den er als unseriöse Geschäftemacherei und theologischen Irrweg ansieht. Was Luther indes nicht ahnt: Albrecht von Brandenburg und mit ihm viele weitere hohe geistliche Würdenträger tolerieren den Ablasshandel nicht nur, sie profitieren auch selbst mit erheblichen Summen von ihm.

Schacher um die menschliche Seele

Und so kommt es, dass Luther - anders als von ihm erwartet - bei der Kirche keine Unterstützung für seine Ablehnung des Ablasses und des damit verbundenen "Schachers um die menschliche Seele" findet. Stattdessen setzt er mit seinen Thesen eine Auseinandersetzung in Gang, die in nur wenigen Jahrzehnten die Macht der katholischen Kirche brechen, Deutschland und Europa konfessionell spalten und als "Reformation" in die Weltgeschichte eingehen wird.

Luther freilich ahnt am Tag der Veröffentlichung seiner Thesen noch nicht, welche Lawine er lostritt. Wohl aber weiß er, dass er mit seiner Kritik an der Kirche nicht alleine steht. Denn der 34-jährige Theologe und seine Zeitgenossen leben in einer Phase dramatischer Umbrüche. Das Heilige Römische Reich und die Kirche als die beiden zentralen Institutionen stecken zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einer tiefen Krise.

Politische Machtkämpfe und innerkirchliche Missstände

Während das Reich gefangen ist in einer Spirale aus politischen Machtkämpfen, wirtschaftlicher Not und sozialen Spannungen, leidet die Kirche unter innerkirchlichen Missständen und einem massiven Autoritätsverlust des Papsttums. Auf heftige Kritik stößt zudem die zunehmende Verweltlichung des Klerus: So genießen die Kirche und ihre Vertreter zwar zahlreiche wirtschaftliche Privilegien, in die Abgabenpflichten eines normalen Untertanen sind sie jedoch nicht eingebunden. Und auch das sittenlose Leben vieler Priester, die sich nicht an ihr Keuschheitsgelübde halten, wird von den Gläubigen kritisch beurteilt.

Bild: ©LianeM/Fotolia.com

Die Schlosskirche in Wittenberg, an die Martin Luther 1517 der Überlieferung nach seine 95 Thesen anschlug.

Angesichts der schwelenden Unzufriedenheit der Gläubigen fällt Luthers Kirchenkritik auf fruchtbaren Boden; seine Thesen finden - auch dank der neuen Erfindung des Buchdrucks - schnelle Verbreitung und zahlreiche Anhänger. Luthers Kritik dreht sich im Kern um die Frage der Rechtfertigung: Für ihn kann nur Gott allein den Menschen erlösen und ihm die Gnade der vollständigen Vergebung zuteil werden lassen ("sola gratia"). Der Mensch kann sich demnach nicht durch seine Taten retten, sondern nur durch seinen Glauben an Christus ("sola fide"). Der kirchliche Ablass ist nach diesem Verständnis vollständig wertlos.

Hinzu kommt: Für Luther steht der einzelne Gläubige in einer unmittelbaren Beziehung zu Gott. Die Kirche verliert damit ihre angestammte Funktion als Mittlerin zwischen beiden. Mit dieser Sichtweise rüttelt Luther an einem Grundpfeiler des kirchlichen Selbstverständnisses. Denn wenn die Fürsprache der Priester nicht mehr entscheidend für das Seelenheil der Gläubigen ist, ist die gesamte Stellung der Kirche als alleiniger Heilsvermittlerin in Frage gestellt.

Massiver Feldzug gegen Luther

Die Kirche reagiert auf Luthers Aufbegehren mit einem massiven Feldzug gegen den Reformator. Zwischen 1517 und 1521 muss sich Luther mehrfach vor Fürsten, Reichsständen und Vertretern des Papstes für seine Thesen rechtfertigen, den geforderten Widerruf seiner Aussagen zum Ablass lehnt er trotz Strafandrohungen aber ab. Daraufhin exkommuniziert Papst Leo X. Luther Anfang Januar 1521; wenig später wird durch Kaiser Karl V. zudem die Reichsacht über ihn verhängt.

Die Reformation ist zu diesem Zeitpunkt aber längst nicht mehr aufzuhalten: Wie ein Lauffeuer haben sich Luthers Thesen und seine reformatorischen Schriften verbreitet. Die Menschen empfinden das Aufbegehren des Theologen als Befreiung und als Ventil, um der eigenen Unzufriedenheit Luft zu verschaffen.

Linktipp: Nicht nur Männersache

Die Reformation war nicht allein das Werk von Männern. Auch Frauen hatten ihren Anteil an der Verbreitung von Luthers Thesen. Aber das ist heute fast vergessen. Eine Ausstellung will das nun ändern.

Während sich Luther als "Junker Jörg" vor seinen Häschern auf der Wartburg versteckt - und dort im Herbst 1521 in nur elf Wochen das Neue Testament erstmals ins Deutsche übersetzt -, breitet sich die Reformation immer weiter aus: Mönche und Nonnen treten aus ihren Klöstern aus, Freunde und Schüler Luthers wie der Schweizer Ulrich Zwingli verbreiten seine Thesen, radikale Gruppen setzen mit Gewalt die geforderte Freiheit des Christenmenschen in die Praxis um.

Im Windschatten dieses zumeist religiös motivierten Aufbegehrens gehen ab 1524 in weiten Teilen Deutschlands auch die Bauern auf die Barrikaden. Unter Berufung auf Luthers Thesen und angesichts der dramatischen wirtschaftlichen Lage fordern sie von ihren Fürsten ökonomische, soziale und politische Reformen. Da die Aufstände jedoch regional beschränkt und ohne zentrale Führung sind, können die Fürsten den "Bauernkrieg" nach zwei Jahren für sich entscheiden.

Entscheidende Rolle der Fürsten

Die Fürsten spielen auch im weiteren Verlauf der Ereignisse eine entscheidende Rolle. Denn Luther und seine Anhänger hätten den ungleichen Kampf gegen die Kirche wohl kaum für sich entscheiden können, hätten sich nicht immer mehr Fürsten mit ihren Truppen auf die Seite der Reformation gestellt.

Dies hat zunächst nur bedingt etwas mit Religion zu tun, stattdessen spielen Machtfragen eine entscheidende Rolle. Denn die Fürsten mögen zwar manche von Luthers Thesen nicht verstehen oder teilen, die Konsequenzen seines Aufbegehrens aber passen ihnen nur zu gut ins Konzept: Sie nämlich erhoffen sich von der Erosion der kirchlichen Macht eine Aufwertung ihres eigenen Einflusses - und Zugriff auf die riesigen Ländereien der Kirche.

Bild: ©olimeg/Fotolia.com

Auf der Wartburg bei Eisenach versteckte sich Martin Luther vor seinen Verfolgern.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt - Ende der 1520er Jahre - ist aus der von Luther gestarteten rein theologischen Auseinandersetzung um den Ablass eine machtpolitische Konfrontation geworden. Etliche Fürsten wechseln mit ihren Untertanen ihre Religion - je nach aktueller Interessenlage.

Katholische Schockstarre

Die Reformation festigt sich vor diesem Hintergrund immer mehr und die religiöse Spaltung schreitet voran. 1530 bekennen sich die zum Protestantismus übergetretenen Reichsstände in dem von Philipp Melanchthon formulierten "Augsburger Bekenntnis" erstmals öffentlich zu ihrem neuen "evangelischen" Glauben. Zwei Jahre später muss Karl V. den Protestanten im "Nürnberger Religionsfrieden" zudem die freie Ausübung ihrer neuen Religion zugestehen.

Die katholische Kirche befindet sich zu dieser Zeit noch immer in einer Art Schockstarre. Nachdem sie sich ohne Erfolg an Luther abgearbeitet hat, reagieren Kirche und Klerus unsicher auf die reformatorische Herausforderung. Weder zaghafte innerkirchliche Reformversuche noch das erst 1545 einberufene Konzil von Trient (Tridentinum) vermögen die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Im Gegenteil: Im "Augsburger Religionsfrieden" von 1555 wird die religiöse Spaltung des Heiligen Römischen Reiches schließlich zementiert. Fortan darf jeder Landesherr selbst entscheiden, welcher Religion er und seine Untertanen angehören.

Katholische "Gegenreformation" als Antwort

Die weitere Entwicklung ist vor allem von zwei Strömungen gekennzeichnet: Zum einen breitet sich die Reformation über das Reich hinaus im Laufe des 16. Jahrhunderts fast in ganz Europa aus. Besondere Bedeutung erlangt in diesem Prozess die Schweiz, wo Ulrich Zwingli und später Johannes Calvin eigene Varianten des Protestantismus etablieren.

Zum anderen schafft es die katholische Kirche schließlich doch noch, eine Antwort auf die Reformation zu finden. In der "Gegenreformation", einem Prozess der bis in das 18. Jahrhundert reicht, positioniert sich die katholische Kirche selbstbewusst gegen die neuen evangelischen Kirchen. Große Bedeutung erlangt dabei auch der 1534 gegründete Jesuitenorden. Die Jesuiten reformieren die Ausbildung der Geistlichen sowie deren Lebensführung, verbessern die Verständlichkeit der biblischen Botschaft und übersetzen die Bibel in ein verständliches Latein.

Von Steffen Zimmermann