Tagung in Rom weist Weg in anhaltende Kontroversen über Pius XII.
Die Frage, warum sich Papst Pius XII. im Zweiten Weltkrieg so verhielt, wie er es tat, bewegt seit Jahrzehnten die Öffentlichkeit. Die Fronten sind verhärtet: Für die einen hat er dramatisch versagt, weil er im Oktober 1942 nicht öffentlich gegen die Deportation von mehr als 1.000 Juden aus Rom in die Vernichtungslager protestierte; und weil er im gesamten Zweiten Weltkrieg nur in einer einzigen Radioansprache zu Weihnachten 1942 die Tötung von Hunderttausenden Menschen anprangerte.
Für die anderen ist Pius XII. ein tragischer Held, der im Verborgenen tat, was er konnte; der in Rom etwa 4.500 Juden vor der SS versteckte; der durch die Androhung eines lauten Protestes die Nazis dazu brachte, die Juden-Deportation in Rom abzubrechen. Und der das weltweite Netzwerk der katholischen Kirche und seiner Diplomaten einsetzte, um Tausenden Juden zu helfen: mit Geld, mit Papieren, mit Verstecken – und auch mit Taufen, weil in manchen Gebieten getaufte Juden nicht so konsequent verfolgt wurden wie ungetaufte.
Run von Forschern auf Archive
Lange schien unmöglich zu klären, ob Pius XII. ein Heiliger oder doch nur ein Feigling und Komplize von Mördern war. Denn die vatikanischen Archive, die Aufschluss geben konnten, waren verschlossen. Als Papst Franziskus sie 2020 für die Forschung freigab, setzte ein Run von Forschern nach Rom ein, um mehr als 16 Millionen Dokumente aus den Jahren 1939 bis 1958 zu sichten.
Eine umfassende Präsentation und Diskussion von Zwischenergebnissen fand in dieser Woche bei einer dreitägigen Fachtagung in Rom an der Päpstlichen Universität Gregoriana statt. Sie wurde von jüdischen, vatikanischen und US-amerikanischen Stellen gemeinsam organisiert und war bereits im Vorfeld von Medienberichten über aufsehenerregende Funde begleitet.
In 27 Vorträgen, bei denen israelische Teilnehmer wegen des gerade ausgebrochenen Kriegs in Nahost fehlten, versuchten Historiker, Archivare und Theologen, ein umfassendes Bild vom Handeln des Papstes und seines Apparates zu zeichnen. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch das geistige Umfeld; weil, wie es Vatikanarchivar Johan Ickx auf den Punkt brachte, "bis heute niemand weiß, was Pius XII. wirklich über die Juden dachte".
Judenhasser an der Kurie?
Der Verdacht, dass der Papst und führende Männer der katholischen Kirche im Innersten Antisemiten gewesen seien und deshalb nur halbherzig den Verfolgten geholfen hätten, spielt im Hintergrund eine Rolle. Ickx zeigte sich überzeugt, dass es nicht so war. Denn dass sich Kurienbeamte und päpstliche Diplomaten in dem Ausmaß, wie es jetzt die Akten zeigen, über Jahre für Juden eingesetzt haben, sei kaum vereinbar mit der Vermutung, dass sie eigentlich Judenhasser gewesen seien.
In eine ähnliche Richtung wiesen die Ausführungen des Münsteraner Historikers Hubert Wolf. Er sprach nach der Sichtung von rund 1.700 Hilfsgesuchen von Juden an den Papst von der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Forschung.
Doch auch die "Ankläger" des Weltkriegspapstes sehen sich in den Akten bestätigt. So etwa der Mailänder Historiker Michele Sarfatti, der darlegte, dass niemand in Europa so früh und so umfassend über Judenvernichtung und Gaskammern informiert war wie der Heilige Stuhl. Und dass der Papst, obwohl ihn mehrere seiner Botschafter schriftlich darum baten, kein öffentliches Wort des Protests gegen die Massenvernichtung erhob.
Der Historiker Amadeo Osti Guerrazzi aus Padua versuchte, aufgrund der Aktenlage alle "Mythen" zu zerstören, wonach der Vatikan wirklich Einfluss auf den Abbruch der Judenrazzia in Rom vom 16. Oktober gehabt habe. Falls kirchliche Akteure dies wirklich versucht hätten, habe ihnen der deutsche Stadtkommandant lediglich vorgetäuscht, dass er beim SS-Reichsführer interveniert habe. Die Gründe für den Abbruch seien aber ganz banal gewesen: Die Deutschen hätten von sich aus mit der Aktion aufgehört, als der Überraschungseffekt verpufft sei und Tausende Juden bereits geflohen waren.
Begrenzte Handlungsmöglichkeiten
Auch andere Vorträge lenkten den Fokus auf die sehr begrenzten Handlungsmöglichkeiten des Papstes, der ohne eigene Streitkräfte und ohne Verbündete viel machtloser war, als es seine Stellung als "geistlicher Führer der größten Glaubensgemeinschaft der Menschheit" suggeriert. Auch die Beschränktheiten seines eigenen Denkens in den theologischen und religiösen Vorgaben seiner Zeit kamen in den Vorträgen zur Sprache.
Konsens herrschte nach drei Tagen engagierten Debatten nur darüber, dass die Forschenden noch lange brauchen werden, um das gesamte Material zu sichten. Und dass es zu früh sei, um über Papst Pius XII. und seinen Apparat ein endgültiges Urteil zu sprechen.