Pontifex sei absolut von seinen Mitarbeitern abhängig gewesen

Kirchenhistoriker Wolf: Debatte um Papst Pius XII. ist verkürzt

Veröffentlicht am 12.10.2023 um 11:34 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Die Debatte über die Bewertung des Handelns von Papst Pius XII. hält auch während der Sichtung der Vatikanakten an. Kirchenhistoriker Hubert Wolf mahnt dabei eine Verschiebung des Fokus an: Es solle mehr um das Handeln der Kurie als Ganzes gehen.

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Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf hält die Debatte über die Haltung von Papst Pius XII. zur Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg für verkürzt: "Der Papst ist absolut abhängig von dem, was ihm die Mitarbeiter zuliefern", sagte Wolf dem Portal "domradio.de" am Donnerstag. Er plädiert für einen organisationssoziologischen Ansatz.

Seine These sei: "Weg von der Konzentration auf Pius. Hin zur Konzentration auf die Kurie." Das ergebe ein "viel bunteres Bild", so Wolf. Bei den vielen Tausend Bittschreiben, die jüdische Menschen an den Papst gerichtet hatten, hätten Mitarbeiter entschieden, ob dem Pontifex eine Bittschrift vorgelegt worden sei oder nicht. Ähnlich sei es auch bei Lehrschreiben und Ansprachen gewesen: "Von jeder Weihnachtsansprache, auch der berühmten von 1942, wo er dann mal was sagt zu den Menschen, die wegen ihrer Rasse oder ihrer Nationalität verfolgt und umgebracht werden, wissen wir, dass der Entwurf von Gustav Gundlach, einem Jesuiten, stammt."

Großes Aufkommen von Bittschreiben

Überrascht habe ihn das große Aufkommen von Bittschreiben, so Wolf. "Man denkt, es sind halt ein paar 100 oder so, aber es sind halt von 1939 bis 1945 ununterbrochen Tausende, und zwar getaufte Juden genauso wie nichtgetaufte." Diese Menschen breiteten dem Kirchenoberhaupt oft mit großer Offenheit ihr Leben aus. Das bedeute, dass sich in der jüdischen Gemeinschaft herumgesprochen habe: "'Du kannst dich an den Papst wenden, da passiert irgendwie was.' Das hat uns schon überrascht."

Papst Franziskus hatte 2020 die Akten in den vatikanischen Archiven für die Jahre 1939 bis 1958 für die Forschung freigegeben. Bei einer Fachtagung an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom wurden diese Woche Zwischenergebnisse präsentiert. Belege für einen in der Breite vorhandenen Antisemitismus in der Kurie wurden dabei nicht gefunden, sagte Vatikanarchivar Johan Ickx. Dass sich Kurienbeamte und Nuntien über Jahre hinweg für Juden eingesetzt hätten, sei mit der Vermutung unvereinbar, dass sie Judenhasser gewesen seien. Auch Wolf plädiert für einen Paradigmenwechsel in der Forschung. (cph)