"Wir wollen Veränderung": Die römische "Schattensynode" der Laien
Keine Direktübertragung aus der Synodenaula, ein Interviewverbot zu den Inhalten der Diskussionen und die Verpflichtung zur Verschwiegenheit – die Organisatoren der Weltsynode sind auf Zurückhaltung bedacht und die Synodalen halten sich größtenteils daran. Papst Franziskus erklärte vor Beginn der Kirchenversammlung sogar, Gott möge kein großes Aufheben und kein Gerede. Das Schweigen sei in der Kirche der Garant für eine geschwisterliche Kommunikation und das Hören auf den Willen Gottes. Ganz anders mutet da das Programm der "Synodalen Versammlung" der Laien-Organisation "Spirit Unbounded" ("Ungebundener Geist") an. An dem ökumenischen Treffen, das bis Samstag gleichzeitig in Rom, Bristol und online stattfand, konnte jeder Interessierte teilnehmen. Und dessen Organisatoren wollen – anders als die Verantwortlichen der Weltsynode – keine Abschottung von der Presse, sondern mediale Aufmerksamkeit.
Ganz bewusst hat die eine Woche dauernde Tagung mit dem Titel "Menschenrechte in der neu entstehenden katholischen Kirche" zeitgleich mit der Weltsynode im Vatikan stattgefunden. "Spirit Unbounded" – ein im Januar gegründeter Zusammenschluss von kirchlichen Reformgruppen aus mehreren Ländern, zu denen etwa "Wir sind Kirche" aus Deutschland gehört – wollte so auf die Missachtung der Menschenrechte in der Kirche hinweisen. "Wir haben mehr als 100 Zeugen und Opfer dieser Verletzungen aus aller Welt zusammengebracht: aus Uganda, den USA, Schottland oder Südafrika", erklärt Brian Devlin von "Spirit Unbounded". Devlin weiß, wovon er spricht: Er hat sein Amt als katholischer Priester aufgegeben und mit dem Buch "Cardinal Sin" Missbrauchsvorwürfe gegen den inzwischen verstorbenen schottischen Kardinal Keith O’Brien an die Öffentlichkeit gebracht.
Auch deutsche Teilnehmer bei Tagung
Bei der Tagung in Rom sprachen auch hierzulande bekannte Persönlichkeiten, wie die ZdK-Vizepräsidentin Claudia Nothelle oder Mara Klein, Mitglied des Synodalen Ausschusses. "Wir wollten den Stimmen derer zu Resonanz verhelfen, die unter den Menschrechtsverletzungen leiden, die entstellt haben, was die Kirche eigentlich sein soll", erklärt Devlin das Anliegen der "Synodalen Versammlung". Ein Blick auf das Tagungsprogramm zeigt, dass damit vor allem die zahlreichen Missbrauchsfälle durch Kleriker, der Ausschluss der Frauen vom Weiheamt und die Diskriminierung von queeren Menschen in der Kirche gemeint sind.
Weil die Veranstaltung zeitgleich mit der Weltsynode teilweise auch im Rom stattgefunden hat, wurde sie in den Medien als "alternative Synode" oder "Schattensynode" bezeichnet. Damit steht die "Synodale Versammlung" in der Tradition der Treffen von "Wir sind Kirche", die die Reformbewegung in den vergangenen Jahrzehnten zugleich mit den Bischofssynoden in Rom abgehalten hat, um ihre Forderungen bei den Synodenvätern bekanntzumachen. Ob die "Schattensynode" der Laien von "Spirit Unbounded" auf die Teilnehmer der aktuell tagenden Weltsynode einwirken kann, möchte Devlin nicht beurteilen: "Das liegt nicht in unseren Händen." Als wahrscheinlich kann aber die Zustimmung wenigstens einer Handvoll Synodaler für die Anliegen der "Synodalen Versammlung" gelten, wie etwa im Fall von Rafael Luciani. Denn der venezolanische Theologe ist als Experte in der Synodenaula im Vatikan dabei und hat im Vorfeld des Treffens von "Spirit Unbounded" ein Grußwort veröffentlicht, das auf der Internetseite der Bewegung nachgelesen werden kann.
"Und nachdem sie zugehört haben, müssen sie handeln"
Doch die Einflussnahme auf die Synodalen ist nach Ansicht von Devlin nicht der springende Punkt: "Wir wollen als katholische Laien gemeinsam unsere Stimme erheben, weil wir glauben, dass die Hierarchie die Kirche in eine existenzielle Krise geführt hat." Katholiken in aller Welt sollten wissen, dass sie mit ihrer Frustration und ihrem Leiden, das von Bischöfen und Kardinälen verursacht wurde, nicht allein seien. "Wir wollen Veränderung", fordert Devlin. Denn der Klerikalismus töte die Kirche: "Bischöfe haben mit Pomp, Arroganz und Vertuschung von Missbrauch den Brunnen vergiftet, aus dem katholische Gläubige trinken." Der Kirchenaktivist hält die "Synodale Versammlung" für einen großen Erfolg, weil sie die Dynamik in der Kirche hin zu den Laien verändert habe, die Bischöfe seien nun unter Zugzwang. "Wenn die kirchlichen Autoritäten sagen, dass die Synode eine Übung im Hören ist, dann müssen sie zuhören, was jenseits der Mauern des Vatikan geschieht", so Devlin. Dabei denkt er besonders an die beim Treffen von "Spirit Unbounded" vertretenen Missbrauchsopfer, Frauen und queeren Gläubigen. "Und nachdem sie zugehört haben, müssen sie handeln", fordert er von den Kirchenoberen.
Mit diesen Hoffnungen ist Devlin im Umfeld der Synode in Rom nicht allein: In der ersten Woche der Kirchenversammlung, die inzwischen bei ihrer Halbzeit angekommen ist, forderten Frauen der Organisation "Women's Ordination Conference" ("Frauenweihe-Konferenz") und anderer Vereinigungen mit einer Demonstration am Beginn der römischen Via della Conciliazione mit Blick auf den Petersdom Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche. "Widerstand gegen das Patriarchat ist Gehorsam gegenüber Gott" und weitere Aufrufe, etwa zur Weihe von Priesterinnen, waren auf den Schildern der Protestierenden zu lesen.
Noch vor Beginn der Weltsynode hatte der deutsche Berufsverband der Pastoralreferentinnen und -referenten zu einem ersten weltweiten Treffen von sogenannten "Professional Lay Ministers" nach Rom geladen. Bei der Tagung tauschten sich die Teilnehmer aus zwölf Ländern über ihren Beruf als ausgebildete Laien in der Seelsorge, aber auch über den aktuellen Zustand der Kirche aus. In einem Brief an die mehr als 450 Teilnehmer der Synode forderten sie eine "Kirche der Beteiligung, der Mitverantwortung, der Mitentscheidung und der gegenseitigen Ermächtigung". Auch weitere kirchliche Gruppen versuchen ihre Anliegen den Synodenteilnehmern näher zu bringen. So sind im Moment etwa Vertreter der Jugendverbände aus den deutschsprachigen Ländern in Rom und bereiten sich dort auf informelle Treffen mit einigen Synodalen vor.
Welchen Einfluss haben Reformkräfte auf Synode?
Ob "Spirit Unbounded", die "Women's Ordination Conference" oder andere Gruppen, die sich Reformen in der Kirche wünschen, wirklichen Einfluss auf die Synode haben, bleibt fraglich. Zwar sind während des Pontifikats von Papst Franziskus Diskussionen über kritische Themen, wie etwa die Frauenweihe, zunehmend möglich geworden. Und das Kirchenoberhaupt deutet selbst immer wieder an, neue Wege in der Pastoral mit wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexuellen zu ermöglichen. Doch umfassende Veränderungen der kirchlichen Lehre, die zum Beispiel die Öffnung des Weihesakraments für Frauen mit sich bringen würden, scheinen sich auch unter Franziskus in weiter Ferne zu befinden.
Während sich reformorientierte Bewegungen mit "Schattensynoden" im Umfeld des Vatikan positioniert haben, fällt auf, dass sich die bewahrenden Kräfte eher ruhig verhalten. Zwar machten im Vorfeld der Weltsynode fünf Kardinäle mit kritischen "Dubia" von sich reden. Doch eine Tagung von der Größe der "Synodalen Versammlung" haben die Konservativen nicht auf die Beine gestellt. Ob sie darauf setzen, dass die Synode ohnehin keine Änderungen in der Kirche bringen wird? Immerhin hat zur nachträglichen Analyse der vatikanischen Kirchenversammlung die ultrakonservative Internetseite "Life Site News" Ende Oktober zu einer Strategiekonferenz nach Rom geladen. Zu den Rednern gehört dort neben dem umstrittenen US-Bischof Joseph Strickland, auch der deutsche Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller – und damit sogar ein direkt vom Papst ernannter Synodenteilnehmer.