Journalistin: Gewalt gegen Christen verändert Klima in Israel
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Die Kämpfe in Israel und Palästina gehen weiter – und die Christen sind mittendrin. Die Journalistin Pia Steckelbach berichtet als Korrespondentin aus Tel Aviv. Im Interview spricht sie über die Stellung der Christen und die Mechanismen des Nahostkonflikts.
Frager: Welche Rolle spielt die Religion wirklich in diesem Konflikt? Auf der ersten Ebene ist das ein Konflikt von Muslimen gegen Juden, aber wie immer ist es nicht so einfach. Geht es nicht mehr um die sozialen und ethnischen Spannungen als um die religiöse Überzeugung?
Steckelbach: Ich glaube, dieser Konflikt hat erst mal sehr viele Dimensionen. Natürlich spielt Religion eine große Rolle. Zum Beispiel ist auch der Zionismus erst mal eine säkulare Bewegung, die aber auf Verheißungen aus dem Alten Testament fußt. Auf der anderen Seite die Hamas, die natürlich mit radikalem Islamismus und auch Antisemitismus agiert. Es gibt auch Siedlerbewegungen im Westjordanland, die häufig mit radikal-nationalreligiösem jüdischem Gedankengut agieren.
Religion ist also auf beiden Seiten als Faktor zu finden, ohne das vergleichen oder aufwiegen zu wollen. Ich würde aber sagen, dass der Israel-Palästina-Konflikt in erster Linie ein politischer ist. Ich würde sagen, hier geht es um Land. Das Westjordanland und Ostjerusalem sind laut Völkerrecht und auch offizieller Haltung der Bundesrepublik besetzt. Und daran entzündet sich ja der Konflikt immer wieder.
Übrigens sind auch palästinensische Gruppen, die eine große Rolle spielen, wie zum Beispiel Mahmud Abbas Fatah in ihren Grundsätzen säkular – Mahmud Abbas ist der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde. Natürlich wird Religion immer wieder genutzt, besonders wenn wir uns das Beispiel von Ostjerusalem anschauen. Die Hamas hat sich in der Vergangenheit immer wieder als Verteidiger des al-Haram-asch-Scharif, also des al-Aqsa Komplexes oder des Tempelbergs präsentiert. Daran haben sich ja auch schon militärische Konflikte wie zum Beispiel die Eskalation von 2021 entzündet.
Es geht hier aber – und das ist, glaube ich, sehr wichtig zu betonen – nicht nur um Islam und Judentum. Die Hamas hat sich auch in der Vergangenheit als Vertreter der Christen präsentiert, zum Beispiel als dieses Jahr an Ostern nur eine bestimmte Menge an Pilgern in die Grabeskirche in Ostjerusalem gelassen wurden. Die Hamas hat das verurteilt und sagt, sie setze sich für die Verteidigung von muslimischen und christlichen Orten ein.
Frage: Welche Rolle spielen die Christen selber bei diesem Konflikt?
Steckelbach: Es gibt sowohl im Westjordanland als auch in Gaza immer auch Christen. Palästinenser sind eben nicht nur per se Muslime. Wir haben weniger als 50.000 Christen in den palästinensischen Gebieten und ungefähr 1.500, vielleicht ein bisschen weniger in Gaza. Trotzdem kann man das nicht pauschalisieren und sagen: Palästinenser sind unbedingt nur Muslime.
Die Lage für Christen hat sich besonders in Ostjerusalem in der letzten Zeit auch verschärft. Abt Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei in Ostjerusalem ist bei weitem nicht der Einzige, der seit langem über die zunehmende Gewalt gegen Christen – jedenfalls die, die als solche erkennbar sind in Jerusalem – klagt. Das ist Gewalt, die oft von nationalreligiösen Juden kommt und mit der neuen rechten Regierung in Israel nur noch zugenommen hat.
Man muss ganz klar sagen, es geht in diesem Konflikt auch um Religion, aber er entzündet sich im Prinzip daran, wem dieses Land hier gehört. Ich glaube, das nur auf die Religion zurückzuführen, wäre ein bisschen zu einfach gesagt, weil es auch nicht nur um Juden und Muslime geht.
Frage: Geraten die Christen einfach zwischen die Fronten? Wie ist das einzuordnen? Eigentlich müssten die ja bei diesem Konflikt außen vor stehen.
Steckelbach: Wenn man jetzt einfach mal das Beispiel von Ostjerusalem nimmt, dann geht es ja bei der Gewalt gegen Christen gar nicht mal unbedingt um palästinensische Christen. Es geht zum Beispiel um internationale Christen, die nach Jerusalem kommen. Es geht um Christen, die als solche erkennbar sind, seien es jetzt Palästinenser oder nicht, wo wir gerade in diesem Jahr häufig Vorfälle gesehen haben, wo Leute bespuckt wurden.
Natürlich haben wir auch im armenischen Viertel in Jerusalem gesehen, wo speziell armenische Christen wohnen, dass Cafés verwüstet wurden. Dadurch, dass Christen eine zahlenmäßige Minderheit sind, haben sie keine politische Vertretung, keinen politischen Spielraum und keine politische Kraft. Die Gewalt gegen Christen trägt aber dazu bei, dass sich das Klima verändert innerhalb der Bevölkerung hier.
Wie wir auch gesehen haben, springt die Hamas auch auf diese Themen und auf diese Vorfälle auf und sagt, sie seien nicht nur Vertreter der Muslime, sondern auch Vertreter der Christen sowie Vertreter der christlichen und der muslimischen Heiligtümer in Ostjerusalem.
Frage: Die letzten Monate gab es in Israel große Proteste gegen die geplante Justizreform der rechtsgerichteten Regierung. Das scheint nun jetzt alles vom Tisch. Was hört man da aus den christlichen Reihen zu? Stellen die sich in Kriegszeiten nun auch hinter die Regierung?
Steckelbach: Das ist dadurch, dass die Christen keine so direkte politische Vertretung haben, sehr schwer zu sagen. Natürlich finden jetzt gerade keine Proteste mehr statt, einfach weil die Straßen leer sind und es nicht gerade empfohlen wird, sich draußen aufzuhalten. Alarme können jederzeit überall losgehen.
Wir haben hier verschiedene Gruppen von Christen, wir haben Christen in Gaza, wir haben Christen in Ostjerusalem, wir haben internationale Christen und wir haben Christen im Westjordanland und in hier in Israel. Ich glaube, dass deren Zugehörigkeit sich weniger an der Religion festmacht, weil auch innerhalb vom Westjordanland oder hier in Israel es sehr wenig Konflikte zwischen arabischen Christen und Muslimen gibt. Das entscheidet sich dann eher im Rahmen von Nationalität und ethnischer Zugehörigkeit.
Frage: Viele sprechen nach dem Angriff der Hamas von einem 9/11-Moment für Israel. Kommt das hin?
Steckelbach: Ich glaube schon. Ich kenne wirklich kaum jemanden, der nicht jemanden kennt, der jemanden kennt, der davon betroffen ist. Dadurch, dass Israel so ein kleines Land ist, ist die Betroffenheit auf nationaler Ebene auch wahnsinnig groß. Auf der anderen Seite hat man natürlich eine Zivilbevölkerung auch in Gaza, die man auf gar keinen Fall unerwähnt lassen sollte. Der steht gerade etwas bevor, dessen Ausmaß wir noch nicht kennen. Deshalb ist das nicht nur der 11. September für Israel, sondern auch etwas, was in der palästinensischen Erinnerung und Geschichte einen sehr großen Platz einnehmen wird.
Deshalb gibt es auch nicht nur die Angst unter Israelis und dieses Trauma, was diese Bevölkerung hier in Israel erlebt hat und noch immer erlebt, sondern es ist auch genauso ein Trauma, was Palästinenser gerade in Gaza erleben in Bezug auf die Zivilbevölkerung und die Sorge darum, was jetzt mit diesen mehr als zwei Millionen Menschen, die dort leben, passieren wird. In Israel kann man es aber nicht anders nennen als 'nationales Trauma', was dieser Gesellschaft hier passiert ist.
„Dadurch, dass ich nicht nur hier arbeite, sondern auch hier lebe, ist es sehr schwer für mich jetzt zu sagen, ich gehe einfach wieder zurück nach Deutschland, eben weil mein Lebensmittelpunkt doch hier liegt.“
Frage: Ganz persönlich gefragt: Haben Sie Angst? Es sind ja auch Raketen in Tel Aviv gelandet, wo Sie sitzen.
Steckelbach: Angst ist nicht das richtige Wort dafür. Ich bin sehr besorgt, auch in Bezug darauf, was diese Eskalation jetzt mit der Zukunft der Region und mit der Zukunft dieses Landes macht. Es ist noch viel zu früh, darüber nachzudenken. Ich glaube, dass das, was wir jetzt gerade sehen, die Region und den Konflikt nachhaltig verändern wird und auch die israelische Gesellschaft.
Angst ist nicht das richtige Wort, weil ich auf der israelischen Seite sitze und mich doch sehr geschützt fühle von Raketenabwehrsystemen wie dem "Iron Dome" und "David's Sling", die eine sehr hohe Erfolgsrate haben. Gestern gab es einen Einschlag in einer Stadt direkt hier neben Tel Aviv, aber ich fühle mich doch sehr sicher, weil wir auch immer in der Nähe von Bunkern sind.
Man muss sich auch daran erinnern, dass zum Beispiel die Zivilbevölkerung in Gaza solche Möglichkeiten überhaupt nicht hat. Dort gibt es keinen Schutz. In Tel Aviv haben wir anderthalb Minuten Zeit, um in einen Bunker zu gehen. In Häusern, die keine Bunkerräume haben, wird den Bewohnern empfohlen, ins Treppenhaus zu gehen. Ich habe das Privileg, in einer Wohnung zu wohnen, die einen Bunkerraum hat. Das ist im Prinzip ein ganz normales Zimmer, das so eine Art Stahlgitter vor den Fenstern hat. Und die Wände sind dicker und die Tür sieht ein bisschen anders aus, weil sie auch deutlich dicker und aus Beton ist. Dort schlafe ich übrigens auch im Moment.
Im Norden ist es noch mal eine andere Situation, weil dort das Ausmaß der potenziellen Eskalation noch ungeahnt ist. Wir wissen nicht genau, mit welchen Waffen die Hisbollah zuschlagen könnte. Wir wissen nicht genau, wie der Krieg dort aussehen könnte. Natürlich ist in dieser Eskalation auch noch eine andere Bedrohung vorhanden. Das sind die Infiltrationen. Wir haben gesehen, dass Mitglieder der Hamas über die Grenze gelaufen sind.
Genau das wird auch im Norden erwartet. Da gab es auch schon ein oder zwei Alarme, wo die Bewohner von einigen Orten in ihre Bunkerräume gebeten wurden, weil es einen Alarm gab, dass Leute über die Grenze gekommen sind. Das stellte sich im Norden danach als falsch heraus, aber das ist eine neue Bedrohung, die wir so noch nicht kannten und wo es natürlich auch noch mal schwieriger ist, dagegen vorzugehen.
Frage: Was müsste passieren, dass Sie als Reporterin sagen, Sie wollen zurück nach Deutschland?
Steckelbach: Das ist eine Frage, die mir meine Mutter gestern noch gestellt hat. Ich kann sie nicht beantworten. Dadurch, dass ich nicht nur hier arbeite, sondern auch hier lebe, ist es sehr schwer für mich jetzt zu sagen, ich gehe einfach wieder zurück nach Deutschland, eben weil mein Lebensmittelpunkt doch hier liegt. Ich kann die Frage nicht final beantworten.
Ich glaube, ein gutes Indiz ist, wenn die deutsche Botschaft vollständig evakuiert werden würde oder wenn sich auch andere Auslandskorrespondenten aus dem Land begeben. Das ist aber eine Frage, bei der es, glaube ich, auch auf sehr viele verschiedene andere Umstände ankäme. Ich sehe im Moment noch nicht, dass das passiert. Ich bin im Moment vielleicht noch optimistisch, vielleicht naiv. Ich glaube eher optimistisch, dass die Situation nicht so schlimm wird, dass wir auch als Journalisten irgendwann mal zurückfliegen müssen, weil die Präsenz von Journalisten gerade in Kriegssituationen einfach wahnsinnig wichtig ist.