Standpunkt

Einsatz gegen Antisemitismus verschleiert manchmal Muslimfeindlichkeit

Veröffentlicht am 24.10.2023 um 00:01 Uhr – Von Andreas Püttmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mit Bezug auf das Sonntagsevangelium denkt Andreas Püttmann über Heuchelei nach und kommentiert: Mancher, der heute gegen Antisemitismus ist, war stumm bei rechtsextremen Anschlägen. Er sieht da eine "rote Linie".

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Am Sonntag kam im Evangelium ein angewiderter Jesus vor: Anhänger der Pharisäer und des Herodes hatten ihm geschmeichelt, um "eine Falle zu stellen". Er aber "erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler!"

Solche gibt es auch in den aktuellen Verwahrungen gegen Antisemitismus. So dankbar ich für Solidarität mit Israel und Mitbürgern jüdischen Glaubens bin, so wenig behagt mir die schlechte Gesellschaft, in die man dabei geraten kann. Mancher, der sich seit dem bestialischen Überfall der Hamas auf jüdische Zivilisten nicht übertreffen lässt an Eifer gegen Antisemitismus, war stumm oder wenig engagiert, als Björn Höcke vom Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" sprach und gegen die "dämliche Bewältigungspolitik" eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte. Als Alexander Gauland auf das Recht pochte, "stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen", "uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten" lassen wollte und sie als "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte abtat. Als ein deutscher Rechtsextremist ein Massaker in der Synagoge von Halle versuchte und ersatzweise in einem Dönerimbiss mordete. Als ein antisemitisches Hetzblatt in Bayern für Stimmenzuwachs sorgte.

"Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß", meinen laut Mitte-Studie 27 Prozent der Deutschen voll, überwiegend oder teilweise; dass "Juden mehr als andere Menschen mit üblen Tricks arbeiten, um das zu erreichen, was sie wollen" 22 Prozent; dass "Juden einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich haben" und "nicht so recht zu uns passen" 20 Prozent. Dass Israel "ein aggressives Land" sei, meinen laut Forsa 40 Prozent; dass "Deutschland eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel hat", verneinen vor allem Wähler von AfD (78 Prozent), FDP (66 Prozent) und CDU/CSU (43 Prozent). Das sind nicht die Parteien, denen deutsche Muslime traditionell zuneigen.

Ja, wir haben ein Problem mit muslimischer Israel- und Judenfeindlichkeit. Sie muss benannt, bekämpft und, wo rechtsrelevant, bestraft werden. Aber wer so tut, als könne man den Antisemitismus, da "importiert", mal eben ausweisen, macht sich und anderen etwas vor oder betreibt "Othering": die positive Hervorhebung der eigenen Gruppe durch negative Stereotypisierung anderer. Manchen "Stand with Israel"-Lautsprechern geht es offenkundig um ein Steckenpferd, auf dem sie Muslimfeindlichkeit mit höherer moralischer Legitimation reiten können.

Als Vorsitzender der Bischofskonferenz definierte Kardinal Marx 2017 sechs "rote Linien", die Christen in politischen Debatten nicht überschreiten dürften, darunter neben Antisemitismus auch die "Verunglimpfung anderer Religionsgemeinschaften". Gegenüber AfD-Typen und ihren konservativen Nachahmern, deren Herz erst im Kontext Islam für Juden, Frauenrechte oder sexuelle Minderheiten entbrennt, sollten wir so klar sein wie Jesus: "Ihr Heuchler!"

Von Andreas Püttmann

Der Autor

Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.