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Vatikankorrespondent: Weltsynode suchte zwanghaft nach Einstimmigkeit

Veröffentlicht am 01.11.2023 um 00:30 Uhr – Von Renardo Schlegelmilch – Lesedauer: 
Vatikankorrespondent: Weltsynode suchte zwanghaft nach Einstimmigkeit
Bild: © privat

Köln ‐ Nicht nur Deutschland blickt auf die Synode im Vatikan, auch die USA. Christopher White ist amerikanischer Vatikankorrespondent. Er sieht eine große Präsenz des Synodalen Wegs bei den Vatikanberatungen, erklärt er im Interview – hätte sich an einigen Stellen aber auch mehr Deutlichkeit gewünscht.

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Christopher White ist Vatikankorrespondent des "National Catholic Reporter" aus den USA und unter anderem auch Analyst für den Fernsehsender MSNBC. White zieht ein Fazit der Weltsynode: Er hätte sich im Abschlussdokument ein deutlicheres Darstellen der Konfliktlinien gewünscht – und findet außerdem, dass der "Synodale Weg" während der Beratungen sehr präsent war. 

Frage: Diese Synode unterscheidet sich grundlegend von allen anderen, die vorher gekommen sind. Unter anderem, weil auch Laien mit Stimmrecht beteiligt waren. Trotzdem sind die Analysen sehr unterschiedlich. Die einen sprechen von einer Revolution, vor allem im Miteinander, die anderen beklagen, dass sich außer Gerede doch wieder nichts ändern wird. Im Schlussdokument wird zum Beispiel über den Frauendiakonat gesprochen, aber wieder nur mit Bitte um wissenschaftliche Prüfung. So etwas hören wir ja seit Jahren. Was denken Sie? Ist das nun eine Revolution oder nur heiße Luft?

White: Ich glaube, der ganze synodale Prozess hat durchaus das Potential, revolutionär zu werden, auch die kirchlichen Strukturen radikal zu verändern, zum Beispiel Laien auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung mit einzubinden. Dass diese Sachen offen und ehrlich diskutiert werden auf Ebene des Vatikans, das halte ich schon für revolutionär.

Auf der anderen Seite sind die Formulierungen, die wir im Abschlussdokument vom Wochenende lesen, dann an vielen Stellen doch sehr vorsichtig ausgedrückt. Das bringt schon etwas das Risiko, dass der ganzen Reformbegeisterung ein wenig der Wind aus den Segeln genommen wird. Besonders bei den Leuten, die sich seit Jahren engagiert mit dem Prozess befassen.

Die Passagen zu Frauen in der Kirche haben durchaus ziemlich starke, deutliche Formulierungen. Besonders wenn es darum geht, wie Frauen durch die Kirche verletzt worden sind durch Chauvinismus. Das Abschlussdokument spricht davon, dass es hier sehr dringenden Reformbedarf in der Kirche gibt. Wenn es dann aber um konkrete Schritte geht, dann wird es doch ein wenig dünner. Viele Frauen wünschen sich konkrete Schritte zur Weihe. Da spricht das Dokument nur davon, dass im kommenden Jahr weiter diskutiert werden soll. Franziskus hat ja schon mehrere Kommissionen eingesetzt, die sich historisch mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Da sind viele Frauen schon enttäuscht, dass darüber hinaus bis jetzt noch nichts weiter passiert ist. Da sehe ich dann doch die große Gefahr, dass die nächste Runde der Synode im Oktober 2024 bei einigen große Enttäuschung bringen kann.

Das betrifft auch den Umgang mit LGBTQ-Katholiken. Beide Themen wurden bei den Beratungen der Synode sehr ausführlich und tiefgehend beraten. Im Abschlussdokument wurde dann aber noch nicht mal die Formulierung LGBTQ aufgegriffen. Dass dieses Thema immer noch solche Spannungen und Berührungsängste in der Synode hervorruft, ich glaube das hat schon viele enttäuscht, die dachten, dass wir in der Kirche schon weiter wären.

Man muss allerdings auch wiederum erwähnen, dass das Dokument deutlich macht, dass die traditionellen anthropologischen Einordnungen und Kategorien der Kirche heute nicht mehr tragbar sind. Ich habe mit einigen Reformgruppen gesprochen, die das als einen großen Schritt in die richtige Richtung betrachten.

Man kann also sagen, dass dieses Dokument am Ende in beide Richtungen ausschlägt. Es gibt erstaunliche Formulierungen, die vielen Hoffnung bringen, es ist an anderen Stellen aber auch vorsichtig formuliert, um die zögernden nicht zu verschrecken.

Teilnehmer der Weltsynode bei einem Gottesdienst im Petersdom im Vatikan
Bild: ©KNA/Lola Gomez/CNS photo

Vielen Menschen sind die unterschiedlichen Riten in der katholischen Kirche gar nicht bewusst, sagt White.

Frage: Gibt es irgendwas, das Sie überrascht hat im Abschlussdokument der Synode?

White: Ich würde sagen in der Tat der Fakt, dass noch nicht mal die Formulierung LGBTQ verwendet wurde. Das hat mich doch ein wenig überrascht. Seit Jahren sehen wir Dokumente aus dem Vatikan kommen, die mit diesem Begriff keine Probleme haben. Das Thema war wirklich präsent in den letzten vier Wochen, und auch der Papst hat große Schritte gegenüber LBGTQ-Aktivisten und Fürsprechern gemacht. Wir erinnern uns, am Anfang hat er sogar gesagt, dass er sich Segensfeiern persönlich vorstellen kann. Am Rande der Synode hat er sich auch mit einigen prominenten Katholiken aus LGBTQ-Kreisen getroffen.

Das Abschlussdokument scheint da also eine andere Sprache zu sprechen, als die Worte und Gesten des Papstes es vermuten lassen würden. Das hat mich dann doch überrascht.

Ein anderer Punkt, der vielleicht nicht so die großen Schlagzeilen macht, sind die Abschnitte zum Thema Ökumene. Da hat das Dokument einiges zu bieten. Auch bei der Frage der ostkirchlichen Katholiken. Vielen ist vielleicht gar nicht bewusst, dass es einen Unterschied zwischen zum Beispiel lateinischen und griechischen Riten in der Kirche gibt. Da will das Dokument mehr Verständnis und Aufmerksamkeit. Mir ist klar, dass diese Frage jetzt nicht die Massen bewegen wird, aber da sehe ich doch viele sehr positive Entwicklungen.

Frage: Bei der Frage des sexuellen Missbrauchs spricht das Abschlussdokument davon, dass die Aufarbeitung in Zukunft nicht mehr nur von oben nach unten, also durch die Bischöfe selbst passieren kann. Wir haben seit 2019 das Dokument "Vos estis lux mundi", das bereits neue Regeln aufgestellt hat, aber anscheinend nicht die große Lösung des Problems ist. Könnte sich da durch die Synode auch noch etwas ändern?

White: Den wichtigsten Punkt hast du schon erwähnt, die Frage, ob Strukturen geschaffen werden können, dass nicht nur Bischöfe selbst für die Aufklärung der Verbrechen von Priestern und anderen Bischöfen zuständig sind. Genau das fordern Betroffenenverbände schon seit Jahren und Jahrzehnten. Dafür müsste das Kirchenrecht verändert werden.

Man muss Franziskus ja zugestehen, dass er mit der großen Anti-Missbrauchs-Konferenz und dem Dokument bereits einen großen Schritt getan hat. Er hat erstmals auf höchster Ebene zugestanden, dass Missbrauch ein großes Problem der weltweiten katholischen Kirche ist. Auf der anderen Seite hat er bei diesem Thema auch persönlich Fehler gemacht. Große Fehler, die dazu führen, dass viele berechtigterweise in Frage stellen, ob er wirklich an einer neuen Form der Aufarbeitung und Transparenz interessiert ist.

Ich hatte vor Beginn der Beratungen ein Interview mit dem Generalsekretär der Synode, Kardinal Grech, der betont hat, dass es an der Zeit wäre, ein Komitee einzusetzen, das mal wirklich erörtert, ob das Kirchenrecht in diesen Belangen geändert werden kann. Das sei auch ein sehr wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer synodalen Kirche. Falls sowas kommen würde, dann wäre das wirklich ein wichtiger Schritt. Auf der anderen Seite wären das dann wieder Bischöfe und Priester, die ihresgleichen bewerten würden. Es braucht dringend Veränderung in diesen beiden Bereichen.

Weihe Diakonin
Bild: ©KNA/Cornelis Gollhardt

Vier Wochen lang konnten Männer und Frauen, Geweihte und Laien im Vatikan offen und gleichberechtigt diskutieren.

Frage: Natürlich müssen wir auch den Konflikt zwischen der deutschen Kirche und dem Vatikan ansprechen. Es gibt aus Rom seit Jahren harsche Kritik am Synodalen Weg und dem deutschen Reformkurs. Dann hat der Vatikan Deutschland untersagt, mit dem Synodalen Rat ein dauerhaftes Gremium einzurichten, das Laien Entscheidungsgewalt gibt. Nun haben wir die letzten Wochen viele Wünsche und Diskussionen in der Synodenaula gesehen, die auch beim Synodalen Weg in Deutschland zu Wort gekommen sind. Sehen Sie denn, dass durch diese Diskussionen auch die Haltung im Vatikan zu den Reformen in Deutschland verändert werden könnte?

White: Auf alle Fälle nicht direkt und kurzfristig. Aber ich denke schon, dass alleine der Fakt, dass jetzt vier Wochen lang Männer und Frauen, Geweihte und Laien, an runden Tischen im Vatikan offen und gleichberechtigt diskutieren konnten. Das könnte den Entscheidungsträgern verdeutlichen, dass man vor dieser Form des offenen Austausches, die wir ja eben vom Synodalen Weg aus Deutschland kennen, keine Angst haben muss. Vielleicht führt das mittelfristig zu weniger Argwohn gegenüber Deutschland.

Was jetzt die großen Konfliktlinien zwischen Rom und Deutschland angeht, da sehe ich keine wirkliche Veränderung durch die Synode. Ich hätte ja persönlich erwartet, dass die deutschen Bischöfe nach Veröffentlichung des Abschlussdokumentes einen kritischeren Ton anschlagen würden, dass zu kleine Schritte in Richtung Reform gemacht wurden. Das war aber gar nicht so, da wurde einer ein versöhnlicher Ton angeschlagen. Ich glaube, in Deutschland wird man nun versuchen, so viel wie möglich aus diesem Dokument rauszuziehen, dass dann die Reformwünsche der deutschen Kirche unterstützt. Das heißt aber wiederum nicht, dass alle Spannungen jetzt beseitigt sind. Unter der Oberfläche wird es definitiv weiter brodeln.

Frage: Also alles Harmonie bei der Synode?

White: Ich habe den Eindruck, dass es den Organisatoren der Synode sehr wichtig gewesen ist, dass jeder Punkt des Abschlussdokumentes mit großer Mehrheit Zustimmung findet. Selbst die Themen, bei denen es bekanntermaßen Spannungen und Konflikte gibt. Ich verstehe nicht ganz, warum es nicht in Ordnung gewesen wäre, hier auch klar zu machen, dass nicht alle auf einer Seite stehen, und ein Paragraph mal mit weniger als zwei Dritteln Mehrheit auch mal durchfällt. Wenn es Spannungen gibt, kann und sollte man die meiner Meinung nach auch deutlich machen. Das finde ich immer noch besser, als alle Konflikte kleinzureden.

„Ich glaube, dass wir an einem Punkt stehen, wo das nächste Konklave auch zu einem Referendum über den zukünftigen Reformkurs in der Kirche werden wird, wann auch immer es so weit sein mag.“

Frage: Was würde das denn für die nächste Runde der Synode im Oktober 2024 bedeuten? Das könnte ja dazu führen, dass man nur mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner vorangehen kann.

White: Es ist ein bisschen schwierig, jetzt schon in die Kristallkugel zu gucken. Seit Jahren wird immer wieder betont, dass die Synode kein Parlament ist, und es nicht auf die Abstimmungen ankommen sollte. Wenn es kein Parlament ist, warum macht man sich dann so große Gedanken über die Abstimmungsergebnisse? Warum versucht man so sehr, eine möglichst große Einstimmigkeit zu bekommen? Wovor hat man denn Angst? Dass man draußen mitbekommt, dass es unterschiedliche Ansichten in der Kirche gibt? Das weiß doch eh schon jeder. Trotzdem legt man sehr großen Wert darauf, dass so gut wie jeder bei der Abstimmung mit "Ja" votiert. Das geht für mich nicht so ganz zusammen.

Bei der Amazonas-Synode 2019 haben selbst die strittigen Themen wie Frauendiakonat und Viri probati mehr als zwei Drittel bekommen. Trotzdem hat der Papst dann im postsynodalen Schreiben sehr vorsichtig und zaghaft formuliert. Ich denke, es ist ihm sehr wichtig, auf dem Weg der Kirche in die Zukunft ihre Einheit zu bewahren. Er will auch sensibel gegenüber den Stimmen sein, die Reformen kritisch sehen. Themen wie Frauenweihe oder Zölibat erfordern nun aber mal eine Entscheidung um in die Zukunft zu gehen, und da kommt er nicht drum herum.

Denken wir zurück an das Dokument "Amoris laetitia" 2016 und die Frage der Kommunion für Wiederverheiratet-Geschiedene. Auch da ist er sehr vorsichtig vorgegangen. Am Ende hat er dann aber doch eine Entscheidung getroffen – und das wird meines Erachtens auch am Ende der Weltsynode nötig sein.

Natürlich spielen hier auch sein Alter und seine Gesundheit eine Rolle. Wird es überhaupt dazu kommen, dass er bei diesen Themen noch eine Entscheidung treffen kann? Ich glaube, dass wir an einem Punkt stehen, wo das nächste Konklave auch zu einem Referendum über den zukünftigen Reformkurs in der Kirche werden wird, wann auch immer es so weit sein mag.

Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Franz-Josef Overbeck (v.l.n.r.), Bischof von Essen; Bertram Meier, Bischof von Augsburg; Felix Genn, Bischof von Münster; Georg Bätzing, Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK); und Stefan Oster, Bischof von Passau; waren bei der Weltsynode dabei.

Frage: Welche Rolle haben die Deutschen bei der Synode gespielt? Vorab hat es für Irritation gesorgt, dass es keine deutsche Sprachgruppe geben sollte. Wenn Sie auf die letzten Wochen zurückblicken, welche Rolle haben die Deutschen da gespielt? Sowohl in der Synodenaula als auch allgemein rund um den Vatikan.

White: Ich glaube, der Synodale Weg war schon sehr präsent bei den Beratungen hier. Dabei sehe ich nicht eine einzelne Person, die bei den Diskussionen besonders im Fokus stand, eher die allgemeine Erfahrung, die die Deutschen aus ihren Beratungen bereits gewinnen und mitbringen konnten. Je nachdem, wen man fragen würde, hätten viele die Hoffnungen der Deutschen auf Reformen geteilt oder eben befürchtet, dass es ähnlich laufen könnte wie beim Synodalen Weg und weitreichende Reformen beschlossen werden. In diesem Sinne war der Synodale Weg in vielen Köpfen präsent.

Das gleiche gilt übrigens auch für das australische Plenarkonzil, das ähnliche Vorerfahrungen mitgebracht hat. Diese Prozesse haben die Erwartungen bei vielen sicher sehr geprägt.

Als Amerikaner, der den Vatikan und auch die Weltkirche beobachtet, bin ich im allgemeinen doch ein wenig überrascht von der Offenheit, die viele deutsche Bischöfe zeigen, auch uns als Medien gegenüber. Unsere Arbeit war nicht immer einfach, da der Papst ein Medien-Embargo für die Diskussionen der Synode ausgesprochen hat. Das hat auf beiden Seiten, bei den Journalisten und Teilnehmern, für eine gewisse Unsicherheit gesorgt, was man denn fragen und sagen kann – und was eben nicht. Wäre das nicht so gewesen, hätte es sicher noch mehr öffentliche Diskussion und Eingaben, auch von den deutschen Teilnehmern, gegeben. Soweit ich weiß, war das einzige Statement aus Deutschland der Auftritt von Bischof Overbeck bei einer der Pressekonferenzen.

Eine Ausnahme sind hier natürlich die diversen Interviews, die Kardinal Müller gegeben hat. Er war am zweiten Tag der Beratungen der erste Teilnehmer, der überhaupt ein Interview gegeben hat. Als Reporter finde ich das grundsätzlich ja erst mal gut, ob ich seinen Standpunkt nun teile oder nicht. Ich war froh, dass überhaupt einer gesprochen hat und hätte gerne auch noch mehr Teilnehmer vor den Kameras gesehen.

Frage: Einen der beeindruckendsten Momente war sicher das Foto, das der Jesuit James Martin, der sich sehr für LGBTQ-Katholiken einsetzt, mit Kardinal Müller gemacht und gepostet hat. Respekt von zwei Menschen, die kirchenpolitisch nicht weiter auseinander stehen könnten. Denken Sie, dass das symbolisch für die Beratungen der Synode war?

White: Ich glaube das, was James Martin zu seinem Foto auf Twitter geschrieben hat, spricht schon für sich selbst. Er hat geschrieben, dass sie sehr unterschiedliche Meinungen haben, dass er ihn aber sehr wertschätzt, unter anderem für seine Freundschaft mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez.

Ich glaube, dass das ein sehr symbolhafter Moment war, von denen es viele gab. In gewissem Sinne verbreitet die Synode ihre Botschaft mehr durch Bilder als Texte. Dieses Bild fand ich sehr stark, weil es zeigt, dass Differenzen nicht vom Tisch gewischt werden, aber trotzdem Raum für Zuhören und Respekt geschaffen worden ist. Für viele ist das sicher ein größerer Fortschritt, als jedes vatikanische Synodendokument jemals sein könnte.

Von Renardo Schlegelmilch