"Heilige" zum Gruseln: Die Geschichte der heiligen Leiber
Hoch über dem Obermaintal, gegenüber von Staffelberg und Vierzehnheiligen, thront die mächtige Klosteranlage von Banz. Mönche leben hier aber schon lange nicht mehr. Im Zuge der Säkularisation wurde das Benediktinerkloster aufgehoben. Doch die Spuren der Mönche sind bis heute erhalten: Vor allem in der prächtigen Stiftskirche, in der der heilige Benedikt von Nursia hoch über dem Altar thront, atmet man noch den Geist der Benediktiner.
Hier, in der Klosterkirche, haben sich auch einige besondere Heilige versteckt: Sie tragen die Namen Benedictus, Felix, Vincentius und Valerius. Auf den ersten Blick sind sie nicht zu entdecken. Denn ihre Ruhestätte ist zumeist mit einer bemalten Holztafel abgedeckt. Doch wenn man diese Platten entfernt, kann man ihre bizarre Schönheit bewundern: Skelette und Schädel, die mit Gold und Perlen verziert sind, in prächtige Gewänder gehüllt. Das sind sie, die vier Katakombenheilige von Banz.
Eigentümliches Phänomen aus der Zeit der Gegenreformation
Um die Entstehung dieses eigentümlichen Phänomens zu verstehen, muss man in der Geschichte einige Jahrhunderte zurückgehen. Genau genommen bis in die Zeit Martin Luthers: Hier befindet man sich in einer Zeit, die katholischerseits als Gegenreformation bezeichnet wird. Viele katholische Gebiete fühlten sich vom neuen Glauben, der von Luther und seinen Anhängern verbreitet wurde, in die Enge getrieben. Und man versuchte natürlich, die Menschen zu überzeugen, beim alten Glauben zu bleiben. Dabei spielte ein Zufall den Bestrebungen der Gegenreformation in die Karten: Denn am 31. Mai 1578 entdeckte man in Rom an der Via Salaria ein Gräberfeld, nämlich die Katakomben des Coemeterium Jordanorum. Und nur kurze Zeit später legte man auch die Priscilla-Katakomben frei.
Was aber hat der Fund von zahlreichen Skeletten in Rom mit der Gegenreformation in Deutschland zu tun? Der Zusammenhang ist eigentlich relativ simpel: Denn die sterblichen Überreste, die man an der Via Salaria fand, wurden in die Zeit der letzten römischen Christenverfolgungen datiert. Ziemlich schnell wurde der Fund des römischen Gräberfeldes als göttliches Zeichen gedeutet: Um die katholischen Christen in ihrem Kampf gegen die Irrlehren der Reformatoren zu stärken, kam eine Schar neuer Heiliger gerade recht. Und diese neuen Heiligen suchte man in der römischen Katakombe zu finden.
Reliquienjäger, die in die Katakomben hinabstiegen, suchten vor allem nach Märtyrergräbern. Und diese, so glaubte man, sollten doch relativ einfach zu finden sein. Denn die Menschen, die auf dem römischen Friedhof begraben waren, starben doch während der Zeit der Christenverfolgung. Also, so lautete kurzerhand der Entschluss, mussten die Gebeine Menschen gehören, die Christen waren und aufgrund ihres Glaubens getötet wurden. Sie waren also Märtyrer und damit Heilige. Der US-Autor Paul Koudounaris, der sich ausführlich mit dem Kult der Katakombenheiligen beschäftigt hat, schreibt dazu: "Die Schätzungen hinsichtlich der Anzahl der aufgefundenen Märtyrer nahmen im Laufe der Zeit geradezu lächerliche Ausmaße an. In den 1560er Jahren nahm ein Augustinermönch einen der wenigen damals bekannten Gänge selbst in Augenschein und kam zu dem Ergebnis, dass sich darin vielleicht drei legitime Märtyrer befanden. Bereits Anfang des 17. Jahrhunderts ging man von bis zu 174.000 Märtyrern pro Katakombe aus."
Bei der Suche nach geeigneten Heiligenreliquien kamen die Grabinschriften zu Hilfe, die noch auf manchen Grabplatten zu entziffern waren. Einen Buchstaben M deutete man als "martyr", also Märtyrer. War ein S auf einer Grabplatte zu finden, so wurde dies als "sanguis", Blut, verstanden. Der Tote hatte also bei seinem Tod Blut vergossen, was wiederum auf ein Martyrium schließen ließ. Freilich war dies ein durchaus gewagtes Unterfangen: Denn was die Buchstaben M oder S wirklich einmal bedeutet haben, wusste man nicht mehr. Ebenso ungewiss war auch, ob die Menschen, die auf diesem Friedhof begraben wurden, überhaupt Christen waren. Und selbst wenn, mussten noch lange nicht alle bei einer Christenverfolgung ums Leben gekommen sein. Eine Vielzahl der Gebeine stammte, wie sich später herausstellen sollte, sowieso aus einer Zeit, in der das Christentum bereits eine erlaubte Religion im Römischen Reich war. Möglicherweise ruhten in den Katakomben wirklich die sterblichen Überreste von frühen Christen. Vielleicht hatte man es aber auch mit einem heidnischen Friedhof zu tun.
Hatte man nun ein Skelett aus einer Katakombe geborgen, musste dieses noch "getauft" werden. Paul Koudounaris notiert dazu: "Gab es keine Gedenktafel und basierte die Authentifizierung lediglich auf Indizien, fehlte dem Skelett ein Name. Ein namenloser Märtyrer kommt aber bei den Gläubigen nicht so gut an, weshalb man der Reliquie eine Identität basteln musste." Die Reliquien wurden also "getauft" und erhielten den Namen eines bekannten Heiligen. Oder sie wurden mit einem Namen identifiziert, der in der Frühzeit der Kirche geläufig und beliebt war. Häufig trug die Katakombenheiligen deswegen Namen wie Valentinus, Felix, Clemens oder Bonifatius.
„Die Schätzungen hinsichtlich der Anzahl der aufgefundenen Märtyrer nahmen im Laufe der Zeit geradezu lächerliche Ausmaße an.“
Klöster erhielten häufig Reliquien, die den Namen des Ordensgründer trugen: So auch in der Klosterkirche von Banz, wo ein Katakombenheiliger mit Namen Benedictus ruht. Im Kontext der Taufe dieser Reliquien macht Paul Koudounaris auf eine Besonderheit aufmerksam: Es sind "Fälle dokumentiert, in denen die päpstlichen Sekretäre entweder aus Ratlosigkeit oder in einem Anfall übertriebener Ehrlichkeit Skelette verschickten, deren Namen auf die völlige Abwesenheit einer Identität verweisen: Zu diesen gehören etwa der hl. Anonymous, der hl. Incognitus und der hl. Innominabilis."
Kamen die Skelette nach Deutschland, wurden sie nicht sofort in die Kirchen gebracht. Zunächst mussten sie aufbereitet und geschmückt werden. Dies geschah häufig in den Werkstätten von Klöstern: Dort wurden die Skelette mit Golddrähten umwickelt, mit Edelsteinen und Perlen verziert oder gar in kostbare Gewänder gehüllt. Die kostbaren Textilien und der wertvolle Schmuck sollten eine Ehrbezeugung für den Heiligen sein, den eine Gemeinde nun neu in ihrer Mitte willkommen hieß. Allerdings erhielten die Skelette dadurch auch teils groteske Züge: In Rüstungen gewandet ruhten sie in gläsernen Vitrinen oder flankierten mit der Märtyrerpalme in der Hand die Altäre.
Heilige, die zum Gruseln anregen
Am Beispiel der vier Banzer Katakombenheiligen hat Bezirksheimatpfleger Günter Dippold die Geschichte vieler solcher Gebeine nachgezeichnet: Der Banzer Abt Gregor Stumm schickte einen Bäcker und einen Eremiten nach Rom, um dort zwei heilige Leiber zu besorgen. Nachdem die beiden von ihrer Reise zurückgekehrt waren, wurden die Reliquien nach Bamberg gebracht. Dort kümmerten sich die Schwestern der Englischen Fräulein um die Ausstaffierung der beiden Skelette. Dies war das typische Vorgehen, wie viele Pfarreien und Kirchen vor allem aus dem süddeutschen Raum an Katakombenheilige kamen.
Die Begeisterung für die heiligen Leiber aus der römischen Katakombe flachte übrigens relativ schnell wieder ab. Im Lauf des 19. Jahrhunderts gerieten sie zunehmend in Vergessenheit. Gründe waren einerseits die vielen Klosteraufhebungen durch die Säkularisation, andererseits aber auch die zunehmend kritische Haltung gegenüber diesen eigentümlichen Reliquien. Noch heute ruhen sie in manchen Kirchen: In Waldsassen (dort konnte man sich gar fünf Katakombenheiliger rühmen), in Passau und München, in Landshut und Seeon – um nur einige Orte zu nennen. Und vielleicht ist man mancherorts ganz froh, wenn die heiligen Leiber heute hinter bemalten Holzplatten verborgen ruhen. Denn möglicherweise stärken sie nicht mehr den Glauben der Betrachter, sondern erzeugen eine Gänsehaut und regen zum Gruseln an.