Kirchenrechtler Bier: Papst hat in Causa Woelki schon entschieden
Aus Sicht des Freiburger Kirchenrechtlers Georg Bier hat Papst Franziskus im Blick auf einen möglichen Rücktritt der Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki längst eine Entscheidung getroffen. "Wer fordert, der Papst müsse in der Causa Woelki endlich entscheiden, übersieht: Indem der Papst die Drei-Monats-Frist verstreichen ließ, hat er eine Entscheidung getroffen. Von Rechts wegen ist zu vermuten, das Rücktrittsgesuch sei damit abgelehnt", schreibt Bier in einem Gastbeitrag für die "Herder Korrespondenz" (Montag, online). "Eine ausdrückliche Ablehnung des Gesuchs, womöglich flankiert von einer Meldung des Presseamts des Heiligen Stuhls, wäre zwar eindeutiger gewesen", erklärte der Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte. "Anlass für die Annahme, der Papst habe noch nicht entschieden, gibt es gleichwohl nicht." Der Papst habe zumindest entschieden, bis auf Weiteres nichts zu unternehmen.
Wegen seines Umgangs mit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs steht der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki seit einiger Zeit in der Kritik. 2021 schickte Franziskus Woelki aufgrund von Fehlern in der Kommunikation in eine mehrmonatige Auszeit. Seit seiner Rückkehr Anfang März 2022 ist er wieder Kölner Erzbischof. Während seiner Auszeit hatte er dem Kirchenoberhaupt – nach Darstellung des Papstes – seinen Amtsverzicht angeboten. Innerhalb der kanonisch vorgesehenen Frist von drei Monaten hat der Papst jedoch nicht auf den Amtsverzicht reagiert.
Franziskus habe "hohe Toleranzschwelle"
In seinem Beitrag betonte Bier, Papst Franziskus habe offensichtlich "eine hohe Toleranzschwelle". Er gehe davon aus, dass der Papst an der Amtsführung Woelkis derzeit "nichts Relevantes" auszusetzen habe und daher auch nicht die Einschätzung teile, die Situation im Erzbistum Köln erfordere ein Eingreifen. Bier erwartet daher nicht, dass sich der Papst von Forderungen nach einer Entscheidung, die auf eine Versetzung Woelkis in den Ruhestand hinausliefen, von seiner Linie abbringen ließe.
Gleichzeitig erklärte Bier, dass Franziskus jederzeit dafür sorgen könnte, sollte er den bischöflichen Stuhl in Köln vakant sehen wollen. So sei der Papst als "dominus canonum" mit kirchlicher Höchstgewalt ausgestattet und nicht an seine eigenen Gesetze gebunden. "Er müsste nicht einmal eine Untersuchung gemäß Come una Madre amorevole veranlassen (für die sich vermutlich Gründe finden ließen)", so Bier. Mit dem 2016 veröffentlichten Motu Proprio hat der Papst die rechtliche Grundlage für die Amtsenthebung von Diözesanbischöfen geschaffen. Das Dokument sieht vor, dass der Apostolische Stuhl eine Untersuchung einleitet, sobald es ernsthafte Hinweise darauf gibt, dass ein Bischof die von seinem Amt geforderte Sorgfaltspflicht verletzt hat. Sobald das Fehlverhalten festgestellt wird, kann ohne Weiteres ein Amtsenthebungsdekret erlassen oder dem Bischof eine kurze Frist für die Möglichkeit eines eigenen Amtsverzichts gegeben werden. Bier führt aus, dass Woelki schon einmal dem Wunsch des Papstes entsprochen habe, seinen Amtsverzicht anzubieten. "Er würde dies auf päpstliches Geheiß und eingedenk seines Gehorsamsversprechens mit höchster Wahrscheinlichkeit umstandslos wiederholen." (cbr)