Pastorale Leitung: Wie ist es, Chefin von Priestern zu sein?
"Da bewegt sich was..." – Das war die erste Reaktion von Pastoralreferentin Simone Gerlitzki, als der Pfarrer sie fragte, ob sie mit ihm das Pastoralteam der Pfarrei St. Josef im Frankfurter Stadtteil Bornheim leiten wolle. Stichwort Doppelspitze, von geteilter Leitung war die Rede. Sie stutzte und wusste zunächst nicht, was sie antworten sollte. Schließlich ist es trotz der Bemühungen des Papstes noch immer nicht selbstverständlich, dass eine Frau in der katholischen Kirche eine Führungsposition innehat. Auch deshalb will das Bistum Limburg unter Bischof Georg Bätzing einen grundlegenden Kulturwandel einleiten. Mehr Beteiligung, mehr Synodalität lautet die Devise. Auch Gerlitzki findet die Richtung gut und hat trotz anfänglicher Bedenken schließlich zugesagt.
Inoffiziell seit Juni, offiziell seit September ist die aus dem Ruhgebiet stammende Theologin und Pastoralreferentin zusammen mit Pfarrer Markus Schmidt Leiterin des Pastoralteams in der Pfarrei St. Josef. Mit dem Segen des Bischofs und einem Vertrag mit dem Bistum: Denn im Bistum Limburg hat man genaue Vorstellungen, was zu tun ist. Eigens dafür wurde ein Vertrag geschlossen, in dem die Aufgabenverteilung genau geregelt ist. Auch wenn das Tandem vorerst nur für das Pastoralteam aus Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten sowie priesterlichen Mitarbeitern gilt, ist es für die Frankfurter ein Novum. Sie haben nun nicht mehr einen, sondern zwei "Chefs". Für die priesterlichen Mitarbeiter sei das eine gewöhnungsbedürftige Neuerung, erzählen Schmidt und Gerlitzki. "Aber sie finden es gut, dass eine Struktur reinkommt und eine gewisse Sicherheit da ist", fügt Schmidt hinzu. Wenn er von Sicherheit spricht, meint er längerfristige Planungen, denn es sei immer schwieriger geworden, die Pfarrei mit ihren vier Kirchorten "in allen Bereichen alleine zu führen, da ist einiges auf der Strecke geblieben".
Wer trifft welche Entscheidungen?
Gerlitzki soll Abhilfe schaffen. Zuvor war sie in der Sozialpastoral tätig, einem der Schwerpunkte der Frankfurter Kirchen, die vor allem sozial Benachteiligten zur Seite stehen. Neben dieser Aufgabe und dem Beerdigungsdienst in der Pfarreri nimmt sie nun Leitungsaufgaben wahr: Dienst- und Mitarbeitergespräche, Priorisierung von Themen, Förderung innovativer Kirchenentwicklung bis hin zur Delegation von Aufgaben an einzelne Mitarbeiter im Pastoralteam – egal ob hauptamtliche Laien oder geweihte Priester. Für sie selbst sei es noch gewöhnungsbedürftig, Aufgaben an priesterliche Mitarbeiter zu delegieren, sagt Gerlitzki. "Wenn eine Aufgabe an uns herangetragen wird, wer zum Beispiel zur Eröffnung der Moschee gehen kann, dann kann ich das in Absprache mit dem Pfarrer an jemanden aus der Pastoral delegieren." Solche Entscheidungen führen nicht zu Konflikten; wie es aber mit Entscheidungen aussieht, die kontroverser sind, wollen beide nicht beantworten. Dazu gebe es zu wenig Erfahrung, sagen sie. Hitzige Diskussionen, verraten beide, gebe es hin und wieder. Schmidt findet es aber gut, "dass man ein Gegenüber hat, mit dem man sich offen austauschen kann", so müsse er nicht mehr alleine über bestimmte Themen nachdenken und Entscheidungen treffen.
Ein Problem sehen beide jedoch in der hierarchischen Verfasstheit der Kirche, die dem Modell der geteilten Leitung Grenzen setzt. So sieht das geltende Kirchenrecht die Letztverantwortung allein beim Pfarrer. Die Pastoralreferentin stört das wenig: "Die Frage ist eher, ob das Modell nicht nur für uns, sondern für das ganze Team gut ist." Oberste Priorität hätten Entscheidungen, die gut für die Pfarrei sind, ergänzt Schmidt – trotz Letztverantwortung sind das aber nicht mehr nur seine eigenen. "Es geht nicht darum, wer die besten Ideen hat und die Kirche retten kann, sondern darum, die Pfarrei weiterzuentwickeln", so Schmidt weiter. Dafür brauche er Unterstützung, denn Frankfurt sei für ihn eine besondere Herausforderung. Die Problemfelder, die sich in einer solchen Großstadt auftun, habe es in seiner früheren Pfarrei, unweit von Frankfurt, in dieser Form nicht gegeben. "Sobald man in Frankfurt aus dem Pfarrhaus tritt, hat man sofort die Herausforderungen der Straße vor sich", sagt Schmidt. Vor Ort versuche man ein gutes Miteinander zu finden, nicht nur für Christen, sondern für alle. Das gelte auch intern für das Pastoralteam, das immer mehr auf Innovation und Kirchenentwicklung setzen wolle, was unter anderem ausgibieg beim Synodalen Weg und der Weltsynode im Vatikan diskutiert worden sei.
Ob zu den Innovationen auch Predigtdienst, Taufen und Trauungen gehören, die Gerlitzki oder eine andere Pastoralreferentin übernehmen könnte? Beide sind da eher zurückhaltend. Sie aber ist bisher zufrieden mit dem Beerdigungsdienst, den sie in der Pfarrei übernehmen darf – das sei noch keine Selbstverständlichkeit. Denn es gibt immer noch Situationen, in denen die Gläubigen lieber einen Pfarrer hätten. Solche Probleme gibt es nicht nur im Bistum Limburg. Die Pastoralreferentin erinnert sich an eine Kollegin aus dem Erzbistum Köln: "Sie darf bis heute nicht den Beerdigungsdienst übernehmen, obwohl sie das gerne tun würde. Ich bin dankbar, dass ich tue, was ich kann und darf." Ob es für Gerlitzki in Limburg schon so weit ist wie in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, wo Theologinnen seit kurzem die Taufe spenden dürfen? "Das könnte ich mir vorstellen, aber ich bin nicht der Typ, der dafür mit Maria 2.0 auf die Straße geht und demonstriert", sagt sie. Zur Frauenordination äußert sie sich nicht: "Taufen und Trauungen wären durchaus möglich, aber der Eucharistiefeier vorstehen, das ist eine andere Frage. Die würde ich nicht so schnell beantworten wollen. Aber das hängt nicht von uns ab, sondern von Rom."
Dennoch: Es bewegt sich etwas, sagt die Pastoralreferentin. Nicht nur in Frankfurt-Bornheim, sondern auch auf weltkirchlicher Ebene. Den Prozess der Weltsynode haben Gerlitzki, Schmidt und das Pastoralteam mit besonderem Interesse verfolgt, weil wichtige Fragen angestoßen wurden, die auch vor Ort relevant sind. Stichwort Priestermangel – und damit verbunden neue Formen der Beteiligung, wie sie zuvor auch der Synodale Weg diskutiert hat. Dazu gehöre aber auch der Dialog mit den Kulturen, den beide aus ihrem Alltag in Frankfurt gut kennen. Gerade in Gremien, in denen auch muttersprachliche Gemeinden mit ihrer vielfältigen Kultur und Tradition mitarbeiten, kann es schon mal zu Meinungsverschiedenheiten und hitzigen Diskussionen kommen, vor allem wenn es um die "Frauenfrage" oder gleichgeschlechtliche Paare geht. Aufeinander zugehen und zuhören sei hier ein erster wichtiger Schritt der Synodalität, die sich nicht nur für die Weltkirche, sondern auch für die Pfarrei immer mehr als wegweisend erweise, so Schmidt – trotz bestehender Gruppierungen, die nicht miteinander können, weil sie Anhänger des Vorgängers sind.
"Ein Pfarrer muss nicht alles machen"
Es gehe aber nicht um Veränderung um jeden Preis. Man müsse die Nöte, Sorgen und Anforderungen der Zeit wahrnehmen, um angemessen reagieren zu können, so Schmidt. Nach den 600 Kirchenaustritten haben ihn vor allem die Rückmeldungen überrascht: "88 Prozent sagen, sie treten wegen Kardinal Woelki aus". Das wundere ihn. "Außer dass Woelki Metropolitanbischof ist, hat er mit uns wenig zu tun. Das macht uns die Seelsorge vor Ort schwer, vor allem die Belastungen, die wir im Moment tragen, aber nicht zu verantworten haben", sagt er.
Gerade deshalb sieht Schmidt die Chance, gemeinsam an einer zukunftsfähigen Kirche zu arbeiten. Es brauche neue Wege, damit nicht alles an einer Person hänge. "Ein Pfarrer muss nicht alles machen", betont er. Noch ist er mit Elan dabei, aber er merkt selbst, dass zu viele Probleme und Sorgen auftauchen, die bewältigt werden müssen – nicht immer reicht die Kraft dafür. "Aber jetzt ist jemand da, der sich das anhört und mit dem ich reden kann", fügt Schmidt hinzu. "Ein kurzes Gespräch von Tür zu Tür hilft, das wirkt sich auch auf die Gläubigen in der Pfarrei aus. Wenn die merken, dass es bei uns im Team klappt, wird es auch in der Pfarrei besser."
„Außer dass Woelki Metropolitanbischof ist, hat er mit uns wenig zu tun. Das macht uns die Seelsorge vor Ort schwer, vor allem die Belastungen, die wir im Moment tragen, aber nicht zu verantworten haben“
Die Idee der geteilten Leitung ist allerdings nicht neu. In anderen Diözesen wurden bereits Leitungsmodelle mit hauptamtlichen Laien an der Spitze vorgestellt, zum Beispiel in Aachen, Mainz, Osnabrück oder Rottenburg-Stuttgart. Das Bistum Münster hat aufgrund von Personalproblemen ein ähnliches Leitungsmodell bis 2020 erprobt und eine Handreichung mit verschiedenen Formen der Gemeindeleitung herausgegeben, um dazu anzuregen, "der jeweiligen Situation angemessene Leitungsstrukturen zu entwickeln". Auch das Erzbistum Paderborn hat in diesem Jahr weitere Modelle entwickelt und startet diesen Herbst eine dreijährige Pilotphase, die von der Universität Paderborn begleitet und evaluiert wird.
Das Frankfurter Pastoralduo mit Pfarrer Schmidt und Pastoralreferentin Gerlitzki wird vom Bistum intensiv begleitet, eine erste Auswertung soll bereits nach einem halben Jahr erfolgen. Spätestens dann wird sich zeigen, ob und an welchen Stellen noch nachjustiert werden muss und kann. Für Gerlitzki ist klar: Pfarrer Schmidt "ist und bleibt der Dienstvorgesetzte, aber ich habe viele Möglichkeiten, mitzugestalten, auch wenn ich nicht die Nummer eins werde".